Wir sind die Nacht - Roman

von: Wolfgang Hohlbein

Heyne, 2010

ISBN: 9783641050139 , 608 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Wir sind die Nacht - Roman


 

14 (S. 168-169)

Der Club konnte gerade erst aufgemacht haben. Der große Parkplatz, über den Charlotte den Wagen in einem halsbrecherischem Tempo gejagt hatte, wie Lena es nicht einmal Nora zugetraut hätte, war noch nicht einmal zur Hälfte besetzt. Trotzdem herrschte auf der Tanzfläche schon wieder Gedränge, und die aufpeitschende Techno-Musik kam ihr noch lauter und enervierender vor, als sie sie in Erinnerung hatte. Nora hätte vermutlich noch ein paar deutlich unangenehmere Dinge getan, hätte Charlotte sie nicht aus dem Lokal gezerrt und auf die Rückbank des Jaguars geschubst, wo Louise schon auf sie wartete.

Danach waren sie in Windeseile unter Missachtung sämtlicher Verkehrsregeln hierher gerast. »Was gibt es für einen Grund, schon wieder Trübsal zu blasen?« Zum Beispiel dich, dachte Lena, als sie Noras Stimme auch über die peitschende Techno-Musik hinweg deutlich erkannte. Mehr noch: Sie spürte nicht nur, dass jemand nahe an sie herangetreten war, sondern auch, wer es war. Konnte es sein, dachte sie beunruhigt, dass sie sie an ihrem Geruch erkannt hatte?

Ebenso deutlich, wie sie spürte, dass jemand hinter ihr stand, spürte sie auch, dass Nora sie nicht in Ruhe lassen würde. Sie drehte sich widerwillig zu ihr um und war im ersten Moment verwirrt, weil sie zu ihr hochsehen musste. Dabei war Nora allerhöchstens so groß wie sie. Erst dann wurde ihr klar, dass Nora nicht hinter ihr stand, sondern mit angezogenen Knien auf der Bar saß, eine brennende Zigarette in der linken und ein halb gefülltes Whiskyglas in der rechten Hand. Sie selbst hielt gerade ihr viertes oder fünftes Glas in der Hand. »Nun?«, sagte Nora. Lena hob die Schultern. »Tu ich nicht.« »Und warum versuchst du dann, dich zu betrinken?«

»Tu ich auch nicht«, behauptete Lena, erntete einen spöttischen Blick und verbesserte sich: »Also gut, ich versuche es.« »Aber es funktioniert nicht.« »Nein.« »Weil du es nicht zulässt.« »Blödsinn«, sagte Lena. »Das hier ist mein fünfter. Dabei mag ich das Zeug nicht einmal.« »Warum versuchst du dann seit einer Stunde, dich abzuschießen?«, fragte Nora und nahm einen gewaltigen Schluck aus ihrem Glas. Bei ihr schien der Alkohol durchaus zu wirken. Ihre Stimme klang ein bisschen schleppend, und Lena fiel jetzt auch auf, dass ihre Augen trüb waren. »Wie machst du das?«, fragte sie.

»Was?« Lena deutete auf ihr leeres Glas, dann auf das in Noras Hand und schließlich auf die brennende Zigarette. Der Rauch roch süßlich. »Dass das Zeug bei dir wirkt.« »Das tut es bei jedem«, antwortete Nora. »Du musst es nur zulassen, das ist alles. Ich verrate dir, wie es geht … wenn du mir erzählst, warum du dich mit aller Gewalt abschießen willst.« Lena schwieg. »Du weißt es selbst nicht«, vermutete Nora. Lena schwieg auch dazu, aber Nora war der Wahrheit ziemlich nahegekommen.

»Du weißt auch nicht, ob du hier sein willst«, fuhr Nora fort, trank ihr Glas leer und blies Lena eine Qualmwolke ins Gesicht, die durchdringend nach Marihuana roch. »Oder ob es dir gefällt. Du weißt nicht einmal, ob ich dir gefalle, oder Charlotte oder Louise. Du weißt nicht einmal mehr, ob du wirklich noch weißt, was du selbst bist.« Lena deutete auf die qualmende Zigarette.