Virtuelle Welten - reale Gewalt

Virtuelle Welten - reale Gewalt

von: Florian Rötzer (Hrsg.)

Heise Verlag, 2003

ISBN: 9783882292718 , 192 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 13,60 EUR

Mehr zum Inhalt

Virtuelle Welten - reale Gewalt


 

Wirklichkeit, Realismus und Simulation (S. 112-113)

Florian Rötzer

Noch sind die Gegner, gegen die in Killerspielen mit allen verfügbaren Mitteln gekämpft wird, von anderen Mitspielern gesteuerte Akteure oder Charaktere, die aufgrund eines vorprogrammierten Verhaltensrepertoires handeln. Annähernd realistisch ist in solchen Szenarien bestenfalls die grafische Repräsentation von Menschen oder menschenähnlichen Wesen. Doch die virtuellen Akteure sollen auch in ihrem Verhalten menschenähnlicher werden – damit die Spieler in möglichst realistischen Simulationen Krisen- und Kriegseinsätze proben können. Nach dem Schulmassaker wird in Deutschland diskutiert, ob Killerspiele die Spieler, vor allem die Kinder und Jugendlichen, auf Gewalt trimmen und so durch Nachahmung, Desensibilisierung und Einübung in Geschicklichkeiten und Verhaltensmodelle das Überschwappen der Handlungen von der virtuellen Realität in die Wirklichkeit erleichtern oder fördern.

Spieler selbst wenden ein, dass es bei ihnen eher um Geschicklichkeit gehe, also um einen Wettbewerb, der aber spielerisch bleibe, weil das Töten der im Spiel sichtbaren Charaktere – es kann ja auch ihr eigener Repräsentant im Spiel sein – nicht als Tötung eines wirklichen Lebewesens oder gar eines Menschen verstanden werde. Beansprucht wird, dass die Trennung von Fiktion/Simulation/Virtualität und Wirklichkeit sehr deutlich in einem Computerspiel erlebt wird, während beispielsweise in einem Film der Realismus stärker ausgeprägt sei und man dort mit den Schauspielern leide. Das scheint zumindest beim amerikanischen Militär auch so ähnlich gesehen zu werden, weswegen beispielsweise vom Defense Modeling and Simulation Office ein Projekt finanziert wird, das mit der Hilfe von Sozialwissenschaftlern die computererzeugten Charaktere realistischer machen soll, um eine bessere Übertragbarkeit des in der Simulation Gelern ten auf wirkliche Situationen zu erhalten. Der das Projektleitende Computerwissenschaftler Barry Silverman von der University of Pennsylvania arbeitet daran schon seit einigen Jahren. »Die Erkenntnis nimmt zu, dass realistischere Trainingssimulationen zur besseren Übernahme von Fähigkeiten bei den Übenden führen, doch die existierenden Trainingsspiele sind stärker auf auffällige Grafik denn auf die Modellierung wirklichen menschlichen Verhaltens ausgerichtet.

Unser Ziel ist es, Faktoren wie Ermüdung, Stress, persönliche Werte, Gefühle und kulturelle Einflüsse zu integrieren.« Letztlich scheint es also darum zu gehen, dass auch der virtuelle Feind zurückschaut – und dennoch erschossen werden muss. Interessant ist denn auch die Begründung, die Silverman für die Notwendigkeit des neuen Verhaltensrealismus gibt, durch den dann auch die virtuelle Tötung einen anderen Charakter erhalten könnte. Wichtig seien lebensähnliche Charaktere und Situationen für militärische Simulationsspiele, weil US-Truppen immer mehr an Konfliktorten in aller Welt eingesetzt würden und es auch bei friedenserhaltenden Missionen mit Menschenmengen (Mobs) oder Terroristen zu tun hätten. Auch in den USA könnten Protestierende diejenigen in Unruhe versetzen, die für Ordnung sorgen wollen.

Die virtuellen Gegner sollen wirklichen Menschen auch im Verhalten täuschend ähnlich sein Vor ihrem wirklichen Einsatz sollen die Soldaten mit den Simulationen die unterschiedlichen Gegner virtuell, aber möglichst lebensecht kennen lernen, beispielsweise Frauen und Kinder, die Steine werfen, Armeen aus kaltblütigen Jugendlichen, die Minderheiten quälen, oder Protestierende, die höchstens noch durch Flugzeuge zum Einhalten gebracht werden können, die über ihre Köpfe hinwegsausen. Eines der Probleme scheint zu sein, dass »sogar« Entscheidungen in Gegenwart von Medien getroffen werden müssen. Die Simulation soll den Soldaten als Reaktion auf erregte Menschenmengen löblicherweise beibringen, nicht zu Verhaltensweisen zu greifen, von denen man weiß, dass sie Aggressionen schüren.