Lassiter 2274 - Die rechte Hand des Killers

von: Jack Slade

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783732526956 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Lassiter 2274 - Die rechte Hand des Killers


 

Der Sonnenuntergang stand kurz bevor, Abendrot waberte über der Bergsilhouette im Westen. An allen Waggons wurden Türen aufgestoßen; Fahrgäste stiegen aus, meist Männer. Viele steckten sich Zigarillos oder Zigarren zwischen die Zähne und rissen Schwefelhölzer an.

Kathrin hakte sich bei ihrem Mann unter und drängte sich an ihn. »Na, Mrs. Madison?« Billy lächelte verliebt. »Wie fühlt es sich an, endlich auf Hochzeitsreise zu sein?«

»Fantastisch!« Sie rieb die Wange an seinem Arm. »Und ich bin so gespannt auf San Francisco!«

Ein Haufen Geröll lag auf den Gleisen. Nichts Ungewöhnliches, wie Kathrin gelesen hatte: Manchmal blockierte eine Büffelherde die Trasse, manchmal entwurzelte Bäume, manchmal eben auch Steinschlag.

Der Lokomotivführer fluchte trotzdem, fuchtelte mit den Armen und teilte seine Bremser und die freiwilligen Helfer unter den Fahrgästen zur Arbeit ein. Einige schickte er mit Äxten in den Waldhang, um geeignete Stämme zu schlagen, mit denen man die größeren Felsbrocken von der Trasse hebeln konnte.

Die anderen zogen die Jacken aus, krempelten sich die Hemdsärmel hoch und griffen nach den kleineren Brocken, um sie neben das Gleisbett in die Böschung zu werfen. Auch Billy. Er war groß und kräftig und konnte zupacken wie ein Zimmermann. Dabei arbeitete er hauptsächlich im Büro. In Saint Louis führte er die Reederei seines alten Vaters.

Voller Bewunderung und mit verliebtem Blick beobachtete Kathrin das Muskelspiel seiner starken Arme während der Arbeit. Billy war mehr als zehn Jahre älter als sie. »Genau richtig für eine Zwanzigjährige«, hatte ihre Mutter erklärt, als Bill Madison um Kathrins Hand angehalten hatte. Kathrin war sich ziemlich sicher, dass sie dabei eher seine Reederei als sein reiferes Alter im Auge gehabt hatte.

Der Lokomotivführer blickte zu dem felsigen Waldhang, der etwa zwanzig Schritte links der Gleistrasse anstieg. »Frage mich, wie all die großen Brocken es trotz der vielen Bäume und der leichten Steigung bis hier herauf zu den Gleisen geschafft haben.«

Plötzlich fielen Schüsse. Die Männer, die der Lokomotivführer nach rechts in den Wald geschickt hatte, rannten schreiend zurück zum Zug – ohne Äxte und ohne Stämme. Reiter folgten ihnen, drei oder vier. Sie schossen aus Revolvern.

Die Männer vor der Lokomotive warfen sich hinter den Geröllhaufen in Deckung. Wer eine Waffe dabei hatte, legte auf die Reiter an. Keiner allerdings schoss – die Gefahr, einen der Bremser oder der Fahrgäste zwischen Zug und Reiter zu treffen, war einfach zu groß.

Kathrin stand starr vor Schreck. Anfangs begriff sie überhaupt nicht, was geschah. Billy packte sie am Arm, zog sie zwischen Geröllhaufen und Lokomotive auf die andere Seite der Trasse. Kugeln trafen den Kessel der Lok, schlugen Funken, heulten als Querschläger durch die Gegend.

»Verdammt!« Billy zischte. »Ein Überfall!« Er zog seinen Revolver. Plötzlich heulten Gewehrkugeln aus dem Felshang herunter. Einer der Männer hinter dem Geröllhaufen riss seine Arme hoch und schrie auf. Kathy sah einen Blutfleck im Rücken seines weißen Hemdes. Konnte das wahr sein?

Sie hatte von solchen Zwischenfällen gelesen, sicher. Doch in der Wirklichkeit Schüsse krachen zu hören und Blut und vermummte Männer zu sehen, war etwas ganz anderes. Kein klarer Gedanke wollte ihr gelingen in diesen Minuten.

»Weg hier!« Wieder packte Billy sie. Diesmal zog er sie an Lokomotive, Kohletender und Gepäckwagen entlang zu den Waggons. »Du musst zurück in den Zug, Sweetheart«, sagte er. »Dort bist du sicherer.«

Plötzlich tauchten Reiter auch am Zugende auf. Einige sprangen aus den Sätteln und stiegen in die hinteren Luxuswaggons, andere galoppierten weiter am Zug entlang. Mindestens sieben Reiter zählte Kathrin. Sie schossen aus Revolvern in die Waggons hinein.

»In Deckung!« Billy riss sie mit sich zu Boden. »Unter den Waggon!« Sie krochen auf das Gleis unter dem Gepäckwagen.

»Mom und Dad!«, flüsterte Kathrin.

»Wir können nichts für sie tun.« Billy lag halb auf ihr, streichelte ihren Hinterkopf und ihren Nacken, wie um sie zu beruhigen. Oder sich selbst? Sie glaubte, seine Hand zittern zu spüren.

»Ich will zu Mom und Dad.« Kathrin wusste kaum noch, was sie sagte.

»Zugräuber schießen in der Regel nicht auf Frauen«, flüsterte Billy. »Und auf Männer nur dann, wenn sie bewaffnet sind und sich wehren. Wir wissen beide, wie besonnen dein Vater ist.«

Er hatte recht, und Kathrin griff nach seiner Hand, die auf ihrem Kopf lag, zog sie auf ihre Wange, hielt sich daran fest. Billys starke warme Hand – niemals würde sie vergessen, wie die sich anfühlte.

Von allen Seiten hörten sie nun Schüsse, Hufschlag und Schrittlärm. Frauen schrien, Männer brüllten und fluchten. »Wir können weiter nichts tun, als hier liegenbleiben und abwarten, bis es vorbei ist«, versicherte Billy.

Und dann war es vorbei – jedenfalls schoss keiner mehr. Hufschlag, Schritte und Flüche verstummten. Nur da und dort hörte Kathrin noch eine Frau schreien oder eine raue Männerstimme blaffen.

Plötzlich entdeckte sie Männerstiefel. Die rannten von der Lokomotive her neben ihrem Wagen entlang, mindestens fünf Paar. Vor der Mitte des Wagens blieben die Männer stehen und traktierten den Waggon oder die Waggontür mit Brechstangen und Äxten.

Sie wollen den Gepäckwagen ausräumen, schoss es ihr durch den Kopf. Kathrin wagte nicht mehr zu atmen. Eine Brechstange knallte plötzlich auf den Fels. Der Mann, dem sie aus der Hand geglitten war, bückte sich nach ihr – und entdeckte Billy und Kathrin unter dem Waggon.

»Wen haben wir denn da?« Blitzschnell griff er zu, packte Kathrins Knöchel und zerrte sie unter dem Gepäckwagen hervor. Vergeblich versuchte Billy sie festzuhalten. Also kroch er hinter ihr her.

»Das ist meine Frau!« Er richtete sich auf, streckte die Arme in die Luft. »Bitte tun sie ihr nichts! Wir haben gerade geheiratet.«

»Glückwunsch.« Der hochgewachsene Mann, der Kathrin unter dem Wagen herausgezogen hatte, half ihr auf die Beine, hielt sie am Arm fest, betrachtete sie von den Schuhspitzen bis zum Scheitel. »Glückwunsch, sag ich.« Ein Tuch bedeckte sein Gesicht bis zur Nase. Er hatte breite Schultern. Dunkelbraunes Haar quoll unter seinem Hut hervor, seine Augen waren sehr blau. »Was für ein süßer Fang!« Er feixte, griff in Kathrins Blondhaar und wickelte es um sein Handgelenk. »Wirklich allerliebst!« Weil er ihren Kopf zur Seite riss, sah Kathrin viele Fahrgäste mit erhobenen Händen am Rand des Gleisbettes stehen. Vermummte Banditen durchsuchten sie.

»Die nehmen wir mit, Rouven!«, rief ein anderer, ein pockennarbiger junger Bursche, ähnlich blond wie Kathrin. »Die heben wir uns für heute Abend auf! Jetzt muss erst mal der Gepäckwagen ausgeräumt werden! Das Gold steckt sicher ganz hinten.«

Kathrin sah, dass Billys hochgestreckte Arme zitterten. Sie sah die blanke Angst in seinem Blick. Ihre Augäpfel drehten sich zu dem Banditen, der sie am Haar festhielt. Der feixte, zog sich plötzlich das Halstuch herunter – sein Gesicht war kantig, seine Lippen schmal – und riss Kathrins Mund an seinen. Kaum spürte sie seine Zunge in sie eindringen, schoss schon eine Faust an ihr vorbei und traf den Mann an der Schläfe.

»Lauf!«, brüllte Billy und schlug erneut zu. Der Mann, der ihr den Kuss aufzwingen wollte, ging zu Boden. Kathrin rannte los. Zwanzig Schritte bis zum Waldhang! Nur zwanzig Schritte!

Schon hörte sie Schritte hinter sich. Sie blickte zurück – der pockennarbige Blonde rannte hinter ihr her. »Weg von meiner Tochter!«, rief eine heisere und verzweifelte Männerstimme.

Kathrin raffte das Kleid hoch, rannte schneller. Von irgendwo her hört sie wieder die Stimme ihres Vaters. »Hände weg von meiner Tochter!« Erneut fielen Schüsse.

Und dann wieder Billy, ganz dicht hinter: »Lauf, Sweetheart! Lauf, so schnell du kannst!«

Der Mann hinter ihr fluchte, schlug auf dem Boden auf. Zwischen den ersten Bäumen angekommen, blickte Kathrin hinter sich. Billy lag auf dem Blonden und rang mit ihm. Ihren Vater sah sie nirgends. »Lauf!«, rief Billy. »Wenn du mich liebst, dann lauf!«

Der große Kerl, der sie unter dem Zug hervorgezogen hatte, rannte auf ihn zu, zielte mit einem Revolver auf seinen Rücken. Mündungsfeuer blitzte auf, ein Schuss fiel, Billy brüllte auf vor Schmerzen.

Kathrin fuhr herum, rannte in den Waldhang hinein. Neuer Schusslärm erhob sich, Kugeln heulten dicht an ihr vorbei.

***

Sie bogen in die First Street ein. Von weitem sah man schon Turm und Kreuz der katholischen Kirche und die Dächer der alten Militärgebäude entlang der Mainstreet. Endlich zurück zu Hause!

Captain John Stoner, rechts neben dem Colonel, drehte sich im Sattel um und nickte den Männern zu. Er sah fast ausschließlich strahlende Gesichter. Abgesehen natürlich von seinem Sergeanten, William Oaken; Big Bill Oaken hielt es für seine verdammte Pflicht, hart und grimmig aus der Uniformjacke zu gucken.

Mit drei Schwadronen waren sie im Norden unterwegs gewesen, im Indianer-Territorium. Auf der Jagd nach aufsässigen Comanchen, die im nördlichen Weideland von Texas Pferde und Vieh geraubt hatten.

Stoner war zufrieden – seine Männer hatten die Bande aufreiben, sieben räuberische Comanchen töten und zwei Dutzend gefangen nehmen können. Die hatten sie auf dem Heimweg im Staatsgefängnis von Dallas abgeliefert.

Die Schwadronen selbst hatten nur drei Mann...