Kriegerin der Schatten

von: Lara Adrian

LYX, 2014

ISBN: 9783802594458 , 400 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Kriegerin der Schatten


 

1


Die Menschenmenge, die sich zum Rhythmus der dröhnenden Musik auf der Tanzfläche des Bostoner Nachtclubs bewegte, schien zu spüren, dass der Tod das Gebäude betreten hatte.

Nathan bemerkte die plötzliche Veränderung in der Atmosphäre, sobald sie den Club betreten hatten. Er hatte sich schon längst an die instinktive Reaktion gewöhnt, die er bei Sterblichen auslöste. Weil er ein Ordenskrieger und ein Stammesvampir der Ersten Generation war – die mächtigsten Vampire, die es gab –, versetzte er selbst andere Vampire durch seine Gegenwart in Alarmbereitschaft. Aber die Angst, die er auf der Tanzfläche spüren konnte, hatte mit einem anderen Teil seiner Natur zu tun. Er war von Geburt an zu einem Jäger abgerichtet worden, zu einem Soldaten der dunklen Legion, der zum Töten gezüchtet worden war und dem man jegliches Gefühl und jegliche Zuneigung zu irgendjemandem abtrainiert hatte. In dem schummrigen, nur durch die sich drehenden Discokugeln beleuchteten Club blickten viele Gäste verstohlen zu ihm hinüber. In ihren Augen lag die unaussprechliche, aber mit jeder Faser ihres Körpers spürbare Furcht vor dem Jäger in ihm.

»Die sehen nicht gerade glücklich aus, dass wir hier sind«, sagte Rafe. Er war Nathans Gefolgsmann und einer der drei Stammeskrieger, die ihm als Captain des Teams unterstellt waren.

»Cassian Gray wird den Orden auch nicht gerade mit offenen Armen empfangen.« Elijah sprach wie immer langsam, mit einem texanischen Akzent, der darüber hinwegtäuschte, wie schnell und kompetent der Vampir mit den Messern und Schießwaffen umgehen konnte, die er in seinem Waffengurt stecken hatte.

Auf der anderen Seite von Eli stand Jax, das dritte Mitglied der Patrouille am heutigen Abend. Er zog eine schmale schwarze Braue über seinen mandelförmigen Augen hoch. »Unser letzter Besuch hat nicht gerade unter den besten Umständen geendet.«

Wo Jax recht hatte, hatte er recht. Das LaNotte, einer der beliebtesten – wenn auch berüchtigsten – Szeneclubs befand sich in einer ehemaligen Kirche. Und als Nathan und sein Team das letzte Mal hier aufgetaucht waren, endete die Sache damit, dass der Besitzer des Clubs, Cassian Gray, die Joint Urban Security Taskforce Initiative Squad, kurz JUSTIS, gerufen hatte – eine Polizeitruppe der Regierung, die aus handverlesenen Vampiren und Menschen bestand. Der Orden hatte damals nicht die Zeit gehabt, um sich irgendwie öffentlich oder politisch mit JUSTIS anzulegen.

Doch wenn Cass dachte, er könne sich für immer hinter JUSTIS verstecken, nur weil er dort mit vollen Händen Schmiergelder austeilte, dann täuschte er sich. Und zwar gewaltig, wenn er das Spiel wirklich auf diese Weise spielen wollte. Der Orden hatte vor Kurzem aus einer verlässlichen Quelle erfahren, dass Cass anscheinend noch andere, unbekannte Verbündete auf seiner Gehaltsliste hatte. Verbündete, neben denen seine Kontaktleute bei der Polizei und in der Unterwelt angeblich nicht mehr als unbedeutende Marionetten waren.

Nathan und sein Team hatten den Auftrag, den geheimnisvollen Clubbesitzer ins Bostoner Hauptquartier zu bringen, um ihn zu befragen.

»Los geht’s. Irgendwo hier muss der Mistkerl ja stecken.« Nathan ignorierte den scharfen Geruch von Adrenalin und Angstschweiß, der sich mit dem von Alkohol, abgestandenem Rauch und Parfüm zu einer Wolke vermischte, die wie Nebel unter der Decke des Clubs hing. Mit einer Handbewegung wies er sein Team an, ihm weiter hinein ins Innere zu folgen. »Eli, du und Jax, ihr durchsucht die öffentlich zugänglichen Räume. Rafe und ich schauen uns in den Büros hinten um.«

Die beiden Krieger gehorchten seinem Befehl ohne ein weiteres Wort und marschierten los. Rafe drängte sich neben Nathan durch die Menge, um zu den Privaträumen des Besitzers vom LaNotte zu gelangen. Selbst als sie vor Cass’ Büros standen, tauchten nirgends Leibwächter auf, um sie aufzuhalten. Entweder hatte er sich unter die Gäste seines Clubs gemischt oder er war heute Abend gar nicht hier.

Nathan hoffte, dass Cass seiner Lieblingsbeschäftigung nachging und wichtigen Gästen Honig um den Mund schmierte. Wenn nicht, dann würde er so oder so von ihrem unangekündigten Besuch erfahren. Der Orden wollte auf keinen Fall, dass der Scheißkerl vorgewarnt war. Sie konnten nicht riskieren, dass er untertauchte, bevor sie ihn darüber befragen konnten, wer – oder besser gesagt was – er wirklich war.

Nathan schritt auf die schwarz gestrichene Stahltür zu, in die jemand mit der Spitze eines Sägemessers das Wort PRIVAT geritzt hatte. Das Bolzenschloss und die zusätzliche Verriegelung waren kein Problem für seine übersinnliche Gabe. Eine knappe Sekunde Konzentration, und schon öffnete sich der Bolzen und der Riegel fiel zur Seite.

Er drückte die Tür auf, Rafe folgte ihm in das dunkle Büro. Sie brauchten kein Licht anzumachen, denn als Stammesvampire verfügten sie über ein außergewöhnliches Sehvermögen, das im Dunkeln nur noch schärfer wurde.

Schnell blickte sich Nathan in dem leeren Raum um und fluchte. »Er ist schon abgehauen.«

Nirgends war eine Spur von Cassian Gray zu entdecken. Alle Papiere und persönlichen Dinge waren vom Schreibtisch geräumt worden. Nicht einmal mehr ein Tablet-PC lag herum, den sie praktischerweise hätten konfiszieren können. Das Büro war sorgsam leer geräumt worden und Cass schon mindestens seit ein paar Stunden weg, vermutete Nathan. Vielleicht sogar schon seit einem ganzen Tag oder noch länger.

»Verdammt«, presste er zwischen den Zähnen hervor.

Auf der anderen Seite des Zimmers hatte Rafe einen Büroschrank mit Akten und Wirtschaftsbüchern aufgebrochen. »Hier sind nur Buchhaltung und Quittungen. Bar-Ausstattung, Rechnungen für Schnaps, Verträge mit Bands, die im Club aufgetreten sind.« Der blonde Vampir warf Nathan einen schiefen Blick zu. »Was glaubst du, wo bewahrt Cass wohl die Unterlagen von den Geschäften auf, mit denen er wirklich Kohle einfährt? Hier steht kein Wort von der Kampfarena im Keller, nichts von illegalem Glücksspiel, Prostitution oder Bluthandel. Hier finden wir auch nichts über die anderen Aktivitäten, die das LaNotte sonst noch im Angebot hat.«

Nathan grunzte nur. Es war nicht gerade ein Geheimnis, dass Cass illegale und andere, ungewöhnliche Dienste in den Kellerräumen seines Clubs anbot, zu denen die Allgemeinheit keinen Zutritt hatte. Doch illegal oder nicht, Cass wahrte mit großer Sorgfalt seine eigenen Interessen und die seiner Kunden. Die Unterlagen über diese Bereiche seines Geschäfts lagerte er hundertprozentig nicht in den Büroräumen seines Clubs, sondern an einem weitaus sichereren Ort.

Nein, Cassian Gray war ein Mann, der genau wusste, wann und wie er seine Geheimnisse schützen konnte.

Rafe gab die Durchsuchung des Aktenschranks auf und schritt weiter nach hinten in das finstere Büro. »Hey, schau dir das mal an«, rief er Nathan über die Schulter zu. »Hier ist noch eine Tür.«

Er öffnete sie und stieß einen leisen Pfiff aus. »Mann, das musst du dir ansehen.«

Hinter der Tür befand sich ein Schlafzimmer. Ein übergroßes Himmelbett mit schwarzer Satinbettwäsche beherrschte den Raum. An den Leisten zwischen den Bettpfosten hingen jede Menge Lederriemen und eine ganze Reihe von Handschellen und Fesseln mit Schnallen, von denen einige mit scharfen Metalldornen versehen waren.

Rafe stieß ein dunkles Lachen aus. »Eins ist schon mal klar: Cassian Gray ist ein perverser Arsch, was immer er auch sonst sein mag.«

Nathan starrte auf die Requisiten für abartige Sexspiele und Folterungen, während sein Freund und Gefährte näher trat und eine der dornenbewehrten Fesseln zum Klirren brachte. »Lass das Zeug, Rafe. Hier verschwenden wir nur Zeit. Cass ist offensichtlich nicht da. Komm, wir suchen die anderen und hauen ab.«

Rafe ließ den Lederriemen aufs Bett fallen, und sie wandten sich gerade beide zur Tür, als Jax ihnen entgegenstürzte. Sein Gesichtausdruck war ernst und angespannt. »Wir haben ein Problem.«

»Habt ihr Cass gefunden?«, fragte Nathan.

Jax schüttelte den Kopf. »Aric Chase. Er ist unten bei den Käfigen. Mit Rune.«

»Verfluchte Scheiße«, zischte Rafe und stellte sich neben Nathan.

»Eli versucht gerade, die beiden auseinanderzubringen«, sagte Jax. »Aber Aric will nicht aufhören. Das wird gleich ziemlich hässlich da unten.«

Nathan stieß einen knurrenden Fluch aus. »Ist Carys auch hier?«

»Heute Nacht nicht«, sagte Rafe. »Sie ist im Kunstmuseum mit Jordana Gates. Die beiden veranstalten einen Empfang für die Förderer des Museums. Sie haben den Abend seit Monaten organisiert.«

Nathan nickte knapp, wenigstens waren von dieser Seite keine Probleme zu befürchten. Auf keinen Fall sollte Carys Chase mit ansehen, wie ihr Zwillingsbruder von dem brutalen Käfigkämpfer zusammengeschlagen wurde, mit dem sie seit Kurzem das Bett teilte.

Aber falls der Käfigkämpfer und die Tagwandlerin mehr als nur das Bett teilten – falls sie womöglich eine Blutsverbindung eingegangen waren –, dann war Aric sicher nicht der Einzige von den Chases, der Rune einen Tritt in seinen schwarzen Arsch verpassen wollte. Oder sich zumindest mit Rune anlegte. Shit, Nathan würde wahrscheinlich selbst mit auf ihn einprügeln.

Zusammen mit Rafe und Jax rannte er so schnell er konnte in Richtung der stahlvergitterten Kampfarena im Kellergeschoss des LaNotte. Röhrende Schreie und blutrünstiger Applaus donnerten durch den untersten...