KlimaKulturen - Soziale Wirklichkeiten im Klimawandel

von: Harald Welzer, Hans-Georg Soeffner, Dana Giesecke

Campus Verlag, 2010

ISBN: 9783593409542 , 304 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 31,99 EUR

Mehr zum Inhalt

KlimaKulturen - Soziale Wirklichkeiten im Klimawandel


 

Schon diese wenigen Hinweise genügen, um deutlich zu machen, dass der anthropogene Klimawandel ein Phänomen darstellt, das der Expertise der geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen dringend bedarf: beginnend mit der Frage, innerhalb welcher historischer und kultureller Referenzrahmen ein solches Phänomen überhaupt gedeutet wird. Die Expertise betrifft den historischen Erfahrungshaushalt in Bezug auf antizipierte, gefühlte oder erlebte Katastrophen genauso wie die dazugehörigen Deutungsrahmen. Sie bezieht sich ebenso auf die kulturellen Praktiken und Sinnkontexte, die zur Verursachung anthropogenen Klimawandels geführt haben, wie auch auf das weite Feld seiner gesellschaftlichen, politischen, psychologischen und juristischen Bearbeitung. Nicht zuletzt fordert sie das menschliche Deutungs- und Sinngebungspotential heraus: die philosophische Bearbeitung von Aspekten der Gerechtigkeit und Verantwortung sowie die philologische beziehungsweise literarische Sprachkritik und die wissenssoziologische Analyse kollektiver Deutungsfiguren. Vor diesem Hintergrund erschließt sich, wie eklatant das Versäumnis der Geistes- und Kulturwissenschaften ist, die das Feld der KlimaKulturen bislang weitestgehend unbestellt gelassen haben - und es ist selbst erklärungsbedürftig, warum dies so ist. Der wichtigste Grund für den auch in anderen Hinsichten zu verzeichnenden Rückzug der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften aus der gegenstandsbezogenen Theoriebildung und vor allem aus dem öffentlichen und politischen Diskurs ist aus unserer Sicht begründet durch den Systemzusammenbruch des Ostblocks im Jahr 1989. Nicht nur wurde diese tiefgreifende Veränderung der weltpolitischen Figuration von niemandem, eben auch nicht von den dafür eigentlich zuständigen Deutungswissenschaften, vorhergesehen; für viele Kolleginnen und Kollegen wurden mit diesem Ereignis auch die bis dahin gültigen Bezugstheorien ihrer jeweiligen disziplinären Arbeit fragwürdig - seien sie marxistischer oder systemtheoretischer Art gewesen. In nicht wenigen soziologischen oder politikwissenschaftlichen Seminaren las man ab dem Sommersemester 1990 nicht mehr Marx, sondern Weber, und das war, wie wir im Rückblick auf die vergangenen zwei Jahrzehnte Fachgeschichten wissen, nicht der einzige turn, der die geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächer in der Folgezeit beschäftigen sollte. 'Discoursive', 'iconic', 'visual', 'narrative' etc. hießen die unablässig aufeinander folgenden weiteren turns, die neben einer gewissen theoretischen Sterilität und weitgehender Empirieferne vor allem eines leisteten: die Gegenstandsbereiche der Geistes- und Kulturwissenschaften immer weiter aus dem Bereich der gesellschaftlichen Problemlagen heraus- und in die esoterische Welt der Diskurse hineinzumanövrieren. Eben diese Selbstgenügsamkeit des Existierens in den weltfreien Räumen des schieren und selbstzufriedenen Intellektualismus hat dazu geführt, dass mit dem kritischen Potential der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften auch ihre Fähigkeit entfiel, Gegebenes zu transzendieren - was sich unter anderem darin spiegelt, wie Michael Hagner in diesem Band darlegt, dass ihnen die Zukunft abhanden kam und damit notwendigerweise auch die fundamentale Sorge um die eigene und die gemeinsame Existenz. Mit dieser Zukunftsvergessenheit haben die Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften erheblich zur Entpolitisierung des öffentlichen Raumes beigetragen. Wenn die Deutungseliten auf ihr kritisches Potential verzichten, wird die Demokratie eines machtvollen Korrektivs beraubt und die Zivilgesellschaft einer analytischen und damit politischen Kraft: Die politische Entleerung des öffentlichen Raumes wird durch die postdemokratische Simulation politischer Debatten vom Typ 'Anne Will' und 'Hart aber fair' nicht ersetzt, sondern exemplarisch verdeutlicht. Das Phänomen 'Klimawandel' ist in seinen gesellschaftlichen und kulturellen Implikationen eben deshalb so dramatisch ungedeutet geblieben, weil es dem Austausch von Sprachhülsen in Talkshows und sich daran orientierenden Parlamentsdebatten ausgeliefert wurde.