Band 2 - Ach, wär ich nur zu Hause geblieben

von: Kerstin Gier

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2011

ISBN: 9783838712697 , 50 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 0,99 EUR

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Band 2 - Ach, wär ich nur zu Hause geblieben


 

"Frau-Schachtmann-Phobie (S. 22-23)

oder die Angst, im Urlaub Bekannten über den Weg zu laufen


Meine Schwägerin hat ihren alten Schulfreund nach zwanzig Jahren wiedergetroffen, und zwar auf einem Campingplatz in der Nähe von Brisbane in Australien. Und als wir vor drei Jahren in Vancouver in einem vietnamesischen Restaurant saßen, setzte sich Franks alter Volleyballtrainer an den Nachbartisch.

»Wie ist die Welt doch klein«, hat mein Vater schon immer gesagt, und das ist mir, ganz ehrlich, richtig unheimlich. Manchmal mag es ja lustig sein, dass einem ausgerechnet im Urlaub jemand über den Weg läuft, den man schon Jahre nicht mehr gesehen hat, aber manchmal ist es auch echt lästig. Oder peinlich. Oder mysteriös. Oder, wie im Falle von Frau Schachtmann, alles auf einmal. Mysteriös war, dass ich Frau Schachtmann, die mit meiner Mutter Tennis spielte und eine Tochter, Silke, in meinem Alter hatte, nicht nur einmal im Urlaub getroffen habe, sondern mittlerweile sogar sechsmal.

Ich traf sie gleich nach dem Abitur in Arosa im Sessellift, wo sie mir erzählte, dass Silke in Florenz Architektur studierte und mich fragte, ob ich zugenommen hätte. Ich traf sie in einem Eiscafé am Lago Maggiore, wo sie mir erzählte, dass Silke mit einem Architekten verlobt sei und mich fragte, ob ich zugenommen hätte. Ich traf sie in einer Boutique in Positano, wo sie mir erzählte, dass Silke mit dem Architekten eine Eigentumswohnung gekauft hatte und mich fragte, ob ich zugenommen hätte. Allmählich hatte ich es satt, Frau Schachtmann zu treffen. Ich gewöhnte mir an, im Urlaub Kopftücher und Sonnenbrillen zu tragen.

Auch als ich mit Bono, meinem Exfreund, in Paris unterwegs war. Wir machten, was ich am liebsten mache, wenn ich in Paris bin: durch die Gegend laufen. Wir schlenderten durch das Marais, fotografierten Gaukler im Jardin du Luxembourg und marschierten die Rue Mufftard auf und ab, bis ich mich entschieden hatte, welche Art von belegtem Baguette ich denn nun nehmen wollte. Am dritten Tag vertraute Bono mir an, dass er von meinem Programm ein wenig enttäuscht sei. Er sagte, er habe sich doch mehr typisch pariserische Sehenswürdigkeiten erhofft. »Jetzt sag bloß, du willst auf den Eiffelturm«, sagte ich verächtlich."