Im Bann der Nacht - Roman

von: Alexandra Ivy

Diana Verlag, 2010

ISBN: 9783641039820 , 464 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 8,99 EUR

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Im Bann der Nacht - Roman


 

ondon, 1814
Der Ballsaal bot eine verblüffende Farbenpracht. Im flackernden Kerzenschein wirbelten die in Samt und Seide gekleideten Damen in den Armen von eleganten Herren umher, und das strahlende Aufblitzen ihrer Edelsteine ließ einen funkelnden Regenbogen entstehen, der von den in die Wände eingelassenen Spiegeln zurückgeworfen wurde. Der stilvolle Prunk war atemberaubend, dennoch war es nicht das lebhafte Spektakel, das die Aufmerksamkeit der zahlreichen Gäste dauerhaft auf sich zog. Diese Ehre gebührte Conde Cezar.
Mit der amüsierten Arroganz der Aristokratie bewegte er sich langsam durch die Menge. Dabei war nicht mehr vonnöten als ein Heben seiner schlanken Hand, damit sie sich wie das Rote Meer teilte, um ihm den Weg freizumachen, und ein Blick aus seinen glühenden schwarzen Augen, um die Damen (und einige Herren) in hektische Aufregung zu versetzen.
Zu ihrer eigenen Verärgerung legte auch Miss Anna Randals Herz einen Schlag zu, als sie das außerordentlich fein geschnittene Profil plötzlich zu Gesicht bekam. Denn das war völlig unnötig - Herren wie der Conde würden sich nie dazu herablassen, Notiz von einer armen, unbedeutenden Jungfer zu nehmen. Solche Herren nahmen nur Notiz von schönen, verführerischen Frauen, die auch noch den abgebrühtesten Schurken ermunterten.
Dies war der einzige Grund, weshalb Anna sich zwang, der schlanken, eleganten Gestalt auf den Fersen zu bleiben, als diese den Ballsaal verließ und die geschwungene Treppe erklomm. Eine arme Verwandte zu sein bedeutete, jede noch so unangenehme Aufgabe zu übernehmen, die sich ergab. An diesem Abend bestand ihre Pflicht darin, ein Auge auf ihre Cousine Morgana zu haben, die stets angezogen von gefährlichen Männern wie Conde Cezar war. Diese Faszination konnte schnell in einem Skandal für die gesamte Familie enden.
In ihrer Eile, ihn nicht zu verlieren, hob Anna ungeduldig den Saum ihres billigen Musselinkleides an. Wie sie es erwartet hatte, bog der Conde ab, als er das Ende der Treppe erreicht hatte, und schritt durch den Korridor, der zu den Privatgemächern führte. Ein solcher Windhund besuchte niemals etwas dermaßen Langweiliges wie einen Ball, ohne zuvor ein Stelldichein zu arrangieren. Alles, was sie tun musste, war, dafür zu sorgen, dass Morgana nicht das Opfer dieser Schändlichkeit wurde. Dann würde Anna in ihre dunkle Ecke im Ballsaal zurückkehren und weiter zusehen, wie die anderen Mädchen den Abend genossen.
Sie verzog das Gesicht bei diesem Gedanken und hielt wenig später inne, als die von ihr verfolgte Person plötzlich durch eine Tür schlüpfte und verschwand. Was nun? Obgleich sie nichts von Morgana gesehen hatte, schloss das nicht aus, dass diese sich bereits in dem Zimmer verbarg, um auf das Eintreffen des Conde zu warten.
Ihre egozentrische Cousine verfluchend, die nichts außer ihrem eigenen Vergnügen im Sinn hatte, lief Anna vorwärts und drückte vorsichtig die schwere Tür auf. Sie würde nur einen flüchtigen Blick hineinwerfen und dann ^
Ein Schrei entwich ihrer Kehle, als schlanke Finger ihr Handgelenk packten, sie in den dunklen Raum zogen und die Tür hinter ihr zuschlugen.
D ie Empfangshalle des Hotels in der Michigan Avenue war voller Leben. Im Licht des Kronleuchters stolzierten die Mächtigen Chicagos wie Pfaue umher und warfen gelegentliche Blicke auf den riesigen Brunnen, wo ein paar Halbprominente aus Hollywood sich mit den Gästen für eine schamlos hohe Gebühr auf Fotos ablichten ließen, die angeblich für einen guten Zweck bestimmt waren.
Die Ähnlichkeit mit einem bestimmten anderen Abend entging Anna nicht, die sich auch heute in einer dunklen Ecke herumdrückte und beobachtete, wie Conde Cezar sich wieder einmal gewohnt arrogant durch den Raum bewegte.
Allerdings war dieser andere Abend beinahe zweihundert Jahre her. Und obwohl sie keinen einzigen Tag gealtert war (eine Eigenschaft, die ihr, wie sie nicht leugnen konnte, so unangenehme Dinge wie Schönheitsoperationen und Mitgliedschaften in Fitnessclubs erspart hatte), war sie nicht mehr das scheue, rückgratlose Mädchen, das um Brosamen vom Tisch ihrer Tante betteln musste. Dieses Mädchen war in der Nacht gestorben, als Conde Cezar seine Hand ergriffen und es in ein dunkles Schlafgemach gezogen hatte. Gott sei Dank, dass sie es los war.
Ihr Leben mochte anderen vielleicht merkwürdig erscheinen, aber zumindest hatte Anna herausgefunden, dass sie auf sich aufpassen konnte. Tatsächlich gelang ihr das sogar verdammt gut. Nie wieder würde sie sich in dieses ängstliche Mädchen verwandeln, das schäbige Musselinkleider trug - ganz zu schweigen von den höllisch engen Korsetts!
Das hieß allerdings nicht, dass sie jene schicksalhafte Nacht vergessen hätte. Oder Conde Cezar. Er hatte ihr einiges zu erklären. Nur deshalb war sie schließlich von ihrem momentanen Wohnsitz Los Angeles nach Chicago gereist.
Während sie geistesabwesend an dem Champagner nippte, der ihr von einem der Kellner mit bloßem Oberkörper aufgezwungen worden war, studierte Anna gründlich den Mann, der durch ihre Träume spukte.
Als sie in der Zeitung gelesen hatte, ein Conde aus Spanien würde anreisen, um an diesem Benefizevent teilzunehmen, hatte sie gewusst, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit darin bestand, dass dieser Mann ein Verwandter jenes Condes war, den sie in London getroffen hatte. Die Aristokratie war besessen davon, ihren Nachkommen den eigenen Namen zu vermachen. Als ob es nicht ausreichte, dass sie die gleichen Gene besaßen.
Ein Blick genügte allerdings, um zu wissen, dass es sich bei diesem Mann nicht um einen verwandten handeln konnte. Mutter Natur war viel zu wankelmütig, um eine so genaue Kopie dieser feinen Gesichtszüge, der golden schimmernden Haut, der dunklen, glühenden Augen und des unwiderstehlichen Körpers zu schaffen ^ Und dann war da noch das Haar.
So schwarz wie die Sünde, floss es ihm wie ein glatter Fluss über die Schultern. Heute Abend hatte er die obersten Strähnen mit einer goldenen Spange nach hinten gerafft, während die unteren Haarschichten über den teuren Stoff seines Smokings streiften. Falls es im gesamten Raum auch nur eine einzige Frau geben sollte, die sich nicht vorstellte, ihre Finger durch diese glänzende Mähne gleiten zu lassen, würde Anna ihre mit silbernen Perlen besetzte Handtasche verspeisen! Conde Cezar musste einen Raum nur betreten, um das Östrogen in Wallung zu bringen.
Diese Tatsache forderte prompt mehr als nur eine wütende Reaktion der am Brunnen posierenden Hollywoodschönlinge heraus, die die Redewendung »Wenn Blicke töten könnten nur allzu demonstrativ umsetzten.
Anna murmelte einen Fluch vor sich hin. Sie ließ sich ablenken. Okay, dieser Mann sah aus wie der Eroberer schlechthin. Und seine Augen strahlten eine Hitze aus, die Stahl aus einer Entfernung von hundert Schritten zum Schmelzen hätte bringen können. Aber sie hatte bereits einen hohen Preis dafür bezahlt, dass sie sich von dieser sinnlichen dunklen Schönheit hatte blenden lassen. Das würde nicht noch einmal passieren.
Anna beeilte sich, sich selbst davon zu überzeugen, dass das Prickeln in ihrer Magengrube nur von den teuren Champagnerblasen rührte, aber sie versteifte sich trotzdem, als sie plötzlich den unverkennbaren Geruch von Äpfeln wahrnahm, der in der Luft lag. Noch bevor sie sich umdrehte, wusste sie, wem sie gleich in die Augen blicken würde. Die einzige Frage war ^ warum?
»Na, wenn das nicht Anna ist, die gute Samariterin«, vernahm sie Sybil Taylors Stimme. Ihr vordergründig süßes Lächeln hatte einen gehässigen Zug. »Und das auf einer der Wohltätigkeitsveranstaltungen, von denen behauptet wird, dass es sich um nicht mehr als eine weitere Gelegenheit für die Promis handeln würde, um sich den Paparazzi zu präsentieren. Ich wusste immer, dass diese selbstgerechte Haltung nur geheuchelt ist.«
Anna hätte sich am liebsten übergeben. Trotz der Tatsache, dass beide Frauen in L.A. lebten und Anwältinnen waren, hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Sybil war eine große, kurvenreiche Brünette mit heller Haut und großen braunen Augen. Anna dagegen war gerade einmal einen Meter fünfzig groß und besaß braunes Haar und haselnussfarbene Augen. Ihr Gegenüber war von Beruf Firmenanwältin mit einer Moral von ^ nun ja, eigentlich hatte sie überhaupt keine Moral. Anna arbeitete in einer freien Anwaltskanzlei, die jeden Tag gegen die maßlose Gier von Unternehmen ankämpfte.
»Offensichtlich hätte ich die Gästeliste etwas sorgfältiger lesen sollen«, gab Anna zurück. Sie war nicht auf den Anblick dieser Frau vorbereitet gewesen, aber auch nicht völlig überrascht. Sybil Taylor hatte ein Talent dafür, in Berührung mit den Reichen und Berühmten zu kommen, wo auch immer sie zu finden waren.
»Oh, ich würde sagen, Sie haben die Gästeliste so genau studiert wie jede andere Frau in diesem Raum.« Sybil warf einen betonten Blick durch den Raum auf Conde Cezar, der mit einem schweren goldenen Siegelring an seinem Finger spielte. »Wer ist er?«
Für den Bruchteil einer Sekunde kämpfte Anna gegen den Drang an, Sybil in das blasse, perfekte Gesicht zu schlagen. Fast so, als ob sie sich über deren Interesse an dem Conde ärgerte. Ganz schön dumm, Anna. Dumm und gefährlich.
»Conde Cezar«, antwortete sie zögernd.
Sybil befeuchtete sich die Lippen, die zu voll waren, um echt zu sein. »Lässt er nur den Europäer raushängen, oder ist er ein richtiger Adeliger?«, fragte sie.
Anna zuckte mit den Achseln. »Soweit ich weiß, ist der Titel durchaus echt.«
»Er ist ^ zum Anbeißen.« Sybil strich mit den Händen über ihr kleines Schwarzes, das den tapferen Versuch machte, ihre beachtlichen Kurven zu verdecken. »Verheiratet?«
»Ich habe nicht den blassesten Schimmer.«
»Hm. Gucci-Anzug, Rolex-Uhr, italienische Lederschuhe.« Sie klopfte mit einem manikürten Nagel gegen die allzu perfekten Zähne. »Schwul?«
Anna musste ihr Herz daran erinnern weiterzuschlagen. »Ganz bestimmt nicht.«
»Aha ^ ich rieche eine Vorgeschichte zwischen Ihnen beiden. Erzählen Sie sie mir.«
»Das können Sie sich nicht einmal im Entferntesten vorstellen, Sybil.«
»Vielleicht, aber ich kann mir diesen dunklen, leckeren Adonis vorstellen, in Handschellen an mein Bett gekettet, während ich mit ihm mache, was ich will.«
»Handschellen?« Anna schluckte ein nervöses Lachen herunter und umfasste instinktiv ihre Tasche fester. »Ich habe mich schon immer gefragt, wie Sie es schaffen, einen Mann in Ihrem Bett zu halten.«
Die dunklen Augen verengten sich. »Es hat noch nie einen Mann gegeben, der nicht scharf darauf gewesen wäre, eine Kostprobe von mir zu bekommen.«
»Scharf auf eine Kostprobe von diesem überbeanspruchten Körper mit Silikonimplantaten und Botox? Jeder Mann kann sich eine aufblasbare Puppe kaufen, die weniger Plastik enthält als Sie.«
»Sie Die Frau fauchte. Es war tatsächlich ein richtiges Fauchen. »Kommen Sie mir ja nicht in die Quere,
Anna Randal, sonst sind Sie bald nicht mehr als ein Fettfleck unter meinen Pradaschuhen.«
Wäre sie ein besserer Mensch gewesen, hätte sie Sybil gewarnt und ihr erzählt, dass Conde Cezar etwas ganz anderes war als ein wohlhabender, attraktiver Aristokrat. Dass er mächtig war und gefährlich und nicht einmal ein Mensch.
Doch auch nach zwei Jahrhunderten war sie noch immer imstande, so engherzig zu sein wie jede andere Frau. Ein Lächeln kräuselte ihre Lippen, als sie zusah, wie Sybil durch den Raum davonstolzierte.
Cezar hatte ihre Anwesenheit schon lange gespürt, bevor er die Empfangshalle betrat. Er hatte es bereits in dem Augenblick gewusst, als sie auf dem O'Hare International Airport gelandet war. Er war sich ihrer so bewusst, dass sie in jedem Quadratzentimeter seines Körpers prickelte. Er wäre höllisch ärgerlich gewesen, wenn es sich nicht so verdammt gut angefühlt hätte.
Cezar knurrte tief in der Kehle aufgrund dieser Gefühle, die in direkter verbindung zu Anna Randal standen, und wandte den Kopf, um wütend die Brünette anzufunkeln, die sich ihm gerade näherte. Es war nicht weiter überraschend, dass die Frau auf dem Absatz umdrehte und in die entgegengesetzte Richtung verschwand.
Heute Abend war seine Aufmerksamkeit vollkommen auf die Frau gerichtet, die dort hinten in der Ecke stand. Die Art, wie das Licht den seidigen Honigton ihrer Haare betonte, die Goldtupfen in ihren haselnussbraunen Augen, das silberne Kleid, das allzu viel von ihrem schlanken Körper zeigte.
Hinter ihm bewegte sich etwas. Cezar drehte sich um und entdeckte einen großen Vampir mit rabenschwarzem Haar, der aus dem Schatten trat. Das war ein hübscher Trick, wenn man bedachte, dass es sich bei ihm um einen fast zwei Meter großen aztekischen Krieger handelte, der mit einem Umhang und Lederstiefeln bekleidet war. Dass er der Anasso war, der Anführer aller Vampire, hatte durchaus seine Vorteile.
»Styx.« Cezar neigte den Kopf. Er war nicht im Mindesten überrascht, als er feststellte, dass der Vampir ihm zum Hotel gefolgt war.
Seit Cezar gemeinsam mit der Kommission in Chicago eingetroffen war, war Styx nicht von seiner Seite gewichen und hatte wie eine Glucke über ihn gewacht. Es war offensichtlich, dass es dem uralten Anführer nicht gefiel, wenn einer seiner Vampire sich in der Gewalt der Orakel befand. Und es gefiel ihm noch weniger, dass Cezar sich geweigert hatte, die Sünden zu gestehen, die ihm beinahe zwei Jahrhunderte Buße in der Gewalt der Kommission eingebracht hatten.
»Sag mir bitte noch einmal, aus welchem Grund ich nicht zu Hause in den Armen meiner schönen Gefährtin bin!«, schimpfte Styx, wobei er die Tatsache ignorierte, dass Cezar ihn gar nicht eingeladen hatte.
»Es war deine Entscheidung, von den Orakeln zu verlangen, nach Chicago zu reisen«, rief er dem älteren Dämon ins Gedächtnis.
»Ja, damit eine Entscheidung bezüglich Salvatores Eindringen in Vipers Territorium getroffen wird, ganz zu schweigen davon, dass er meine Braut entführte. Eine Entscheidung, die auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Es war mir nicht gewärtig, dass es ihre Absicht war, die Herrschaft über mein Versteck zu übernehmen und in den
Winterschlaf zu verfallen, sobald sie eintrafen.« Die scharfen Gesichtszüge versteinerten sich. Styx grübelte noch immer darüber nach, weshalb die Orakel darauf beharrt hatten, dass gerade er seine düsteren, feuchtkalten Höhlen verließ, damit sie sie für ihre eigenen geheimnisvollen Zwecke nutzen konnten. Seine Gefährtin Darcy jedoch schien sich recht schnell mit dem großen, weitläufigen Herrenhaus am Rande von Chicago abgefunden zu haben, in das sie gezogen waren.
»Und ganz sicher war mir nicht bewusst, dass sie einen meiner Brüder als ihren Lakaien betrachten.«
»Ist dir bewusst, dass die Orakel niemandem Rede und Antwort stehen, obgleich du der Herr und Meister über alle Vampire bist?«
Styx murmelte etwas vor sich hin. Etwas über Orakel und die Abgründe der Hölle. »Du hast mir nie erzählt, wie du in ihre Klauen geraten bist.«
»Diese Geschichte erzähle ich niemandem.«
»Nicht einmal dem Vampir, der dich einst aus einem Harpyiennest rettete?«
Cezar lachte auf. »Ich bat nie darum, gerettet zu werden, Mylord. Ich war durchaus zufrieden damit, mich in ihren bösartigen Klauen zu befinden. Zumindest, solange die Paarungszeit währte.«
Styx rollte mit den Augen. »Wir schweifen vom Thema ab.«
»Und worin besteht das Thema?«
»Sag mir, weshalb wir hier sind.« Styx warf einen leicht angewiderten Blick auf das glanzvolle Gewimmel. »Soweit ich das beurteilen kann, handelt es sich bei den Gästen um nichts weiter als einfache Menschen, einige niedere Dämonen und ein wenig Feenvolk.«
Cezar betrachtete die Gäste mit zusammengekniffenen Augen. »Eine überraschend große Anzahl an Feenvolk, oder nicht?«
»Es neigt dazu, sich zu versammeln, wenn der Duft von Geld in der Luft liegt.«
»Vielleicht.« Cezar spürte, wie ohne jegliche Vorwarnung eine Hand auf seiner Schulter landete, wodurch er seine Aufmerksamkeit schlagartig wieder dem zunehmend frustrierten Vampir an seiner Seite zuwandte. Offenbar war Styx allmählich am Ende seiner Geduld, was Cezars Ausflüchte betraf.
»Cezar, ich habe den Zorn der Orakel bereits zuvor riskiert. Ich werde dich an den Dachgiebel hängen und verrecken lassen, wenn du mir nicht erzählst, weshalb du hier bist und durch diese armselige Ansammlung von Lust und Gier schleichst!«
Cezar schnitt eine Grimasse. Im Augenblick war Styx lediglich gereizt. Doch sobald er wahrhaft zornig wurde, würde es wirklich schlimm werden. Und das Letzte, was er brauchte, war ein tobender Vampir, der seine Beute verscheuchte.
»Ich habe den Auftrag, ein wachsames Auge auf ein potenzielles Mitglied der Kommission zu haben«, gestand er widerstrebend.
»Potenzielles Styx versteifte sich. »Bei den Göttern, wurde ein neues Orakel gefunden?«
Der Schock des älteren Vampirs war verständlich. Weniger als ein Dutzend Orakel waren in den vergangenen zehn Jahrtausenden entdeckt worden. Bei ihnen handelte es sich um die seltensten, kostbarsten Wesen, die auf Erden wandelten.
»Sie wurde vor beinahe zweihundert Jahren in den Prophezeiungen offenbart, doch die Information wurde von der Kommission geheim gehalten.«
»Aus welchem Grund?«
»Sie ist sehr jung und muss sich noch in ihre Kräfte einfinden. Von der Kommission wurde darum die Entscheidung getroffen, dass man noch warten wolle, bis sie an Reife gewonnen und ihre Fähigkeiten akzeptiert hätte.«
»Ah, das kann ich verstehen. Eine junge Frau, die sich in ihre Kräfte einfindet, ist zuweilen eine schmerzliche Angelegenheit.« Styx rieb sich die Seite, als erinnere er sich an eine kürzlich zugefügte Verletzung. »Ein weiser Mann lernt, jederzeit auf der Hut zu sein.«
Cezar hob die Augenbrauen. »Ich dachte, Darcy wurde so verändert, dass sie sich nicht verwandelt?«
»Die Verwandlungen sind nur ein kleiner Teil der Werwolfkräfte.«
»Nur der Anasso wählt eine Werwölfin zu seiner Gefährtin.«
Die scharfen Gesichtszüge nahmen einen weicheren Ausdruck an. »Es war tatsächlich weniger eine Wahl als vielmehr Schicksal. Auch du wirst das eines Tages erkennen.«
»Nicht, solange ich unter der Herrschaft der Kommission stehe«, entgegnete Cezar, und sein kalter Ton wies darauf hin, dass er sich nicht drängen lassen würde.
Styx betrachtete ihn eine ganze Weile, bevor er leicht nickte. »Wenn also dieses potenzielle Kommissionsmitglied noch nicht darauf vorbereitet ist, ein Orakel zu werden, weshalb bist du dann hier?«
Instinktiv warf Cezar einen Blick zu Anna. Auch wenn das unnötig war. Er war sich ihrer in jedem Augenblick bewusst, all ihrer Bewegungen, all ihrer Atemzüge, all ihrer
Herzschläge. »Im Laufe der vergangenen Jahre gab es mehrere Zauber, von denen wir glauben, dass sie auf sie abzielten.«
»Welche Art von Zaubern?«
»Die Magie war die des Feenvolkes, doch die Orakel waren nicht in der Lage, mehr als das zu bestimmen.«
»Eigenartig. Das Feenvolk befasst sich nur selten mit dämonischer Politik. Warum auf einmal dieses Interesse?«
»Wer weiß? Vorerst ist der Kommission nur daran gelegen, Schaden von der Frau abzuwenden.« Cezar zuckte leicht mit den Schultern. »Als du um die Anwesenheit der Orakel in Chicago batest, beauftragten sie mich mit der Aufgabe, sie herbeizulocken, sodass ich ihr Schutz bieten kann.«
Styx setzte einen finsteren Blick auf, woraufhin prompt ein menschlicher Kellner in Ohnmacht fiel und ein weiterer ohne zu zögern auf den nächsten Ausgang zuschoss. »Schön, diese junge Dame ist anscheinend etwas Besonderes. Aber weshalb solltest gerade du derjenige sein, der gezwungen ist, sie zu beschützen?«
Cezar lief ein Schauder über den Rücken, aber er bemühte sich, ihn vor den gesteigerten Sinnesempfindungen seines Begleiters zu verbergen. »Du zweifelst an meinen Fähigkeiten, Mylord?«
»Sei kein Esel, Cezar. Niemand, der dich je im Kampf sah, würde an deinen Fähigkeiten zweifeln.« Mit der Unbefangenheit zweier Freunde, die sich seit Jahrhunderten kannten, warf Styx einen Blick auf die perfekte Kontur von Cezars Smokingjacke. Beide wussten, dass unter dem eleganten Kleidungsstück ein halbes Dutzend Dolche verborgen war. »Ich habe gesehen, wie du dich durch ein Rudel von Ipar-Dämonen kämpftest, ohne auch nur einmal zu straucheln. Doch in der Kommission gibt es Leute, die über Kräfte verfügen, gegen die es niemand jemals wagen würde, anzutreten.«
»Ich hatte nicht das Privileg der Wahl. Wenn es sein muss, werde ich eben sterben
»Du wirst nicht sterben«, unterbrach Styx Cezars spöttischen Redefluss.
Sein Gegenüber wirkte unbeeindruckt. »Nicht einmal der Anasso kann eine solche Behauptung aufstellen.«
»Tatsächlich habe ich es soeben getan.«
»Du warst seit jeher edler gesinnt, als es dir guttut, Styx.«
»Wie wahr.«
Cezars Haut begann zu prickeln. Anna steuerte auf eine Seitentür der Empfangshalle zu. »Geh nach Hause, amigo, zu deiner schönen Werwölfin.«
»Ein verlockendes Angebot, aber ich werde dich hier bestimmt nicht allein lassen.«
»Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, Styx.« Der Vampir warf seinem Meister einen warnenden Blick zu. »Aber ich bin der Kommission verpflichtet, und diese hat mir Befehle erteilt, die ich nicht einfach ignorieren kann.«
Kalter Ärger brannte in Styx' dunklen Augen, bevor er widerwillig nickte. »Du wirst Kontakt zu mir aufnehmen, wenn du meine Hilfe benötigst?«
»Selbstverständlich.«
Anna musste Conde Cezar nicht ansehen, um zu wissen,
dass er sich ihrer bewusst war. Er mochte mit dem attraktiven Mann sprechen, der einem Aztekenhäuptling ähnelte, aber ihr gesamter Körper bebte permanent durch das Gefühl seiner unverwandten Aufmerksamkeit. Es war Zeit, mit der Umsetzung ihres Plans zu beginnen. Ihres hastig zusammengeschusterten Plans, dem dümmsten aller Zeiten.
Sie unterdrückte ein hysterisches Lachen. Er war sicher nicht der beste, sondern gehörte eher zu der Art Hacken- zusammenschlagen-und-beten-dass-nicht-alles-zum-Teufel-geht, aber er war alles, was sie im Augenblick hatte. Die Alternative zuzulassen, dass Conde Cezar auf ein Neues für zwei Jahrhunderte verschwand und sie mit quälenden Fragen zurückließ, war keine wirkliche Option. Das konnte sie nicht noch einmal ertragen.
Als sie die Nische fast erreicht hatte, die zu einer Reihe von Fahrstühlen führte, wurde Anna von einem Arm aufgehalten, der sich um ihre Taille schlang und sie gegen einen stahlharten männlichen Körper zog.
»Du hast dich nicht im Geringsten verändert, querida. Du bist noch immer so wunderschön wie in der Nacht, in der ich dich zum ersten Mal zu Gesicht bekam.« Seine Finger zogen einen Pfad der Verführung auf ihrer nackten Schulter. »Obgleich du nun weit mehr Einblicke gewährst.«
Eine Explosion von Gefühlen erschütterte Annas Körper bei seiner Berührung. Es waren Empfindungen, die sie schon seit langer Zeit nicht mehr wahrgenommen hatte. »Sie haben sich offenbar ebenfalls nicht geändert, Conde! Sie wissen immer noch nicht, wie man seine Hände bei sich behält.«
»Das Leben ist kaum lebenswert, wenn ich meine Hände bei mir behalte.« Die kühle Haut seiner Wange streifte ihre, als er ihr ins Ohr flüsterte: »Vertrau mir, ich muss es wissen.«
Anna rollte mit den Augen. »Sicher.«
Die langen, schlanken Finger umfassten einen kurzen Moment ihre Taille fester, bevor er sie langsam umdrehte, sodass sie den beunruhigenden Blick aus seinen dunklen Augen erkennen konnte. »Es ist lange her, Anna Randal.«
»Hundertfünfundneunzig Jahre.« Geistesabwesend hob sie die Hand, um sich über die Haut zu reiben, die immer noch von seiner Berührung prickelte. »Nicht, dass ich mitzählen würde.«
Die vollen Lippen zuckten. »Nein, natürlich nicht.«
Sie schob das Kinn vor. »Wo waren Sie?«
»Hast du mich vermisst?«
»Fishing for compliments?«
»Noch immer nichts zugeben wollen, was?«, spottete er. Bewusst ließ er seinen Blick über ihren Körper gleiten und hielt bei der silberfarbenen Gaze inne, die zart ihre Brüste bedeckte. »Wäre es einfacher, wenn ich gestände, dass ich dich vermisst habe? Selbst nach hundertfünfundneunzig Jahren erinnere ich mich genau an den Duft deiner Haut, an die Sehnigkeit deines schlanken Körpers, an den Geschmack deines
»Blutes?«, fauchte sie und weigerte sich, die Hitze zuzulassen, die sich in ihrem Unterleib sammelte. Nein, nein, nein. Diesmal nicht.
»Aber natürlich.« Auf seinem schönen Gesicht war nicht einmal ein Anflug von Reue zu erkennen. »Daran erinnere ich mich auch. So süß, so köstlich unschuldig.«
»Sprechen Sie leiser!«, befahl sie.
»Mach dir keine Sorgen.« Er trat noch näher an sie heran. So nahe, dass der Stoff seiner Hose ihre nackten Beine streifte. »Die Sterblichen können mich nicht hören, und das Feenvolk weiß, dass es einem Vampir auf der Jagd besser nicht in die Quere kommt.«
Anna keuchte und riss die Augen auf. »Vampir? Ich wusste es! Ich Sie presste die Hände gegen ihren rebellierenden Magen und sah sich in der überfüllten Halle um. Sie durfte ihren Plan nicht vergessen. »Hören Sie, ich will mit Ihnen sprechen, aber nicht hier. Ich habe ein Zimmer im Hotel.«
»Oh, Miss Randal, laden Sie mich etwa auf Ihr Zimmer ein?« In den dunklen Augen war Belustigung zu erkennen. »Ich bin nicht diese Art von Dämon, wissen Sie?«
»Ich will nur reden, sonst nichts.«
»Natürlich.« Er lächelte. Es war die Art von Lächeln, die die Zehen einer Frau dazu brachten, sich in ihren Pumps zu krümmen.
»Ich meine es ernst Sie unterbrach sich selbst und schüttelte den Kopf. »Ach, egal. Kommen Sie mit?«
Die dunklen Augen des Mannes verengten sich. Es wirkte, als ob er spürte, dass sie ihn von der Menge wegzuführen versuchte. »Ich weiß noch nicht. Du hast mir nicht besonders viel Anreiz geboten, um einen Raum zu verlassen, der voll ist mit schönen Frauen, die durchaus daran interessiert scheinen, weitaus mehr mit mir anzustellen als sich zu unterhalten.«
Anna zog die Augenbrauen in die Höhe. Sie war nicht mehr die leichte Beute, die er anscheinend in Erinnerung hatte. »Ich bezweifle, dass diese Frauen noch interessiert an Ihnen wären, wenn sie wüssten, dass sich unter der attraktiven Eleganz ein Monster versteckt. Wenn Sie es zu weit treiben, dann erzähle ich es den Damen gern.«
Seine Finger glitten leicht über ihre Arme. »Die Hälfte der Gäste besteht selbst aus Monstren, und die andere Hälfte würde dir niemals glauben.«
Wie konnte eine so kalte Berührung eine solche Hitze in ihrem Blut entstehen lassen? »Hier sind noch andere Vampire?«
»Einer oder zwei. Die anderen gehören zum Feenvolk.«
Das hatte er schon vorher erwähnt. »Welches Feenvolk?«
»Elfen, Kobolde, einige Naturgeister.«
»Das ist doch Blödsinn«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf, da sie gezwungen schien, in ihrer eigenen seltsamen Existenz eine weitere Verrücktheit zu akzeptieren. »Und das ist alles Ihre Schuld!«
»Meine Schuld?« Er sah sie zweifelnd an. »Ich habe das Feenvolk nicht erschaffen, und ganz gewiss habe ich es nicht zu dieser Feier eingeladen. Trotz all seiner Schönheit ist es treulos und gerissen und hat nicht den geringsten Sinn für Humor. Allerdings besitzt sein Blut ein gewisses Prickeln. Wie Champagner
Anna deutete mit dem Finger direkt auf seine Nase. »Es ist Ihre Schuld, dass Sie mich gebissen haben!«
»Ich nehme an, das kann ich nicht leugnen.«
»Und das bedeutet, dass Sie dafür verantwortlich sind, dass mein Leben so verkorkst ist!«
»Ich habe nicht mehr getan, als einige Schlucke von deinem Blut zu trinken und
Sie legte ihm die Hand auf den Mund. »Wagen Sie es ja nicht!«, zischte sie und funkelte warnend einen Kellner an, der gerade auf sie zukam. »Und ich werde das ganz bestimmt nicht hier diskutieren.«
Er lachte leise und ließ seine Finger über ihre Schultern gleiten. »Du würdest alles tun, damit ich dich auf dein Zimmer begleite, nicht wahr, querida?«
Sie machte hastig einen Schritt nach hinten. Verdammt sollten er und seine aufregenden Berührungen sein! »Sie sind wirklich ein totales Arschloch.«
»Das liegt in der Familie.«
Familie? Anna wandte den Kopf, um den großen, ebenfalls atemberaubenden Mann anzusehen, der vom anderen Ende der Halle finstere Blicke herüberwarf. »Gehört er zufällig zu Ihrer Familie?«
Ein nicht zu deutender Ausdruck trat auf sein schönes Gesicht. »Man könnte sagen, er ist eine Art Vaterfigur.«
»Er sieht nicht aus wie ein Vater.« Anna warf dem Fremden absichtlich ein Lächeln zu. »Er sieht gut aus. Vielleicht sollten Sie ihn mir vorstellen.«
Cezars Finger umfassten ihren Arm mit festem Griff. »Eigentlich waren wir zu deinem Zimmer unterwegs, schon vergessen?«, knurrte er dicht an ihrem Ohr.
Ein leichtes Lächeln bildete sich auf Annas Antlitz. Ha! Es gefiel ihm anscheinend nicht, wenn sie Interesse an einem anderen Mann zeigte. Das geschah ihm recht. Doch ihr Lächeln verblasste schnell, als plötzlich der bekannte Apfelduft wieder in der Luft lag.
»Anna gurrte eine honigsüße Stimme.
»Mist«, murmelte sie und beobachtete, wie Sybil mit der Wucht einer Lokomotive auf sie zusteuerte.
Cezar legte einen Arm um ihre Schulter. »Eine Freundin von dir?«
»Wohl kaum. Sybil Taylor geht mir schon seit fünf Jahren auf die Nerven. Ich kann mich nicht einmal umdrehen, ohne über sie zu stolpern.«
Cezar erstarrte und forschte mit sonderbarer Neugierde in Annas Gesicht. »Tatsächlich? Was hast du denn mit einer Elfe zu schaffen?«
»Einer ^ was? Quatsch!« Anna schüttelte den Kopf. »Sybil ist Anwältin.