Positiv lernen

von: Fritz Jansen, Uta Streit

Springer-Verlag, 2006

ISBN: 9783540346234 , 352 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 34,99 EUR

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Positiv lernen


 

7 · Gefühle koppeln sich an Lernen und bestimmen »Vermeiden« und »Annäherung« (S. 52-53)

Freude, Enttäuschung, Angst, Trauer, Wut und andere Gefühle erleben zu können, gehört zur biologischen Grundausstattung des Menschen. Bestimmte Ereignisse lösen mit hoher Sicherheit bei verschiedenen Menschen gleichartige Gefühle aus. Hier ist die Beziehung zwischen Ereignis und Gefühl biologisch vorgebahnt. Zu den Ereignissen, die über eine biologisch vorgegebene Verschaltung im Gehirn bestimmte Gefühle auslösen, gehören u. a. Essen, Trinken und Sexualität. Andere Ereignisse, wie Schmerzen oder auch sehr laute Geräusche, können – biologisch vorgebahnt – Gefühle der Angst auslösen.

Verhaltensweisen anderer Menschen sind ganz wichtige Auslöser von Gefühlen. Nehmen wir bestimmte Verhaltensweisen anderer Menschen wahr, so bewirken diese über eine von Geburt an vorgegebene Verknüpfung im Gehirn, dass es uns besser oder schlechter geht. Ein Lächeln, eine warme Stimme, gestreichelt oder in den Arm genommen zu werden sind Erfahrungen, die normalerweise ein gutes Gefühl auslösen. Eine laute Stimme oder ein verärgertes Gesicht lösen entsprechend unangenehme Gefühle aus. Alle diese biologisch vorgebahnten Verknüpfungen zwischen Wahrnehmung und Gefühl werden jedoch im Laufe des Lebens durch Lernerfahrungen ausgeformt und verändert.

Im Jahr 1911 veröffentlichte Pawlow die Entdeckung, dass Gefühle und körperliche Veränderungen an beliebige Auslöser bzw. Ereignisse gekoppelt werden können. Pawlow ließ einen Hund immer wieder einen bestimmten Glockenton hören. Jedes Mal bekam der Hund direkt nach dem Ton etwas Futter. Das Futter bewirkte über eine vorgegebene Verschaltung im Gehirn, dass der Hund mehr Speichel produzierte. Nach einigen Wiederholungen produzierte der Hund jedoch auch dann mehr Speichel, wenn er nur den Glockenton hörte und gar kein Futter mehr bekam. Die körperliche Reaktion, mehr Speichel zu produzieren, war also aufgrund von Lernerfahrungen an den Glockenton gekoppelt worden und wurde später auch von diesem ausgelöst. Man spricht hier von einer »klassisch konditionierten« Reaktion.

Pawlow zeigte weiter, wie eine solche Kopplung auch wieder rückgängig gemacht werden kann. Der Hund bekam über längere Zeit nach dem Glockenton kein Futter mehr. Dies führte dazu, dass nach dem Glockenton immer weniger und irgendwann gar keinen Speichel mehr floss.

Pawlows Entdeckung wird seit etwa 1950 in großem Umfang zur Behandlung von Ängsten eingesetzt.

Sie erklärt einerseits, wie es durch Lernerfahrungen dazu kommen kann, dass Situationen, die eigentlich völlig ungefährlich sind, bei einem Menschen Angst auslösen. Sie bietet gleichzeitig eine Lösung dafür an, wie diese Lernerfahrungen wieder rückgängig gemacht werden können. Dadurch konnten bis dahin unbekannte Behandlungserfolge erzielt werden.

Wie ein Gefühl durch Lernen im Sinne der klassischen Konditionierung an eine bestimmte Situation gekoppelt werden kann, zeigt das folgende Beispiel:

Beispiel
Anna ist mit ihren Eltern auf einen Kirchturm gestiegen. Die Aussicht, die sie oben hatte, gefiel ihr gut. Als Anna die Treppen wieder heruntersteigt, wird es gerade zwölf Uhr. Mit gewaltigem Lärm fangen die großen Glocken an zu läuten, während Anna gerade neben ihnen steht. Sie bekommt einen großen Schreck und weint. Seit diesem Zeitpunkt hat Anna große Angst, auf einen Turm zu steigen, und sie hat dies deshalb auch nie wieder getan.

Als Anna das erste Mal auf den Turm gestiegen war, ging es ihr noch gut. Durch die plötzlich laut läutende Glocke wurde bei ihr starke Angst ausgelöst. Dieses Gefühl der Angst hat sich an die Situation »auf einen Turm steigen« gekoppelt. Seit diesem Zeitpunkt braucht Anna nur an einen Turm zu kommen oder sich vorzustellen, auf einen Turm zu steigen, und schon entsteht bei ihr Angst. Diese Angst entsteht auch dann, wenn die Glocken gar nicht mehr läuten.

Oben wurde gezeigt, wie Pawlows Hund wieder verlernte, Speichel zu produzieren. Hierzu war es nötig, dass er ausreichend häufig den Ton hörte, ohne anschließend Futter zu bekommen. Auf die gleiche Weise können auch gelernte Kopplungen von Gefühlen an bestimmte Situationen wieder verlernt werden. Annas Angst würde dann geringer werden und schließlich ganz verschwinden, wenn sie trotz ihrer Angst wieder einen Turm bestiege und sich dem Läuten aussetzen würde. Dabei wäre die Angst zunächst sehr stark. Bliebe Anna dennoch sehr lange auf dem Turm, so verschwände die Angst allmählich. Nach längerer Zeit (evtl. nach Stunden) könnte sie den Turm wieder völlig angstfrei erleben. Klassisch konditionierte Gefühle spielen bei leistungsmotiviertem Verhalten und bei Lernstörungen eine ganz wichtige Rolle. Rechenaufgaben zu lösen, Diktate zu üben oder Hausaufgaben zu machen sind Tätigkeiten, die als solche erst einmal kein bestimmtes Gefühl auslösen müssen. Es gibt keine biologisch vorgegebene Verknüpfung, über die das Rechnen gute oder schlechte Gefühle auslösen könnte. Vergleichen wir die Erfahrungen zweier Kinder beim Rechnen. Dem einen Kind fallen die Rechenaufgaben leicht, es löst sie und macht dabei kaum Fehler. Mutter und Vater sind stolz auf ihr Kind, das schon so gut rechnen kann. Diese Freude zeigen sie ihrem Kind auf verschiedene Weise: Sie loben es, beim Loben drückt ihr Gesicht Freude aus, ihre Stimme ist warm, sie nehmen das Kind in den Arm. Wie oben dargestellt wurde, lösen diese Verhaltensweisen über eine vorgegebene Schaltung oder Verknüpfung im Gehirn beim Kind angenehme Gefühle aus. Auf die gleiche Weise, wie sich bei Anna die Angst an die Besteigung des Turms koppelte, koppeln sich die angenehmen Gefühle dieses Kindes an das Erledigen von Rechenaufgaben. Das Kind wird sich – auch ohne jedes Mal gelobt zu werden – freuen, sobald es ans Rechnen geht. Dadurch wird es immer wieder gern rechnen.

Das andere Kind hat Schwierigkeiten im Rechnen. Die Hausaufgaben in Rechnen sind für dieses Kind sehr schwer oder sogar zu schwer. Es strengt sich sehr an, um sie zu lösen, dennoch macht es viele Fehler. Diesen Eltern wird es möglicherweise mit dem Rechnen ihres Kindes nicht so gut gehen wie den Eltern des anderen Kindes. Vielleicht machen sie sich Sorgen wegen der nächsten Klassenarbeit und sind enttäuscht, weil sie denken, ihr Kind gebe sich nicht genügend Mühe. Vielleicht machen sie sich selbst Vorwürfe, dass sie ihrem Kind nicht besser helfen können.