Faunblut - Romantische Dark Fantasy voller Magie und Mystik

von: Nina Blazon

cbj Kinder- & Jugendbücher, 2009

ISBN: 9783641025175 , 480 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 7,99 EUR

  • Der Gebieter - Erotischer Roman
    Herz auf Sendung
    Tödliches Rendezvous - Ein Wien-Krimi
    Shibumi - Thriller
    Quest - Roman
    Männer sind schmutzig, Frauen auch - Die nackte Wahrheit über mein Leben als Frau
 

Mehr zum Inhalt

Faunblut - Romantische Dark Fantasy voller Magie und Mystik


 

Jäger und Gejagte
Auf den ersten Blick sahen sie erschreckend menschlich aus. Soweit Jade von ihrem Platz im Schatten der Mauer erkennen konnte, waren es nur zwei Gestalten. Sie standen mitten auf dem alten Rathausplatz und starrten nach oben, zu den gezackten Ruinenrändern der Häuser, die in den wirbelnden Wolkenhimmel ragten. Beide waren von Kopf bis Fuß verhüllt, aus dem Saum troff schmutziges Wasser. Sogar die Köpfe hatten sie bedeckt – der eine mit einem lumpigen Fetzen, der andere mit etwas, das ein Stück von einem feinmaschigen Fischernetz sein mochte. Im fahlen Licht des Frühsommermorgens lagen ihre Gesichter im Schatten, sodass es aussah, als stünden auf dem verlassenen Rathausplatz körperlose Wesen – Gespenster der ehemaligen Bewohner, die vor ihren zerstörten Behausungen warteten, wo Fensterhöhlen, so leer wie ihre unsichtbaren Gesichter, erbarmungslos gleichgültig zurückstarrten.
Jade drückte den Rucksack an ihre Brust und wich zur Mauer zurück. Obwohl der Morgen so kühl war, dass sie ihren Atem sehen konnte, fühlte sie sich plötzlich, als würde sie vor Fieber glühen. Sie atmete tief durch, um die Furcht nicht übermächtig werden zu lassen. Sie wusste, sie sollte, so schnell es ging, von diesem Ort verschwinden, dennoch blieb sie stehen, unfähig, den Blick abzuwenden. Gegen ihren Willen fasziniert, verfolgte sie die geschmeidigen Bewegungen, die den beiden Gestalten die Anmutung von Tänzern verliehen. Sie verrieten sich allein schon durch die Art, wie sie sich umsahen und einige Schritte weiterglitten, wie sie das Ausmaß der sie umgebenden Zerstörung in ihre Gesten und Haltung aufnahmen und spiegelten. Etwas Fließendes lag darin, zu flink und flüchtig, um menschlich zu sein. Vor dem ehemaligen Rathaus, von dem nur noch die von Einschusslöchern durchsiebte Front stand, blieben sie abermals stehen und sahen nach oben.
»Komm, weg hier!« Lilinns kräftige Hand legte sich auf ihre Schulter.
»Das... das sind Echos!«, wisperte Jade atemlos.
»Ich weiß. Sie dürfen uns nicht entdecken.«
Jade schluckte. Natürlich nicht. Nur zu gut erinnerte sie sich an den übel zugerichteten Leichnam eines Mannes, den Martyn und die anderen Flussleute vor einigen Wochen aus dem Hafenbecken geborgen hatten. Und auf dem Schwarzmarkt erzählte man sich, dass vor wenigen Tagen zwei Wächter der Lady aufgefunden worden waren – vor den Gittern des Goldenen Tores, mit Wunden im Genick und einem Ausdruck des Entsetzens auf den erstarrten Gesichtern.
Langsam zog sich Jade zurück, einen tastenden Schritt nach dem anderen, geduckt und so vorsichtig, dass nicht einmal der zerbröckelte Marmor unter ihren Schuhen knirschte. Noch vier Schritte, noch drei bis zum Ende der Mauer. Immer noch hielt sie ihren leeren Rucksack wie einen Schutzschild vor ihrer Brust. Ihre Nackenhärchen stellten sich auf bei dem Gedanken, dass tote Augen sie vielleicht längst im Schatten erspäht hatten und jede ihrer Bewegungen verfolgten. Jedenfalls hieß es, sie hätten tote Augen. Die Geschichten, die man den Kindern zuflüsterte, wenn sie nicht folgsam waren, erzählten von Bestienfratzen, Fangzähnen und einer Zunge, die so lang und scharf war wie ein Dolch und den Tod brachte. Andere beharrten darauf, dass die Echos Mumiengesichter hatten, nur die Augen, klar und grün wie die Wasser der Wila, würden leben und jeden lähmen, der zu tief hineinblickte.
Obwohl Jade vor Angst und Anspannung kaum Luft bekam, konnte sie einfach nicht anders: Kurz bevor sie hinter Lilinn um die Ecke huschte, warf sie einen raschen Blick zurück.
Die Echos waren verschwunden. Nur das Wasser, das aus den nassen, lumpenähnlichen Umhängen geflossen war, glänzte noch auf dem Steinboden.
»Lilinn! Sie sind fort!« Ihr Flüstern war kaum wahrnehmbar gewesen, doch die Köchin fuhr herum und runzelte besorgt die Stirn. Sie hatte nicht oft harte Augen, aber hier, im Schatten, glichen sie mehr denn je hellblauen Habichtaugen, ein Eindruck, der durch die Umrandung mit schwarzer Schminke noch betont wurde.
»Verdammt«, stieß sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Jade wusste, dass sie in diesem Moment dasselbe dachten. Sie wechselten einen stummen Blick, dann drückten sie sich an die nächste schützende Mauer und hielten den Atem an. Doch es war zu spät, um sich zu verstecken: Marmortrümmer knirschten unter schnellen Schritten. Und die Schritte kamen genau auf sie zu.
Dort entlang!, bedeutete Lilinn mit der Hand. Zur alten Schule!
Jade war schon oft geflohen – vor den Leuten der Lady, die den Schwarzmarkt aufgespürt hatten, vor Dieben und Betrunkenen. Und nicht zuletzt vor den Jägern, die sie selbst für eine Diebin hielten. Doch diesmal musste sie schneller sein – und leiser. Es wäre leicht gewesen, Lilinn zu überholen, die einen Rock trug und längst nicht so schnell war wie Jade, aber heute legte es Jade nicht darauf an, an ihr vorbeizuziehen. Lilinns langes Haar, das sie in einem kunstvoll gedrehten Zopf trug, tanzte bei jedem Schritt wie eine goldene Schlange. Lautlos schlüpften sie unter einem mit Efeu bewachsenen Türstock hindurch und huschten den breiten Flur entlang, über den einst Schüler gelaufen waren. Schon vor Jahren hatten Kletterpflanzen damit begonnen, die Mauern zu überwuchern, und selbst die eisigen Winter hatten sie nicht aufhalten können. Das Gebäude hatte kein Dach mehr, und wenn man nach oben blickte, konnte man die blassen, schlierigen Wolken sehen, die über den weißen Morgenhimmel zogen.
Jade kannte jeden Winkel der verbotenen Stadt, von der Halle, in der die Schüler an langen Tischen gesessen und gegessen hatten, bis hin zu der prächtigen, mit schwarzem Marmor gepflasterten Hauptstraße. Und auch den kleinen Marktplatz, die verwinkelten Gässchen und die Ruinen der Tuchhallen und Kontore, in denen die Händler früher Seidenstoffe und Pelze gehortet hatten. Geschwungene Steinbrücken führten über die Kanäle, die vom Stadtfluss Wila abzweigten. Schlingpflanzen hatten sich unter den Brücken verfangen und streckten ihre blassgrünen Finger nach den bemoosten Treppen aus.
Jade und Lilinn hasteten durch einen Hinterhof und von dort aus über die hoch gewölbte, schmale Brücke, die die Flussleute den »Katzenbuckel« nannten. Sie umrundeten eine halb zerfallene Kirche und liefen auf einen prächtigen Stadtpalast zu, dessen zwei Marmorfiguren in Form von bärtigen Riesen nicht mehr das Dach, sondern nur noch den Himmel trugen.
An der Hausecke des Palasts verharrte Jade, hastig atmend, bemüht, kein Geräusch zu machen, obwohl sie das Gefühl hatte, ihr Herzschlag müsse in den Gassen widerhallen. Echos, so sagte man, hatten ein gutes Gehör, besser als Katzen.
Angespannt lauschte sie. Kein Scharren, kein Geräusch, aber dennoch – da war etwas, ein Blick, den sie als Gänsehaut spüren konnte. Sie zuckte zusammen, als Lilinn sie warnend mit dem Ellbogen anstieß, aber längst hatte sie es auch wahrgenommen: Hundegebell, dumpf und weit entfernt, doch schnell lauter werdend. Die Leute der Lady. Das hatte gerade noch gefehlt! Hatten sie die Echos bereits entdeckt? Oder war es die Spur der Menschen, die die Jagdhunde aufgenommen hatten?
Lilinn und Jade wechselten einen gehetzten Blick und sahen sich um. Es war die ungünstigste Stelle für eine Flucht. Von einem kleinen Sternplatz neben dem Haus zweigten Gassen und Wege ab. Welche Richtung sie auch wählten – sobald sie sich vom Haus entfernten, würden sie möglicherweise gesehen werden. Vielleicht lauerten die Echos bereits hinter der Ecke und warteten nur darauf, dass die beiden Menschen ihnen in die Fänge liefen?
Jade schielte nach oben. Ein Marmorriese starrte grimmig auf sie herunter. Im Schatten der gewaltigen Steinmuskeln hatte eine Taube ihr Nest in seiner Armbeuge gebaut. Ein sicherer Platz in der Stadt voller streunender Katzen und Köter. Und ganz bestimmt ein guter Aussichtspunkt.
Lilinn runzelte fragend die Stirn, als Jade ihren Rucksack auf den Boden legte und sich ihrer Schuhe entledigte. Doch als sie erkannte, was Jade vorhatte, schnappte sie entsetzt nach Luft. Sie sprang vor und wollte sie am Ärmel packen, doch Jade war schneller. Längst hatte sie mit den Fingern einen Mauerspalt ertastet. Rasch hangelte sie sich an der Wand des Stadtpalastes nach oben. Hier zu klettern, war nicht besonders schwierig, in der Mauer fehlten Steine, und selbst das Bein des Riesen war voller Scharten, die ihren Zehen als Kletterschwellen dienen konnten. Jetzt war sie froh, dass sie an diesem Tag die weiten Leinenhosen angezogen hatte, die ihr genug Bewegungsspielraum ließen. Als sie einen kurzen Blick über die Schulter zurückwarf, sah sie Lilinn. Sie war eine auffallend ruhige, kühle Schönheit, jetzt aber glühten ihre Wangen rot und die Augen funkelten vor mühsam verhaltener Wut. Runter!, befahl ihre herrische Geste, aber Jade schüttelte den Kopf und kletterte weiter. Hand über Hand zog sie sich hoch, wobei sie darauf achtete, im Sichtschutz des Marmorriesen zu bleiben. Rauer Stein kratzte über ihre Handflächen. Ihre Muskeln pochten bereits nach wenigen Metern, und an...