Einführung in das Betreuungsrecht - Ein Leitfaden für Praktiker des Betreuungsrechts, Heilberufe und Angehörige von Betreuten

von: Jürgen Seichter

Springer-Verlag, 2005

ISBN: 9783540292531 , 349 Seiten

3. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 22,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Einführung in das Betreuungsrecht - Ein Leitfaden für Praktiker des Betreuungsrechts, Heilberufe und Angehörige von Betreuten


 

Kapitel 8 Betreuungsrecht und Sozialstation (S. 105-106)

1. Häufig erste Hinweisgeber auf die Notwendigkeit einer Betreuung

In Deutschland gibt es mittlerweile flachendeckend Einrichtungen der ambulanten Alten- und Krankenpflege, meist unter der Bezeichnung Diakonie- oder Sozialstation. Diese ambulanten Dienste organisieren zum Beispiel „Essen auf Radem" und ubemehmen Körper- und Krankenpflege sowie Überwachung der regelmäßigen Einnahme der ärztlich verordneten Medikamente. In diesem Rahmen werden bis zu drei Hausbesuche taglich angeboten. Die Finanzierung erfolgt zum großten Teil iiber die Pflegeversicherung, soweit erforderlich erganzend durch Zuzahlung des Betroffenen selbst oder durch die Sozialhilfe. Ein wesentliches Fundament dieser Einrichtungen ist die Moglichkeit des Einsatzes von Zivildienstleistenden. Der Dienst der Sozialstationen geschieht vielfach auch „rechtsformfrei", also ohne rechtsverbindliche Beauftragung durch den Betroffenen. Anlass der Aufnahme des Dienstes fur den Betroffenen ist dann eine Nachricht etwa von Angehörigen, von Nachbam oder durch die Stadtverwaltung. Er handelt sich bei den Sozialstationen also um eine der „anderen Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird", § 1896 I" 2 BGB. Aus diesem Grund wird weithin vertreten, dass die Hilfe einer Sozialstation auch bei einem Betroffenen, der diese selbst nicht mehr anfordem oder in sie einwilligen kann, die Bestellung eines Betreuers entbehrlich macht. Denn durch diese Hilfe würden doch die Angelegenheiten des Betroffenen „ebenso gut" besorgt wie durch einen Betreuer.

Ungeachtet der Verankerung im Gesetz verkennt diese Auffassung aber den Unterschied zwischen tatsächlicher Hilfestellung und der Notwendigkeit ordnungsgemäßer rechtlicher Vertretung. Die Notwendigkeit der Einwilligung eines Pflegebedtirfligen in seine sachgerechte Pflege entfällt nicht dadurch, dass diese Pflege auch ohne wirksame Einwilligung erbracht wird (s. oben S. 15).

Bedeutung fiir die Betreuungsarbeit haben die Sozialstationen und entsprechende Dienste dadurch, dass sie nach dem Hausarzt oft als erste außenstehende Stelle erfahren, dass die Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers besteht. Sie sind es dann, die den Angehörigen empfehlen, eine Betreuung zu beantragen. Bei entsprechender Notwendigkeit, etwa bei Verweigerung offensichtlich erforderlicher Hilfeleistung, treten sie auch von sich aus direkt an das Vormundschaftsgericht heran mit der Bitte, zu püfen, ob nicht ein Betreuer bestellt werden sollte. Schließlich erkennen die ambulanten Pflegedienste oft als erste, wenn ein Betreuer sich nicht kümmert oder für den Pflegedienst ständig unerreichbar ist. Da die ambulanten Pflegedienste durch ihre Tätigkeit in ständigem Kontakt mit bereits Betreuten oder mit solchen stehen, die die Hilfe durch einen Betreuer benotigen konnten, sollten sie einen „kurzen Draht" zum Betreuungsrichter haben. In entsprechenden Fallen wird der Betreuungsrichter sie ohnehin bitten, bei einer richterlichen Anhörung des Betroffenen in dessen Wohnung mit anwesend zu sein, um dadurch über das Ergebnis der Anhörung hinaus weitere Angaben tiber den sozialen und pflegerischen Hintergrund des Betroffenen zu gewinnen. Aus den vorgenannten Gründen sollte der Leiter einer Sozial-Diakoniestation oder eines ambulanten Sozial-Pflegedienstes sich bei den für seinen Bezirk zuständigen Betreuungsrichtern vorstellen.

2. Zusammenarbeit mit dem Betreuer und dem Vormundschaftsgericht

Die ambulanten Hilfsdienste sollten, sobald sie erfahren, dass eine Betreuung besteht, mit dem Betreuer Kontakt haben und wissen, wie sie ihn im Notfall erreichen konnen. Ebenso sollte der Betreuer den Ansprechpartner des Dienstes und dessen Telefon-Handynummer kennen.

Der Betreuer sollte von dem ambulanten Dienst wissen, welche Leistungen dieser erbringt und welche nicht. Soweit Entscheidungsbedarf besteht, ist, auch wenn mit dem Betroffenen eine Verständigung noch moglich ist, stets der Betreuer zu beteiligen. Zum einen ist bei einem Betreuten im allgemeinen fraglich, ob er noch in der Lage ist, seine pflegerische Versorgung soweit zu überblicken, dass er noch wirksam in sie einwilligen kann. Schon zur Absicherung des ambulanten Dienstes ist daher auch bei einem noch absprachefahigen Betroffenen stets auch dem Betreuer zumindest Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dass die Beteiligung des Betreuers zwecks wirksamer Einwilligung Absprachen mit dem Betroffenen, die ja auch therapeutischen Sinn haben, nicht entbehrlich macht, sondem neben ihnen steht, ist selbstverständlich.