British Knight

von: Louise Bay

LYX, 2019

ISBN: 9783736310124 , 379 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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British Knight


 

1. KAPITEL


VIOLET

Männer und Cocktails gehörten zu den Dingen, mit denen ich mir die Zeit am liebsten vertrieb, und ich sorgte dafür, dass ich jeden Tag viel davon bekam – entweder vom einen oder vom anderen. »Prost.« Ich hob das Glas und stieß mit zwei der Menschen an, die ich auf dieser Welt am meisten schätzte – meine Schwester Scarlett und ihre Schwägerin Darcy. Wir befanden uns in einer schicken Bar in SoHo, in der ein Drink ungefähr doppelt so viel kostet wie ein Auto. Es war Darcys erster Abend in New York City, und ich dachte nicht daran, irgendetwas zu bezahlen, denn einen Job, zu dem ich am Tag danach würde erscheinen müssen, hatte ich nicht mehr. Ich bewunderte Darcy und bekam sie viel zu selten zu Gesicht, weil sie in England lebte, darum würde ich mich an diesem Abend ausschließlich auf das Positive konzentrieren. Vielleicht konnte ich dafür sorgen, dass sie Sex als Willkommensgeschenk bekam? Sex sorgte bei mir immer für gute Laune. Bestimmt würde ich jemanden finden, mit dem ich nach Hause gehen konnte. Ich musste die schreckliche Woche vergessen, die hinter mir lag, und dafür würde eine meiner Lieblingsbeschäftigungen vermutlich nicht ausreichen. Ich brauchte Alkohol und einen Mann.

»Gibt es in England eigentlich einen Mann, den du besonders magst?«, fragte Scarlett jetzt Darcy. »Einen, bei dem du schwach wirst?«

Ich stöhnte. »Sie ist doch nicht Aschenputtel. Sie ist eine clevere, selbstsichere Frau und kann garantiert keinen Mann gebrauchen, der sie schwach macht. Frag sie lieber mal, ob sie in letzter Zeit guten Sex gehabt hat.«

»Ich weiß, dass sie clever und selbstbewusst ist, aber einen Ritter in glänzender Rüstung kann man doch immer gebrauchen«, erwiderte Scarlett.

»Ach, ich wünschte, ich hätte eine Schwester«, sagte Darcy und lächelte uns an.

Scarlett und ich gerieten häufig aneinander, weil wir ausgesprochen gegensätzlich waren. Sie war zum zweiten Mal verheiratet. Ich hingegen verspürte nicht den Wunsch, mich an einen einzigen Mann zu binden. Scarlett machte Karriere, während ich nicht mal in der Lage war, einen Job als Kellnerin zu behalten. Sie hatte zwei Kinder, und ich durfte in meiner Wohnung nicht mal eine Katze halten.

Sie würde mich umbringen, wenn sie herausfand, dass ich entlassen worden war.

Aber sie war meine Schwester, und ich liebte sie.

»Eine Schwester zu haben, ist toll«, bestätigte Scarlett, »ich wünschte nur, sie würde öfter auf mich hören.«

»Finde dich endlich damit ab, dass nicht jede ein Haus in Connecticut, einen perfekten Ehemann und zwei perfekte, wenn auch sehr laute Kinder haben will.« Suchend blickte ich mich im Raum um. Was ich mir wünschte, war wilder Sex mit jemandem, der mich vergessen ließ, was am nächsten Tag passieren oder eben nicht passieren würde. Aber bislang war mir niemand ins Auge gefallen.

»Ich will doch nur, dass du glücklich bist«, sagte Scarlett und legte den Kopf schief.

»Na, dann sind wir ja schon zu zweit.« Das Mitleid meiner Schwester war das Letzte, was ich brauchte. Vor allem an einem Tag wie diesem. »Okay, was hast du in New York alles vor?«, fragte ich Darcy. »Wenn du willst, klappere ich mit dir die typischen Sehenswürdigkeiten ab.«

»Musst du denn nicht arbeiten?«, fragte Scarlett.

Das Problem an der Nähe zwischen meiner Schwester und mir bestand darin, dass wir zwar völlig unterschiedlich waren, einander aber dennoch nichts verheimlichen konnten.

»Doch, aber ich kann mir die Arbeitszeit so einteilen, wie es mir passt. Ich möchte, dass du dich gut amüsierst, Darcy.« Ich trank einen weiteren Schluck Cocktail und mied den durchdringenden Blick meiner Schwester.

»Oh, Violet! Du hast doch nicht schon wieder deinen Job geschmissen, oder?«

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Scarlett Kopf und Schultern sinken ließ.

»Nicht direkt«, sagte ich.

Ich wollte ihren enttäuschten Blick nicht sehen. Konnte sie sich nicht einfach damit abfinden, dass ich kein Interesse an einer hochfliegenden Karriere hatte? Das Leben hatte mir mehr als einmal gezeigt, dass es wichtig war, den Augenblick zu genießen und dass man sich um den nächsten Tag erst kümmern musste, wenn er gekommen war.

»Nicht direkt?«, fragte sie. »Ich dachte, du mochtest die Mädels an deinem Arbeitsplatz?«

»Ja.« Die anderen Kellnerinnen waren sehr lustig und die Trinkgelder sogar großartig gewesen. »Aber ich bin nicht bereit, einfach hinzunehmen, dass man mir bei der Arbeit an den Hintern grabscht.«

»Wer hat dir denn an den Hintern gefasst?«, fragte Darcy.

»Einer von den Stammgästen. Er macht das zwar bei allen, aber deswegen ist es noch lange nicht okay.«

»Natürlich nicht. Du hast also gekündigt?«, fragte Scarlett.

»Nein, ich habe ›Sie schmieriger Scheißkerl‹ zu ihm gesagt und bin gefeuert worden«, erklärte ich und hoffte, dass das Thema damit beendet war. An diesem Arbeitsplatz hatte ich mit Arschlöchern weiß Gott genug zu tun gehabt – ich wollte keine Zeit vergeuden, indem ich auch noch an sie dachte. »Hoffentlich führt das wenigstens dazu, dass er die anderen Kellnerinnen in Ruhe lässt, eine Zeit lang zumindest.«

Ich hatte entdeckt, dass ich Enttäuschungen im Leben vermeiden konnte, wenn ich kaum etwas erwartete, und der beste Weg, meine Erwartungen gering zu halten, war der, mich niemals wirklich einzulassen. Egal, ob es um einen Job oder einen Mann ging – nichts davon behielt ich lange genug, um Gefühle zu investieren, und das bedeutete, dass ich beides jederzeit aufgeben konnte, ohne darunter zu leiden. Einen Job zu verlieren, war kein Problem für mich – darüber war ich in dem Augenblick hinweg, in dem ich den Arbeitsplatz verließ. Kein Geld zu haben, stellte mich hingegen vor deutlich größere Probleme.

Scarlett seufzte. »Es sieht dir gar nicht ähnlich, so die Beherrschung zu verlieren. Natürlich darf der Typ keiner von euch an den Hintern fassen, aber …«

»Erwartest du etwa von mir, dass ich meine Wut einfach runterschlucke?«

»Natürlich nicht. Ich wollte damit nur sagen, dass es untypisch für dich ist, so die Beherrschung zu verlieren. Ich mache mir Sorgen um dich. Liegt es an der Nachricht von gestern?«

»Welche Nachricht denn?«, fragte ich in gespielter Ahnungslosigkeit. Ich war eine furchtbar schlechte Lügnerin. Ungefähr die schlechteste, die man sich vorstellen kann. Aber ich wollte auf keinen Fall über meinen Exfreund und die Nachricht reden, die am Tag zuvor im Wirtschaftsteil der Zeitung gestanden hatte: dass er die Firma übernehmen würde, die wir zusammen gegründet hatten.

Dies war genau die Art von Gespräch, die ich am liebsten vermied.

»Regt dich das denn gar nicht auf?«, fragte Scarlett, die genau wusste, dass ich gelogen hatte.

»Überhaupt nicht. Du weißt, dass ich längst darüber hinweg bin. Das ist doch Jahre her.« Dass mein Freund aus der Collegezeit mich betrogen und mir die Firma abgenommen hatte, für deren Aufbau ich so hart gearbeitet hatte, war jetzt fast vier Jahre her. »Wie gesagt, das Leben ist schön.«

Ich hatte tatsächlich geglaubt, über die Sache hinweg zu sein. Aber die Nachricht am Tag zuvor hatte mich schockiert, und viele Gefühle waren wieder hochgekommen. Ich genoss mein Leben – meistens jedenfalls. Ich hatte eine fantastische Familie, gute Freunde, und ich musste mir keine Sorgen machen oder schwierige Entscheidungen treffen, all das stressige Zeug, mit dem man zu tun hat, wenn man ein eigenes Unternehmen leitet. Allerdings führte ich ein anderes Leben als das, von dem ich geglaubt hatte, dass ich es eines Tages führen würde. Ich war immer davon ausgegangen, dass ich die Frau neben David auf dem Foto in der Zeitung sein würde. Wir wären verheiratet, hätten vielleicht ein oder zwei Kinder – ein richtiges Powerpaar. Stattdessen hatte David eine andere geheiratet und würde in wenigen Monaten an der Börse verzeichnet sein, während ich noch immer als Kellnerin arbeitete.

Scarlett griff über den Tisch und drückte mir die Hand. »Ich finde es toll, dass du glücklich bist. Aber mal ehrlich: Manchmal ist es auch gut, einen Plan zu haben, nur zur Abwechslung. Habe ich recht, Darcy?«

Dass sie Darcy in dieses Gespräch miteinbezog, war ein Schlag unter die Gürtellinie. Das Mädchen hatte keine Ahnung, wie konfliktgeladen diese Frage zwischen meiner Schwester und mir war.

»Also, ich plane wahnsinnig gern«, sagte Darcy. »Ich steigere nach und nach die Erträge aus dem Vermögen. Innerhalb der nächsten drei Jahre rechnen wir mit einem Sprung von ungefähr fünfzehn Prozent. Wenn es so weit ist, werde ich einen Hofladen eröffnen und lokale Erzeugnisse verkaufen. Außerdem möchte ich vor meinem fünfunddreißigsten Geburtstag gern ein Kind adoptieren. Oh, und falls ein Ritter in glänzender Rüstung vorbeikommt, würde ich vielleicht nicht gleich schwach werden, aber wenn er mit mir essen geht und mir eine Fußmassage verabreicht, sage ich nicht Nein. Geschäft, Kinder, Fußmassage. In dieser Reihenfolge.«

Ich lachte über ihre To-do-Liste. Darcy wirkte immer so unbekümmert, aber wenn ich genauer darüber nachdachte, musste sie überaus organisiert und kompetent sein, um das ländliche Anwesen ihrer Familie zu führen. Und sie machte ihren Job offensichtlich sehr gut.

»Hast du schon mal darüber nachgedacht, wieder aufs College zu gehen?«, fragte Scarlett mich.

»Ist das dein Ernst? Aufs College?« Mit meiner Zeit auf dem College...