Der Bowie-Pater - Karl May´s Gesammelte Werke Band 84

von: Karl May

Karl-May-Verlag, 2003

ISBN: 9783780215840 , 512 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Der Bowie-Pater - Karl May´s Gesammelte Werke Band 84


 

Vorwort


 

Als der Karl-May-Verlag im Jahre 1913 daranging, das Werk Mays zu sichten und eine Reihe gesammelter Werke vorzubereiten, lagen vor allem die 33 Bände Reiseerzählungen vor, die May bis zu seinem Tod 1912 bei Friedrich Ernst Fehsenfeld in Freiburg veröffentlicht hatte. Dabei konnte der Schriftsteller in vielen Fällen auf bereits publiziertes Material zurückgreifen und manche Bände (etwa Winnetou II + III ) aus mehr oder weniger stark geänderten älteren Texten zusammenfügen. Nicht bei Fehsenfeld erschienen waren die acht Jugenderzählungen für den Guten Kameraden, einige Frühwerke und die fünf umfangreichen Kolportageromane für den Verlag von H. G. Münchmeyer. In unveränderter Form wollte May sein Frühwerk und die Kolportageromane sicher nicht wieder herausgegeben sehen. Insbesondere von der Münchmeyer-Textfassung der Kolportageromane distanzierte er sich wiederholt in scharfer Form. Für Dr. Euchar Albrecht Schmid und seine Mitarbeiter stand daher von vornherein fest, dass die Lieferungsromane nur in strenger Überarbeitung in die Gesammelten Werke aufgenommen werden durften, in Einklang mit den Wünschen des Verfassers.

Zahlreiche Probleme stellten sich auch bei der Wiederveröffentlichung der verstreuten frühen Humoresken und kleinen Erzählungen, denn May hatte einige davon in verschiedenen Versionen erscheinen lassen. Als 1927 unter dem Titel Professor Vitzliputzli (Band 47 der Gesammelten Werke) eine erste Auswahl herauskam, nahmen Dr. Schmid und seine Helfer nicht alle Fassungen auf, sondern nur die jeweils schriftstellerisch ausgereifteren Varianten. Etliche in entlegenen Zeitschriften publizierten Texte Mays waren damals ohnehin gar nicht bekannt. Mays Arbeiten für die Zeitschrift Schacht und Hütte etwa konnten erst 1968 als Band 72 der Gesammelten Werke herausgebracht werden. Von anderen Schriften besaß man Maysche Belegexemplare, wie im Fall der kleinen Humoreske Im Wasserständer (heute in Band 47), wusste aber nicht, in welcher Zeitschrift sie erstveröffentlicht worden waren. Für die Wasserständer-Geschichte wurde der Erstdruck im Neuen deutschen Reichsboten erst Ende der 1980er Jahre wieder entdeckt.

Bei der Bearbeitung einzelner Bände im Rahmen der Radebeuler Reihe bis 1945 gab es aber auch andere Probleme, die dazu führten, dass Teile aus den Mayschen Erstausgaben bei der Aufnahme gestrichen oder spürbar verändert werden mussten. Große Schwierigkeiten bereitete beispielsweise der Roman Die Juweleninsel (Band 46 der Gesammelten Werke), der 1880-1882 erstmals in einer Zeitschrift erschienen war.

Die Handlung der Juweleninsel knüpft direkt an die Geschehnisse an, die Karl May in Zepter und Hammer (Band 45 der Gesammelten Werke) erzählt. Held der ersten drei Kapitel ist der junge Kurt Schubert, Sohn des aus Zepter und Hammer bekannten Steuermanns Balduin Schubert. In der Radebeuler bzw. Bamberger Bearbeitung heißt Kurt dann Gerd. Ihm gelingt es nicht nur, dem im mondänen Seebad Fallum als Rüpel auftretenden ‚Tollen Prinzen‘ Hugo von Süderland das Handwerk zu legen, sondern er verhindert auch die Flucht mehrerer wegen ihrer politischen Straftaten und Verbrechen inhaftierten Sträflinge. In einer weiteren Episode des Romans erfahren wir von dem freizügigen Liebesleben des Prinzen Hugo. In seiner Burg Himmelstein verschwinden weibliche und männliche Personen, die sich den Absichten des Prinzen widersetzen, auf Nimmerwiedersehen. Dazu gehören die Komtesse Toska von Mylungen, die der Prinz vergeblich zu verführen suchte, ebenso wie der süderländische Adelige Theodor von Walmy, der unglücklicherweise in dieselbe Frau verliebt war wie der Prinz – in die Kunstreiterin ‚Miss Ella‘. Nur angedeutet werden die amourösen Umtriebe der Mönche und Nonnen zweier Klöster, deren unterirdische Gänge mit denen der Burg Himmelstein verschlungen sind.

Mit der im deutschen Milieu von Nor- und Süderland spielenden Haupthandlung des Romans (Fallum, das exklusive Seebad, erinnert beispielsweise an beliebte norddeutsche Badeinseln wie Borkum) sind zwei exotische Episoden mehr oder weniger eng verbunden. Die eine erzählt von einem indischen Königreich, das von den Engländern auf der Suche nach den Schätzen des Rajah und seiner Schwester erobert wird. Der Begum, Schwester des Herrschers, gelingt nach der Ermordung ihres Bruders mit Hilfe des geliebten korsischen Leutnants Alphons Maletti (in der Bearbeitung Méricourt) – und mit dem Staatsschatz – die Flucht vor den englischen Eroberern. Nach mancherlei Abenteuern stranden sie schließlich mitsamt dem unermesslichen Schatz auf einer einsamen Insel.

Die zweite exotische Handlung steht in Zusammenhang mit den Umtrieben des ‚Tollen Prinzen‘: Der Präriejäger Bill Holmers und sein Freund Fred, Bruder des Theodor von Walmy, erleben in Amerika spannende Abenteuer mit Komantschen und Apatschen und kommen dabei dem ehemaligen Reitknecht Theodors, Georg Sander, auf die Spur, der inzwischen unter dem Namen Rikarroh Mitglied eines Komantschenstammes geworden ist. Sie erfahren von Georg, kurz bevor dieser von einem betrogenen Goldgräber erschossen wird, dass Theodor von Walmy durch eine Intrige des ‚Tollen Prinzen‘ aus dem Wege geräumt wurde, sich aber gar nicht, wie Walmys Familie seit Jahren annahm, in Amerika aufhält. Am Ende des Romans werden die Gefangenen der Burg Himmelstein unter tatkräftiger Leitung des Bowie-Paters, eines seltsamen Westmannes, den mehr als nur ein Geheimnis umgibt, befreit und es gibt eine Doppelhochzeit und Bestrafung der Schurken, wenn auch ohne größeres Blutvergießen.

Die Defekte dieser Handlungsführung lassen sich auch in der kurzen Rekapitulation ohne Weiteres erkennen: Die Verbindung der beiden exotischen Schauplätze mit der Zentralhandlung ist May trotz sorgfältiger Exposition missglückt. Man hat versucht, diese Defekte damit zu erklären, dass nach dem siebten Kapitel der Juweleninsel – also eben der Bowie-Pater-Episode in den USA – ein achtes in der Zählung fehlt. Damit verbunden ist die Hypothese, das achte Kapitel sei vielleicht auf dem Postweg zur Stuttgarter Redaktion der Zeitschrift Für alle Welt/Alldeutschland verloren gegangen.

Diese Annahme wird allerdings durch keinerlei faktische Beweise unterstützt. Viel mehr spricht dafür, dass Karl May, der gleichzeitig mit dem Schluss der Juweleninsel an seiner Orienterzählung Giölgeda Padishanün (Band 1 – 6 der Gesammelten Werke) zu schreiben begann, das Interesse an der Juweleninsel-Handlung und an einer von ihm zweifellos geplanten Verknüpfung der disparaten Handlungsfäden verlor und nur noch darum bemüht war, den Roman zu einem irgendwie gearteten glücklichen Ende zu bringen. Statt das Schicksal Alphons Malettis und der Begum richtig weiterzuerzählen, gibt es am Ende des Amerika-Kapitels nur einen kurzen Bericht, wonach der Schatz und das Tagebuch der beiden Liebenden von Bootsmann Karavey auf der einsamen Insel entdeckt wurde. Die geplante Reise zur Juweleninsel wird zwar erwähnt, aber erst gegen Ende des Romans wird dann noch einmal in minimaler Form die Bergung des Schatzes durch Schubert, Karavey und Gefährten geschildert. Die eigentlich zu erwartende Hauptsache, das Geschehen auf dem titelgebenden Eiland, blieb so nur Andeutung, aber zweifellos nicht durch Textverlust, sondern weil May seines eigenen Romanentwurfs überdrüssig geworden war.

Man kann erahnen, vor welche Probleme Franz Kandolf gestellt war, als er im Auftrag des Karl-May-Verlags die Bearbeitung des Textes übernahm. In der Erstausgabe von Band 46 aus dem Jahr 1926 ist der Name Kandolfs unter den Mitarbeitern Dr. Schmids zwar ungenannt geblieben, aus dem vorhandenen Briefwechsel geht jedoch mit Sicherheit hervor, dass er alle wichtigen Lektoratsentscheidungen für Zepter und Hammer und Die Juweleninsel zumindest vorbereitet hat. Kandolf löste das Kernproblem, indem er die wichtige Verbindung zwischen der indischen Episode und der Haupthandlung des Romans im Sinne Mays ursprünglicher Intentionen rekonstruierte. Die Ereignisse um den Schatz der Begum werden in der Radebeuler bzw. Bamberger Fassung in Form einer Tagebuchaufzeichnung widergegeben; zugleich erhielten der Verlust des Schatzes und seine Bergung durch Karavey und Freunde wesentlich mehr Gewicht, sodass die Bearbeitung nun den Titel Die Juweleninsel mit Recht führen konnte.

Im Zuge dieser Maßnahmen sind einige weitere wesentliche Züge der Urfassung stark verändert worden. Dazu gehören vor allem die Amouren des Prinzen Hugo, die genauso wie das Mönchs- und Nonnenkloster unter der Ägide des katholischen Priesters Franz Kandolf dem Rotstift weichen mussten. Das Gleiche gilt für die Figur des Bowie-Paters: Bei der Neugestaltung der Amerika-Episode wurde sie komplett gestrichen bzw. mit der Rolle des Fred, nun Friedrich von Gollwitz oder Texasfred genannt, zusammengelegt. Ebenso wurde aus Rimatta 1926 Intschu tschuna, der Vater Winnetous. Mit der Eliminierung des angeblichen Paters verschwanden natürlich auch sämtliche bizarren Züge der ursprünglichen Handlung wie z. B. sein absonderliches Bekehrungsgelübde.

Musste der Bowie-Pater auch aus Gründen der inneren Logik aus dem Gesamtzusammenhang der Juweleninsel verschwinden, so kann die Erzählung für sich allein betrachtet doch durchaus neben anderen frühen Mayschen Wildwestabenteuern bestehen....