Liebe an Bord

von: Maren Frank

édition el!es, 2013

ISBN: 9783956090158 , 232 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 8,99 EUR

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Liebe an Bord


 

1


»Es tut mir wirklich sehr leid.« Dr. Raschkes braune Augen sahen Diana voller Bedauern an.

Diana schluckte. Sie hatte es ja schon gewusst, aber die Worte nun zu hören, schien etwas in ihr, das gerade noch wackelig gestanden hatte, zum Einsturz zu bringen. »Wann schließen Sie die Praxis?«

»Freitag ist unser letzter Arbeitstag.« Er stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum. »In zwei Wochen regiert dann die Abrissbirne.« Bekümmert reichte er ihr einen Umschlag. »Hier. Ich habe Ihnen ein gutes Zeugnis geschrieben. Mit Ihren Qualifikationen finden Sie bestimmt rasch eine neue Anstellung. Wobei ich mir wünschen würde, dass Sie endlich Ihr Studium wieder aufnehmen.« Er hob aufmunternd die Augenbrauen.

Diana seufzte. »Wenn das so einfach wäre, würde ich es tun.«

Er legte ihr väterlich eine Hand auf die Schulter. »Darf ich Ihnen als alter Mann, der ich bin, einen Rat geben?« Diana schaute ihn etwas zweifelnd an, sagte aber nichts. »Lassen Sie sich nicht davon abhalten, das zu tun, was Sie wollen. Egal, wie viele Hindernisse sich auftun, es gibt immer einen Weg.«

Sie haben gut reden, dachte Diana. Sie gehen mit einer schönen Rente nach Spanien und setzen sich in der Sonne zur Ruhe.

Aber sie mochte Dr. Raschke viel zu sehr, um diese Gedanken laut auszusprechen. Sie hatte gern bei ihm gearbeitet, und er war immer freundlich zu ihr gewesen. Dass die Stadt dieses Viertel, in dem seine Praxis lag, nun dem Erdboden gleichmachen wollte, um neue, profitablere Geschäftshäuser hochzuziehen, dafür konnte er ja nichts.

»Ich werde darüber nachdenken«, sagte sie.

»Tun Sie das.« Er nickte und ging hinter seinen Schreibtisch zurück. »Man sollte immer das tun, woran das Herz hängt«, fügte er lächelnd hinzu. »Glauben Sie mir, es lohnt sich.«

Diana atmete tief durch. Sie wünschte, sie hätte Dr. Raschkes Zuversicht. »Wenn sonst nichts mehr ist, mache ich jetzt dann Feierabend.«

»Ist gut.« Dr. Raschke blickte ins leere Wartezimmer. »Bei diesem Baulärm kommt sowieso kein Patient mehr.«

»Dann bis morgen«, erwiderte Diana und verließ sein Büro, um ihren Mantel vom Haken zu nehmen und auch die Praxis zu verlassen. Nachdenklich ging sie zur Bushaltestelle und blätterte in einer liegengelassenen Zeitung, während sie wartete.

Bei den Stellenangeboten war nichts für sie dabei. Es gab die üblichen Annoncen für Callcenter-Mitarbeiter, außerdem wurden Umzugshelfer gebraucht, und eine Tankstelle suchte jemanden auf 400-Euro-Basis als Aushilfe, besonders für nachts. Diana hatte sich zwar rasch abgewöhnt, wählerisch zu sein, aber die Vorstellung, mitten in der Nacht allein in der Tanke zu stehen, verursachte ihr Gänsehaut.

Umzugshelfer konnte sie genauso vergessen. Das war kaum etwas für eine Frau mit knapp fünfzig Kilo und etwas über einssechzig.

Sie las weiter. »Nette Kolleginnen für ein Dienstleistungsunternehmen«, murmelte sie halblaut. Na danke, dahinter verbarg sich garantiert irgendetwas Sexuelles.

Die letzte Anzeige auf der Seite weckte jedoch ihr Interesse. Sie war so gefesselt davon, dass sie fast die Ankunft des Busses verpasste. Schnell riss sie die Seite ab, stopfte sie in ihre Jackentasche und stieg ein, bevor er ohne sie abfuhr.

Im Bus holte sie die Anzeige wieder heraus und las sie noch einmal. Kreuzfahrtschiff. Arbeiten auf dem Wasser. Eigentlich hatte sie noch nie darüber nachgedacht, dass es auch dort Jobs gab, nicht nur an Land.

Ein träumerisches Lächeln überzog ihr Gesicht. Kreuzfahrt, das klang nach Urlaub. Jeden Tag an einem anderen Ort. Und sicherlich an einem sonnigen. Hier in Deutschland war noch nicht einmal Frühling, gerade erst Ende Januar. Jetzt in die Karibik . . .

Sie seufzte sehnsuchtsvoll. In einer Hängematte zwischen zwei Palmen liegen, deren Palmwedel leise im Wind schaukelten, in der Hand einen farbenfrohen exotischen Drink, dessen fruchtiger Duft sich mit dem salzigen Aroma des Meerwassers mischte, und gleich rechts von ihr lächelte eine schöne Frau ihr verführerisch zu. Diana erwiderte das Lächeln. Die Fremde war betörend schön. Die Sonne ließ ihre gebräunte Haut glänzen, und ihre perfekte Figur wurde von einem dünnen Tuch kaum verdeckt. Leichter Wind spielte in ihren langen Haaren. Mit leiser Stimme forderte sie Diana auf näherzukommen, legte ihr, kaum dass sie in Reichweite war, die Arme um den Körper, zog sie zu sich hinunter und . . .

»Goethestraße!«

Diana fuhr hoch. Das war ihre Station. Sie sprang auf, die Zeitung noch immer in der Hand, und sprintete zum Ausgang. Der Busfahrer wartete ganz bestimmt nicht auf Karibikträumerinnen. Im letzten Moment erreichte sie die Tür. Direkt hinter ihr schloss sie sich, und der Bus fuhr weiter.

Für einen Moment stand Diana auf der Straße, ohne sich zu rühren. Dieser Übergang war so abrupt gewesen, dass sie fast noch die Sonne auf der Haut spüren konnte, die Hände der betörenden Schönheit.

Aber es war nur ein Traum. Sie, die kleine Krankenschwester Diana Melling aus dem Ruhrgebiet, passte da nicht hinein. Sie war noch nie auf die Idee gekommen, über eine Kreuzfahrt nachzudenken, das war ohnehin nur etwas für Rentner. Die konnten sich so was ja auch leisten.

Erneut warf sie einen Blick auf die unsauber herausgerissene Anzeige. Verlockend war es natürlich schon. Dort arbeiten, wo andere Urlaub machten. Und was für einen Urlaub.

Außerdem, was hatte sie schon zu verlieren? Lassen Sie sich nicht davon abhalten, das zu tun, was Sie wollen, hörte sie Dr. Raschkes Stimme. Er hatte damit Dianas Biologiestudium gemeint, das sie wieder aufnehmen sollte, aber eine Kreuzfahrt fiel sicher auch in diese Kategorie.

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. Ach nein, lieber doch nicht. Das war ein zu großes Risiko.

Während sie die Stufen in den fünften Stock hinaufstieg, zu ihrer kleinen, gemütlichen Dachwohnung, konnte sie dennoch die Gedanken nicht abschütteln. Wie ein leiser, bohrender Schmerz setzte sich die Aussicht in ihr fest. Allem entfliehen, ganz weit weg, alle Sorgen hinter sich lassen.

Sie kam oben an und schloss die Tür auf. Die Sorgen. Sie atmete tief durch. Ach, wäre das schön. Endlich einmal wieder frei sein.

Sie hängte ihren Mantel auf und ging in die Küche. Sie hatte nicht eingekauft, heute musste es eine Dosensuppe tun. Noch einmal rauszugehen, dazu hatte sie keine Lust.

Sie leerte die Dose in einen Topf und schaltete die Platte ein. Während sie mit einem Löffel umrührte, starrte sie in den Topf, als könnte sie dort etwas anderes sehen als Erbsensuppe. Die Gedanken in ihrem Kopf verdichteten sich auf verwirrende Weise, als ob ein Bienenschwarm immer näher käme.

Auf einmal ließ sie den Löffel fallen, ging zum Telefon und wählte die Nummer aus der Zeitung.

Nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine weibliche Stimme. »Kreuzfahrten Südseeträume

Nervös schluckte Diana und umklammerte den Hörer so fest, dass das Gehäuse leise knackte. »Diana Melling. Guten Tag. Ich interessiere mich für Ihre Anzeige, als Krankenschwester, für die Kreuzfahrt.«

»Sie möchten sich bewerben?« Eine sehr knappe Frage.

»Ja, gern«, erwiderte Diana so gefasst wie möglich. »Wenn Sie nicht schon jemand haben.«

»Eine Krankenschwester fehlt uns noch.«

Diana hätte am liebsten laut gejubelt. Der erste Schritt war getan. Jetzt bloß keinen Fehler machen!

»Sprechen Sie Fremdsprachen?« Die Stimme klang sehr geschäftsmäßig, nicht persönlich interessiert. Wahrscheinlich hatte diese Sekretärin schon einiges an Bewerbungen abarbeiten müssen und war es müde, zu allen nett zu sein.

»Mein Englisch ist ziemlich gut«, sagte Diana, »auch für den medizinischen Bereich. Französisch . . . na ja, geht so. Ich kann mich verständigen.«

»Spanisch?«, fragte die Stimme. »Portugiesisch? Russisch?«

Wie wäre es mit Kisuaheli? dachte Diana sarkastisch. Wie viele Sprachen brauchten die denn? »Weniger«, sagte sie. »Aber ich kann alles lernen, was verlangt wird.«

»Das wird sich zeigen«, sagte die Frau, von der Diana immer noch nicht wusste, wie sie hieß. Sich am Telefon vorzustellen war wohl außer Mode gekommen. Und als Sekretärin nahm sie sich eine ganze Menge heraus.

»Ich bin gern zu einem Test bereit«, erwiderte Diana etwas aufmüpfig. So unterbuttern lassen wollte sie sich denn doch nicht, »Frau . . .?«

»Kemp«, kam die Antwort knapp und effizient wie das ganze bisherige Gespräch. »Wichtiger als Sprachen sind in erster Linie Ihre medizinischen Kenntnisse. Können Sie morgen vorbeikommen, mit Ihren Unterlagen?«

Puh, das ging ja schnell. Diana war etwas überrascht. Es schien, als suchten sie sehr dringend nach einer Krankenschwester, und das Angebot war anscheinend nicht groß. Gut für mich, dachte sie. Das heißt, wenn sich das Ganze als realistisch herausstellt. Eine Stimme am Telefon kann mir viel von Südseeträumen erzählen. »Ich bin momentan noch arbeitsmäßig gebunden«, erwiderte sie so kühl, als hätte sie tausend Jobangebote und dieses eine würde sie gar nicht interessieren, »aber morgen Nachmittag ist die Praxis geschlossen. Da ginge es.«

»Gut.« Eine Frau der großen Worte war diese Dame nicht. »Die Adresse steht in der Anzeige. Oder soll ich sie Ihnen noch einmal durchgeben?«

Diana hatte das Gefühl, hätte sie jetzt ja gesagt, wäre sie durchgefallen. »Nein«, lehnte sie ab. »Nicht nötig. Ich habe die Adresse.«

...