Schwarze Seide

von: Tereza Vanek

Ulrike Helmer Verlag, 2016

ISBN: 9783897419803 , 380 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 14,99 EUR

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Schwarze Seide


 

20. März 1787


Es ist inzwischen so viel geschehen, ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Wir sind hier in einem Herrenhaus auf dem Lande untergekommen, einige Meilen von Bristol entfernt. Marie Luise meint, wir könnten einmal einen Ausflug ans Meer machen, aber es ist immer noch recht frisch draußen. In der Nachbarschaft befinden sich ein paar kleinere Dörfer, deren Bewohner die Pächter der Cavenders sind. Diese Einnahmen reichen aber nicht, um einen Lebensstil entsprechend den Ansprüchen von Anthony Cavender zu ermöglichen. Das meiste Geld stammt wohl von der Zuckerplantage in Jamaika. Diese Plantage hat er vergrößert und ausgebaut – mit Hilfe von Marie Luises beachtlicher Mitgift, wie ich vermute. Nun ist er mit seiner Familie wieder nach England zurückgekehrt, denn die Plantage scheint zu seiner Zufriedenheit zu laufen und er hat einen vertrauenswürdigen Aufseher gefunden, der in seiner Abwesenheit nach dem Rechten sieht.

Die Cavenders sind Sklavenhalter! Ich hätte es mir eigentlich denken können, aber es wurde mir zuvor nicht wirklich bewusst. Marie Luise erwähnte in den wenigen Briefen, die sie mir nach ihrer Hochzeit schickte, jedenfalls keine Sklaven und scheint auch jetzt nicht sonderlich willens, auf dieses Thema einzugehen. Sie erzählte mir, die Leute würden aus Afrika geholt, wo sie als Wilde hausen. Die Sklaverei würde sie der Zivilisation und dem rechten Glauben näher bringen. Außerdem seien sie keine vollwertigen Menschen. Bei ihrer Ankunft wären sie zum Beispiel nicht in der Lage zu sprechen, sondern müssten dies erst allmählich lernen. Mir kam das seltsam vor, denn zwar mag man Tieren die Nachahmung menschlicher Laute beibringen können, doch nicht das Bilden zusammenhängender Sätze. Aus den Büchern meines Vaters weiß ich auch, dass die Wilden durchaus ihre Sprachen haben. Reisende berichten davon. Vermutlich sprechen diese Afrikaner also Sprachen, die wir nicht verstehen, und lernen erst allmählich die unsere.

Marie Luise schien verärgert, als ich ihr widersprach. Sie ist überhaupt sehr empfindlich geworden. Bei ihrer Rechtfertigung der Sklaverei klang sie wie ein braves Schulmädchen, das einen auswendig gelernten Text aufsagt.

»Ich verstehe nicht, worüber du dich aufregst. In Russland versklavt ihr sogar eure eigenen Leute.«

Ich hatte mich eigentlich nicht aufgeregt. Und sie hatte Recht. Mein Vater hatte mir von den Leibeignen erzählt, die dazu verpflichtet waren, auf den Feldern der Serbinskijs zu arbeiten oder von ihren eigenen Einkünften Abgaben zu entrichten. Zwar hatten der Zwist meines Vaters mit seiner Familie sowie der Einfluss meiner fortschrittlichen Mutter dazu geführt, dass er auf den größten Teil seines Erbes verzichtete, aber auch das Wenige, was ihm sein Schwager regelmäßig schickte, war auf dem Rücken jener Menschen gewonnen, die ohne Lohn für meine Familie arbeiten mussten. »Seelen«, so nennt man sie. Meine Tante in Moskau besitzt mehrere tausend Seelen, also männliche Leibeigene, denn die Frauen zählen nicht. Ich lag als Kind manchmal im Bett und dachte an jene Seelen, die in weiter Ferne für mich arbeiteten, doch sah ich sie mehr als Geister oder Engel denn als echte Menschen. Denn wären sie einfach nur Menschen gewesen, wie sehr mussten sie mich dann hassen …

Die einzige Leibeigene, welche ich jemals zu Gesicht bekam, war Jelena. Sie trat einige Monate nach dem Tod meiner Mutter in mein Leben, doch war ich damals noch so jung, dass ich mich an diesen Moment ebenso wenig erinnern kann wie an meine Mutter. Jelena, ein Mädchen von 15 Jahren, übernahm ihre Rolle. Mein Vater brachte sie damals aus Russland mit. Er war dorthin zurückgekehrt, um sich mit meinem Großvater und meiner Tante zu versöhnen, um meinetwillen, wie er stets behauptete, denn ich sollte nicht ohne Vermögen und Angehörige leben müssen. Aber die offen gezeigte Abneigung gegen seine mittlerweile verstorbene Frau machte es ihm unmöglich, mich zu meinen Verwandten zu bringen. Er wollte, dass ich eines Tages stolz sei auf meine Mutter und nicht dazu erzogen würde, sie wegen ihrer bürgerlichen Herkunft oder gar ihrer politischen Ideale abzulehnen. Jelena zu erwerben hatte er aber nicht geplant, und es dauerte lange, bis er mir erzählte, wie diese Leibeigene in seinen Besitz gekommen war.

Er gewann Jelena bei einem Kartenspiel. Betrunken war er gewesen, wie er immer zu seiner Entschuldigung wiederholte, als sei meine Mutter, eine überzeugte Gegnerin der Leibeigenschaft, am Tisch zugegen und starre ihn vorwurfsvoll an. Betrunken aus Kummer über ihren Tod, nach dem er allein in der Fremde zurückgeblieben war. Betrunken, weil eine Versöhnung mit seiner Familie unmöglich schien und es daher wohl sein Los sein würde, auch weiterhin allein in dieser Fremde zu bleiben. Der Graf Baranzov, ein Bekannter aus früheren Jahren, schenkte ihm kräftig Wodka ein und mischte die Karten bei immer höherem Einsatz. Mein Vater bekam nicht mehr mit, dass er am Ende der Sieger war, aber der Graf Baranzov blieb ehrenhaft genug, ihm den Gewinn trotzdem zu überlassen: ein fünfzehnjähriges Mädchen.

Der Graf Baranzov hatte sich aus seinen Leibeigenen eine Art persönlichen Harem zusammengestellt. Dorfmädchen, die ihm bei gelegentlichen Besuchen auf dem Land ins Auge stachen, wurden in seinem Stadtpalais untergebracht, hübsch eingekleidet und mit ausreichend Nahrung versorgt. Es erging ihnen nicht schlecht, solange sie die Wünsche des Grafen erfüllten, und manche dieser Mädchen mochten froh über ihr Schicksal gewesen sein, denn das Leben der einfachen Bauern ist hart. War der Graf ihrer überdrüssig, suchte er unter den wohlhabenderen seiner Bauern oder jenen Männern, die als »starosta«, also Aufseher und Verwalter, für ihn arbeiteten, Gatten für diese Mädchen, damit sie gemeinsam mit potenziellen Kindern bis ans Lebensende ein gutes Auskommen hatten. Brach jedoch eine seiner Gespielinnen die ihr gesetzten Regeln, so waren die Strafen hart. Einmal versuchte eines dieser Mädchen mit seinem Verlobten aus dem Heimatort durchzubrennen, wurde allerdings bald eingefangen. Die Ausreißerin musste viele Tage lang mit einer Kette um den Hals unbeweglich auf einem Stuhl sitzen; ihren Verlobten schlug man so gründlich mit der Rute, dass er sich von den Prügeln nicht mehr erholte. Mein Vater erzählte mir diese Geschichte als Beispiel für den verderblichen Einfluss unkontrollierter Macht auf die menschliche Seele. Der Graf Baranzov, so meinte mein Vater, sei nämlich kein so übler Kerl gewesen, bis sein Dasein als Besitzer von Leibeigenen ihn allmählich immer zügelloser werden ließ. In dem Wissen, tun zu können, was ihm beliebte, suchte er nach seinen eigenen Grenzen. Mir selbst erschienen solche brutalen Ereignisse unwirklich und nicht Teil jener Welt, in der ich lebte. In Marie Luises geliebten Romanen geschahen manchmal solche Dinge, nur dass dort am Ende der alte Bösewicht starb, das Liebespaar weitgehend unversehrt wieder zusammenkam und, wie sich zu guter Letzt herausstellte, selbst adeliger Abkunft war. Geschichten über irgendwelche russischen Leibeigenen hätte Marie Luise nicht gelesen.

Es sind nur drei Sklaven hier, die sie aus Jamaika mitgebracht haben. Eine Frau, die etwa in Jelenas Alter sein dürfte, sieht am wenigsten fremdartig aus, denn ihre Haut hat nur einen feinen Bronzeton, mit dem sie sich ohne Schwierigkeiten als Süditalienerin oder Spanierin ausgeben könnte. Ihre Augen sind sogar grün. Sie ist auf eine sehr europäische Art schön, ich meine, so wie wir uns schöne Frauen vorstellen, mit zarten, ebenmäßigen Gesichtszügen, langen Wimpern und fein geschwungenen Lippen. Die bräunliche Haut macht sie nur noch ein wenig reizvoller. Als sie jung war, müssen die Männer ihr in Scharen hinterhergelaufen sein, oder hätten es getan, wäre sie damals schon in Europa gewesen. Ich habe keine Ahnung, was die Männer in Jamaika reizvoll finden. Ihre Kinder hat sie jedenfalls von keinem Europäer, denn sie sind beide wesentlich dunkelhäutiger als sie selbst. Der Junge scheint mir die bemitleidenswerteste Kreatur von allen Dreien. Er hat einen Klumpfuß und sieht auch sonst verwachsen aus, denn seine kleine Statur lässt ein viel jüngeres Alter vermuten als sein drolliges, aber auch nachdenkliches Gesicht. Er hat etwas Skurriles an sich wie ein Geschöpf, das auf Jahrmärkten ausgestellt wird, nur wäre dies in seinem Fall höchst grausam, denn aus seinen Augen spricht ein sehr wacher und feinfühliger Geist. Ich hätte ihn mir vielleicht genauer angesehen, wäre da nicht seine Schwester gewesen.

Sie ist die fremdartigste Erscheinung, welche ich seit Jahren zu Gesicht bekommen habe: Ihre Haut schimmert so schwarz wie die Federn eines Raben. Träfe ich sie irgendwann im Dunkeln, könnte ich vermutlich nichts erkennen außer dem Weiß in ihren Augen. Ich denke, ich würde mich erschrecken. Trotzdem kann ich sie nicht hässlich nennen, nur eben anders als alles, woran ich gewöhnt bin. Mein Vater meinte, die Menschen hätten meist Angst vor dem Unbekannten, und vielleicht ist dies der Grund für das Befremden, welches ihr Anblick in mir auslöst. Denn...