Teufelskrone - Ein Waringham-Roman. Historischer Roman

von: Rebecca Gablé

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2019

ISBN: 9783732577750 , 926 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 11,99 EUR

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Teufelskrone - Ein Waringham-Roman. Historischer Roman


 

Prolog


Erdberg, Dezember 1192


»Wir haben die Schlacht von Arsuf überlebt, wir werden auch dies hier überstehen«, sagte Richard grimmig. Todesmutig führte er den Rührlöffel an die Lippen und kostete den zähflüssigen Brei, dessen schlammige Farbe und Beschaffenheit nichts Gutes verhießen. Mit einem gedämpften Protestlaut ließ er den Rest vom Löffel zurück in den Kessel tropfen und rührte in der blubbernden Masse. »Allmächtiger … Das ist wirklich schauderhaft.«

Einer der beiden abgerissenen Pilger, die mit ihm am qualmenden Herdfeuer standen, verschränkte die Arme und seufzte. »Sagtest du nicht kürzlich, du wüsstest zu gerne einmal, was er nicht kann, Guillaume? Ich schätze, wir sind im Begriff, es he­raus­zufinden.«

Guillaume grinste abwesend und sah zum Dachstuhl hinauf, dessen geschwärzte Balken vernehmlich knarrten, weil der eisige Dezemberwind durch die Strohschindeln pfiff. »Wetter hin oder her, wir sollten aufbrechen«, riet er leise, aber eindringlich. »Wir sind schon zu lange hier.«

»Oh, jetzt mach dir nicht ins Hemd«, entgegnete sein Gefährte unbekümmert. »Morgen Abend sind wir in Mähren, und dann hat der ganze Spuk ein Ende.«

»Bis morgen Abend kann noch viel passieren, Maurice. Außerdem sind es mindestens fünfzig Meilen bis zur Grenze, und der Schnee liegt jetzt schon eine Elle hoch. Also …«

»Du hast ja recht«, unterbrach Richard ihn beschwichtigend. »Aber wenn wir jetzt aufbrechen, kommen wir nirgendwohin, Freunde, weil die Pferde erfrieren würden und wir vermutlich auch.« Er schob den Kessel beiseite, der an einem langen, schwenkbaren Eisenhaken über dem Feuer hing, und drehte ungeschickt den Spieß mit dem mageren Huhn gleich daneben, den Blick auf die schwärzlich verbrannte Haut gerichtet. Selbst im Schummerlicht dieses erbärmlichen Gasthauses schienen seine stahlblauen Augen zu leuchten. Vitalität, Klugheit, die unerbittliche Beharrlichkeit eines Visionärs – all das war in diesen Augen zu lesen, aber die Züge verrieten seine tiefe Erschöpfung. Sie waren alle müde nach den Wochen der Flucht, und keiner von ihnen konnte dem Ritt durch die Winternacht wirklich ins Auge sehen, auch Guillaume nicht.

»Soll ich vielleicht?«, fragte er und zeigte auf das Huhn.

»Kommt nicht infrage«, gab Richard kurz angebunden zurück. »Willst du etwa behaupten, ich sei nicht einmal in der Lage, ein Huhn zu braten?«

»Wie oft habt Ihr es denn schon gemacht?«, wollte Maurice wissen.

»Alles hat ein erstes Mal«, gab der Koch leichthin zurück, und seine Gefährten lachten.

Der fette Wirt, der mit einem Mönch und einem halben Dutzend Bauern aus der Gegend an einem der Tische saß, schaute verstohlen zu ihnen herüber, die Augen verengt, den Mund verkniffen. Die drei fremdländischen Pilger waren ihm nicht geheuer. Sie reisten in schäbigen Kleidern und ohne Dienerschaft, sodass sie sogar ihr eigenes Essen kochen mussten, aber sie waren mit den kostbarsten Pferden gekommen, die man in Erdberg seit Menschengedenken gesehen hatte. Auch die einheimischen Zecher betrachteten die sonderbaren Reisenden furchtsam. Erdberg lag kaum mehr als einen Bogenschuss von den Toren Wiens entfernt, aber dennoch waren Fremde hier weder häufig noch gern gesehen.

»Mehr Wein!«, orderte Richard, und während er mit der Rechten weiter den Spieß drehte, fischte er mit zwei Fingern der Linken eine Goldmünze aus der Börse am Gürtel und schnipste sie dem Wirt zu.

Sie beschrieb einen funkelnden Bogen durch den verqualmten Raum, wie ein Komet in einer sternlosen Nacht. Der Wirt hob im letztmöglichen Moment die Hand, fing die Münze auf und starrte einen Moment darauf hinab. »Das kann ich nicht wechseln«, nörgelte er.

Richard verstand die Worte nicht, wohl aber den Sinn, und winkte gleichgültig ab. »Schon gut. Aber mehr Wein, wenn du hast?« Er sprach überdeutlich und mit untypischer Nachsicht, als hätte er ein verängstigtes Kind vor sich.

Der Wirt erhob sich ächzend, ging in die finsteren Regionen am Ende des Schankraums, wo seine Fässer standen, und man hörte das dumpfe Scheppern eines Zinnkrugs.

Der Wind legte noch einmal zu und heulte mit Furienstimmen um das Gasthaus.

»Ich hoffe, diese jämmerliche Spelunke wird nicht einfach umgepustet«, murmelte Maurice. Es sollte verächtlich klingen, aber man hörte sein Unbehagen.

Plötzlich hob Guillaume den Kopf. »Reiter.«

»Oh, komm schon«, protestierte Maurice. »Erzähl mir nicht, du kannst bei dem Geheul Hufschlag im Schnee hören oder …«

»Schsch«, unterbrach Richard knapp. Er schenkte seine volle Aufmerksamkeit wieder dem Brathühnchen und machte scheinbar zufällig eine Vierteldrehung, sodass er den breiten Rücken der Tür zuwandte.

Der alte Wirt kam herübergeschlurft und stellte einen Krug auf das leere Fass, das ihnen als Tisch diente. »Wohl bekomm’s.«

Becher gab es nicht, also setzte Richard den Zinnkrug an die Lippen und trank. Er reichte den Krug an Guillaume weiter, als sich knarrend die Tür öffnete.

In einer gewaltigen Schneewolke drängelten sich vier gerüstete Männer über die Schwelle, zwei die gezückten Schwerter in der Hand, zwei mit Fackeln.

Die Bauern verstummten und starrten die Ankömmlinge an, reglos wie Kaninchen vor der Schlange. Der Wirt versuchte, seine Furcht zu verbergen, und fragte mit aufgesetzter Herzlichkeit: »Was kann ich für Euch tun, edle Herren?«

Sie würdigten ihn keiner Antwort, sondern traten langsam zu Richard und seinen Gefährten.

»Drei Pilger, sieh mal einer an«, sagte der Vordere, dessen schwarzer Bart und Augenbrauen schneeverkrustet waren. Er sprach wenigstens so etwas Ähnliches wie Französisch, sodass sie ihn verstehen konnten. Ein zerfranstes Kreuz zierte seinen Mantel. Wer lange genug im Heiligen Land gewesen war, lernte früher oder später zwangsläufig ein paar Brocken Französisch, denn es war die Sprache des christlichen Königreichs Jerusalem.

»Gott sei mit Euch, Freund«, grüßte Maurice und hielt ihm einladend den Weinkrug hin.

»Was verschlägt Euch in diese abgelegene Gegend so fernab aller Pilgerstraßen?«, beharrte der Bärtige, ohne den Krug anzunehmen.

»Unwägbarkeiten auf der Heimreise«, antwortete Richard.

»Wie bedauerlich. Habt Ihr etwa in Aquileja Schiffbruch erlitten?«

»Aquileja? Wie kommt Ihr denn darauf?«, verwunderte sich der ungeschickte Koch.

Maurice und Guillaume tauschten einen sehr verstohlenen, sehr beunruhigten Blick.

»Wir hörten so ein Gerücht«, erwiderte Schwarzbart leichthin. »Von einem Heimkehrer aus dem Heiligen Krieg, der vor Korfu sein Schiff im Sturm verlor, ein Piratenschiff kaperte, um die Reise fortzusetzen, nur um dann vor Istrien schon wieder Schiffbruch zu erleiden.«

»Das muss ja ein wilder Geselle sein«, spöttelte Guillaume.

Schwarzbart nickte. »Deswegen nennen sie ihn Löwenherz.«

»Nun, wir sind auf dem Landweg aus dem Heiligen Land zurückgekehrt, denn wir sind arme Pilger, wie Ihr seht«, erklärte Maurice. »Wir haben kein Gold, um Schiffe zu bezahlen.«

»Wirklich?«, fragte Schwarzbart amüsiert und wies auf die Hand, mit der Richard den Spieß drehte. »Ich wette, mit dem Klunker hättet Ihr eine ganze Flotte bezahlen können.«

Betreten starrte Richard auf den kostbaren Smaragdring am rechten Zeigefinger, den abzunehmen er irgendwie vergessen hatte.

Der zweite Ankömmling, der die blanke Klinge in der Hand hielt, trat aus dem Halbdunkel nahe der Tür in den zuckenden Fackelschein und streifte mit der freien Hand seine Kapuze zurück. »Gott zum Gruße, edler König. Ihr ahnt nicht, welche Freude es ist, Euch wiederzusehen.«

Richard gab die Verstellung auf. »Herzog Leopold. Ich hoffe, Ihr vergebt, dass meine Freude sich in Grenzen hält.«

Der Herzog von Österreich lächelte, und der Hass, der in seinen dunklen Augen funkelte, konnte einem den Atem verschlagen. »Ich verhafte Euch im Namen des Kaisers.«

»Tatsächlich?« Scheinbar gedankenverloren nahm Richard den geschwärzten eisernen Spieß vom Feuer.

Sie hatten die Waffen abgelegt, um den Bauern die Furcht zu nehmen, und das rächte sich nun. Aber der Bratspieß war lang und spitz. Mit einem eleganten Aufwärtsschwung lehrte der König von England das halb verbrannte, halb rohe Brathühnchen das Fliegen, und es entschwand Richtung Dachgebälk. Gerade als Richard sich Leopold mit seiner sonderbaren Waffe zum Kampf stellen wollte, öffnete die Tür des Gasthauses sich erneut, und fünf weitere bewaffnete und gerüstete Männer stürmten herein.

Guillaume und Maurice hatten ihre Schwerter in den Binsen hinter der Sitzbank fast erreicht, als vier der Neuankömmlinge sich auf sie stürzten und sie an den Armen packten. Hände tasteten unter ihren Pilgermänteln, suchten und fanden die dort verborgenen Dolche und warfen sie auf den Boden.

Herzog Leopold machte noch einen Schritt auf Richard zu. »Ergebt Euch. Selbst Ihr müsst einsehen, dass Ihr keine Chance habt.«

Die unverkennbare Nervosität in seiner Stimme war immerhin ein Trost. Richard Löwenherz, so sagte die Legende, war der größte Feldherr seines Zeitalters, ein unbezwingbarer Schwertkämpfer obendrein, egal wie groß die feindliche Übermacht.

Doch die Legende übertrieb. Nicht einmal Richard Löwenherz konnte mit einem Bratspieß eine feindliche Übermacht von neun zu eins besiegen. Und er dachte nicht daran, sich bei dem Versuch zum Gespött zu machen.

Also warf er Leopold den Spieß...