Jenseits der „Ich AG“

von: Rainer Marr, Alexander Fliaster

Rainer Hampp Verlag, 2003

ISBN: 9783879887545 , 277 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 22,99 EUR

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Jenseits der „Ich AG“


 

Kapitel 7

Entgeltpolitik als Instrument des neuen psychologischen Vertrages für Führungskräfte: Von einer ICH AG zum Entrepreneur (S. 215-216)

7.1 Balancierte Entgeltsysteme als Mittel zur Schadenskorrektur

Im vorhergehenden Kapitel haben wir die zentralen Unterschiede zwischen den psychologischen Verträgen der oberen Führungskräfte im System der Corporate Governance in den Ländern der Triade im Hinblick auf zwei maßgebliche Parameter ausgemacht:

  • Wer sind die Stakeholder, denen sich die Topführungskräfte im Rahmen ihres psychologischen Vertrages besonders verpflichtet fühlen? und
  • Welche Verpflichtungen sind bzw. welche Vertragsform ist das?
Ebenfalls dürften unsere Ausführungen deutlich gemacht haben, daß grundsätzlich alle drei bisher praktizierten Alternativen, das traditionelle deutsche, das angelsächsische und das japanische Vertragsmodell, zwar von unterschiedlichen Seiten, aber relativ eindeutig an ihre Grenzen gestoßen sind. Somit ergibt sich für den hybriden, balancierten psychologischen Vertrag die Aufgabe, nach neuen Lösungen im Hinblick auf beide zentrale Variablen – den Partner und die Form des Vertrages – zu suchen.

In bezug auf den Wandel, den der psychologische Vertrag der deutschen Führungskräfte sowie die ihn fördernden Entgeltsysteme vollzogen haben, lassen sich die letzten Jahre als „Epoche des Shareholder Value" bezeichnen. Im Mittelpunkt dieses Wandels stand, wie oben bereits dargestellt, die Idee, daß die Topmanager im Zweifelsfall nur den Aktionären verpflichtet und danach zu bezahlen sind, wie sie das Aktionärsinteresse wahren. Die damit einher gegangenen Veränderungen waren gravierend, und zwar für alle Beteiligten:

Zum einen haben die in den letzten Jahren eingeführten Entgeltinstrumente für Topführungskräfte dem Interesse der Aktionäre direkt geschadet. Zum anderen haben diese Instrumente bei den Topführungskräften ein Verhalten gefördert, das (im Namen der Aktionäre) anderen Stakeholdern, allen voran den Mitarbeitern, geschadet hat, was als Folge Reaktionen auslöste, die dann die Interessen der Aktionäre abermals negativ tangierten.

Das bedeutet, daß die für die Gestaltung eines balancierten psychologischen Vertrages heute – also in der „Post-Shareholder-Value"-Epoche – in Frage kommenden anreizpolitischen Instrumente zunächst einmal als Korrekturmaßnahmen anzusehen sind, mit denen der in den letzten Jahren entstandene zweidimensionale Schaden für die Zukunft verhindert werden soll. Nur durch die Behebung des Schadens, den die Aktionäre und die Mitarbeiter durch die Transformation des psychologischen Vertrages der oberen Führungskräfte erlitten haben, wird sich dann auch der massive Schaden beseitigen lassen, den der Ruf der Manager in den letzten Jahren genommen hat.

Wie im Kapitel 6 schon erwähnt, bestand die besonders populär gewordene vertragsrelevante Änderung der Entgeltsysteme darin, die Aktienkursentwicklung zum zentralen Ergebnisparameter für die Leistung der Topmanager zu machen und – insbesondere durch die Vergabe von Aktienoptionen – ihr Einkommen in Abhängigkeit von der Kursentwicklung zu bringen. Worin genau besteht der Schaden, der damit angerichtet wurde?

7.2 Direkter Schaden für die Aktionäre

In der Gestaltung der Aktienoptionsprogramme läßt sich zunächst einmal eine der wichtigsten Ursachen für die im Kapitel 6 bereits erwähnten „Gehaltsexzesse" sehen. Ein Paradebeispiel ist die Deutsche Telekom: Bei der Hauptversammlung im Mai 2002 haben die Vertreter der 9000 Kleinaktionäre Management und Aufsichtsrat für die Erhöhung der Vorstandsbezüge um 89% Prozent auf 17,4 Millionen Euro ausgebuht – während der Kurs der „Volksaktie" immer tiefer abstürzte. Für den von Ron Sommer und seinen sieben Vorstandskollegen nach langem Ringen erklärten Verzicht auf 1,7 Millionen Aktienoptionen hatte der Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (und die Aktionäre ebenfalls) nicht viel übrig: Es sei ein Hohn, daß der Telekom-Vorstand überhaupt erwäge, sich Aktienoptionen zu genehmigen.

Die vermeintliche Problemlösung wurde mit solchen Exzessen zum eigentlichen Problem: „Offensichtlich erfordern die bestehenden Aktienoptionspläne Vorstände mit der moralischen Kraft von Heiligen" – moniert in diesem Zusammenhang Adams und stellt fest: „Ein Vergütungssystem, das zur Vermeidung seines Missbrauchs zutiefst altruistisch veranlagte Menschen an der Spitze von Wirtschaftsunternehmen erfordert, ist ... unbrauchbar." Viele von Deutschlands Spitzenmanagern – als „ganz gewöhnliche Menschen, die nehmen, was sie nur kriegen können" – konnten dieser Versuchung nicht widerstehen.