Der Tote im Maisfeld - Kriminalroman

von: Theodor J. Reisdorf

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2013

ISBN: 9783838746524 , 350 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 5,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Der Tote im Maisfeld - Kriminalroman


 

Hannes Sickart gewann das Vertrauen seines jungen Beifahrers. Ihn störte nicht sein unvorteilhaftes Aussehen, auch nicht seine Tapsigkeit, wenn er ungelenk und schwitzend beim Be- und Entladen des Fahrzeuges kleine Pausen einlegte. Er überhörte die gehässigen Bemerkungen der Lagerarbeiter, übersah seine affektiert anmutenden Griffe nach seinem Lagerfeldschwanz und redete Enno gut zu, wenn er sich fast verausgabte, um ihn zu überzeugen. Für Hannes war Enno ein zuverlässiger Kollege, mit dem er im vierstündigen Rhythmus den Platz hinter dem Steuer tauschte. Als Vater gut geratener, erfolgreicher Kinder hörte er zu, wenn Enno vom Leder zog, an seinem Alten kein gutes Haar ließ, der ihn an seinen erfolgreichen Ahnen mit Gutsherrenmanieren maß, ihm nie verständnisvoll zur Seite getreten war, wenn Mitschüler ihn, den Dickwanst, gehänselt und verprügelt hatten.

Seine durchlittenen Qualen hatten den Jungen geprägt. Bittere Erinnerungen waren nicht ohne Folgen geblieben. Die Kindergärtnerinnen hatten erfreut zugeschaut, wenn sich zur Weihnachtszeit eine Schneedecke über das Fischerdorf gelegt hatte und die Mädchen und Buben ihn umgestoßen hatten, um ihn zu »waschen«, ihm mit vollen Händen kalten, wässrigen Schnee in das Gesicht gepresst hatten, an dem er zu ersticken geglaubt hatte. Erst recht hatten ihn die Pauker enttäuscht, die ihm bereits beim ersten Betreten der Klasse mit gekräuselten Stirnfalten ihre Abneigung entgegenbrachten.

Irgendwann, und das lag noch nicht weit zurück, hatte er es satt gehabt, sich zur Wehr zu setzen, war dem schulischen und elterlichen Druck ausgewichen und hatte, statt Drogen zu nehmen, sein Heil in dem Glauben an ein Karma gefunden, das ihm auch in Zukunft half, sich zu behaupten. Enno nannte Namen von Lehrern, die in der Hafenstadt einen guten Klang besaßen. Er berichtete von Hetta, seiner ersten Geliebten, ließ sich aus über seine Jenseitsvorstellungen, die sich der getaufte Hannes Sickart schulterzuckend ohne jede Stellungnahme anhörte. Enno nannte sich selbst ein »Ekel«, weil sie alle ihn dazu gemacht hatten.

Hannes empfand Mitleid mit dem geprügelten Hund, der dabei war, ein tüchtiger und zuverlässiger Fernfahrer zu werden. Der Junge war gebildet. Er hatte etwas auf dem Kasten. Was Hannes an Enno auszusetzen hatte, das war sein Bierkonsum. Sein Griff in die Tasche nach einer Dose, wenn er die Toilette aufsuchte, nach vielen Stunden hinter dem Steuer. Doch ein Hinweis hatte genügt, die Unart abzustellen.

Er und Enno bildeten bereits ein gutes Team. Gemeinsam wuschen sie ihren Truck auf dem Hofgelände der Spedition, wenn sie einige Stunden früher, als vom Fahrdienstleiter erwartet, nach strapaziösen Touren zurückkamen.

Enno Athing fand an der Seite seines Chefs zurück zu einem gestärkten Selbstvertrauen. Er erfuhr Lob und Anerkennung von den Angestellten der Spedition. Er brachte Leistungen, die nicht kritisiert, sondern anerkannt wurden.

Sein Einsatzplan, den er im Gegensatz zu den Stundenplänen seiner ehemaligen Schullaufbahn ernst nahm, bestimmte seinen Lebensrhythmus. Das hatte zur Folge, dass er nur noch selten Gelegenheit fand, am Stammtisch in der »Hafenliebe« mit den Versagern teilzunehmen, und wenn, dann mit umgekehrtem Vorzeichen. Er hielt sich zurück mit den Runden, zeigte sich weniger spendabel und sparte nicht mit Spott in Richtung Sozialamt. Er winkte ab, wenn die Bardamen ihn mit der Sektflasche in der Hand bewundernd anschauten, als gäbe es da etwas zu feiern. Nur für Swetlana öffnete er sein Portmonee großzügig, schenkte ihr Schmuck, zahlte über Gebühr für ihre Liebesdienste. Er bat sie, zu ihm zu ziehen, den Haushalt zu führen und auf ihn zu warten, wenn er mit seinem Lastzug unterwegs war.

Swetlana willigte ein, gab den Barjob auf und zog in das Apartment der alten Villa.

Enno empfand die Anerkennung wohltuend. Er befand sich im Aufwind. Hannes war ein Superkumpel, fast ein väterlicher Freund, der ihm half, seine gekränkte Seele aufzurichten. Doch mehr noch war es Swetlana, die ihm die Wohnung zu einem gemütlichen Heim umgestaltete, ihn umsorgte, wenn er nach langen Touren geschafft nach Hause kam. Sie liebte ihn, gab sich ihm hin und befreite Enno von der Vorstellung, ein Ausgestoßener zu sein.

Swetlana war nicht nur berauschend schön, sondern hatte zusätzlich mit ihrem dunklen Haar und hervorstehenden Wangenknochen einen exotischen Reiz. Sie kleidete sich apart und verstand es, Enno mit geschmackvollen, osteuropäischen Gerichten zu überraschen. Swetlana war genügsam, was den Verzehr von Alkohol betraf, trank nur selten Bier, wenn sie abends gemütlich beisammen saßen und Zukunftspläne schmiedeten. Sie ging sparsam mit dem Haushaltsgeld um.

Stolz zeigte sie sich an Ennos Seite, wenn sie, soweit es sein Einsatzplan bei der Spedition zuließ, in die Stadt gingen. Nach einem Bummel durch die Brückstraße und Zwischen den Sielen suchten sie das Grand Café auf, nahmen dort ihren Tee oder Kaffee bei schönem Wetter draußen ein, mit dem Blick auf das Feuerschiff und das Delft. Von ihrer ehemaligen Arbeitsstätte »Alte Hafenliebe« wollte Swetlana nichts mehr wissen und bat Enno inständig, von seinen Trinkgefährten Abstand zu halten. Den Rat befolgte Enno strikt und gerne.

Auf seinem Konto sammelten sich die Beträge. Seine Bezüge überstiegen wegen der Überstundenzahlungen – oft waren er und Hannes auch am Wochenende mit dem Sattelschlepper auf Tour, mit einer Sondergenehmigung ausgestattet, um Fischprodukte anzuliefern – bei weitem das Gehalt eines Meisters bei VW.

Hinzu kam, dass, wie er zu seiner Zufriedenheit feststellte, seine Eltern ihren Zuschuss per Dauerauftrag weiterhin überwiesen.

Swetlana verbesserte, wenn er unterwegs war, ihre Deutschkenntnisse in der Volkshochschule. Er kaufte ihr ein Handy. Swetlana sorgte mit netten Worten für eine herzenswarme Verbundenheit, wenn sie ihn anrief und er den Lastzug über die Autobahn lenkte. Enno war verliebt. Und er stieß auf Gegenliebe. Er überließ Swetlana 1500 Euro seines Monatsgehaltes, das entsprach dem, was sie in der »Hafenliebe« verdient hatte.

Swetlana besaß eine gute Schulbildung und fand Gefallen an seinem esoterischen Gedankengut, was dazu führte, dass sie in jeder Weise rundum miteinander glücklich waren.

Enno hatte sich vom Sielhof und seinen Eltern abgenabelt. Ihm kam nicht in den Sinn, sie an seinen Erfolgen teilhaben zu lassen. Die Wunden, die ihre Demütigungen hinterlassen hatten, waren noch nicht vernarbt. Umso mehr freute er sich darüber, dass sie es unterließen, sich in sein neues Leben einzumischen.

Enno vergaß auch Hetta Vestera. Sein Versuch, Hetta im triefenden Regen zu einem Geschlechtsakt zu bewegen, zeitigte keine Folgen.

Der Himmel hängt voller Geigen, war das Fazit seiner Gedanken, als Swetlana ihm im Bademantel nach dem Frühstück um fünf Uhr in der Frühe seine Tasche mit gefüllter Thermosflasche und geschmierten Broten, einem Apfel und einer Banane anreichte, die Arme um ihn schlang, ihn küsste und eine gute Fahrt wünschte.

»Grüß Hannes«, hauchte sie, während bereits Lastzüge über die Nesserlander Straße in Richtung Hafen rollten und er zum Polo ging und einstieg.

Auf dem Sielhof in Greetsiel war ebenfalls der Friede eingekehrt. Gesine und Alrich Athing gingen ihren täglichen Verpflichtungen nach, die je nach der Jahreszeit ihren vollen Einsatz erforderten.

Enno hatte Gefallen an seiner beruflichen Tätigkeit gefunden und verschonte sie mit neuen Sorgen. Sie fanden sich ab mit dem Gedanken, dass er beabsichtigte, viel später als zuerst geplant mit dem Studium zu beginnen. Diese Tatsache erfuhren sie nicht aus seinem Munde. Es fehlte ganz einfach an der Aussprache mit ihm. Gesine war es recht, wenn er sich fürs Erste als Fernfahrer verdingte und später, reifer und erfahrener, mit dem Studium beginnen, und vielleicht danach, so ihr Wunschtraum, den Hof übernehmen würde.

So weit lief alles in einer zu akzeptierenden Weise.

Enno bewährte sich auch bei Schnee und Eis. Selbst winterliche Autobahnen nahmen ihm nichts von seinem Elan. Das Verhältnis zu seinem Chef festigte sich noch mehr und entwickelte sich zu einer stabilen Männerfreundschaft.

Sicherlich vermissten die Athings ihren Sohn während der Weihnachtstage. Selbstverständlich weinte Gesine viel, musste sich aber von ihrem Mann sagen lassen, dass sofort bei einer Einmischung der Burgfriede brechen werde.

An einem Spätsommertag gegen neunzehn Uhr lenkte Enno Athing den Polo von der Nesserlander Straße auf die Einfahrt der Villa. Er war total verschwitzt und geschafft. Die sommerliche Hitze, bei Saunatemperaturen in der Kabine, hatte ihm und Sickart stark zugesetzt.

Sie hatten in Salzburg »Ültje-Kerne« abgeladen, in Ingolstadt bei Audi eine Ladung für VW aufgenommen, sie in Emden abgeladen.

Enno blieb nur wenig Zeit, an der Seite von Swetlana den Feierabend zu genießen, sich zu entspannen, denn bereits um sechs Uhr in der Früh begann sein Dienst.

Sie übernahmen im Hafen bei der Rhenus-Schifffahrt direkt vom kümo »Chaldea« griechische Pfirsichkonserven, Rosinen und Korinthen für einen Importeur aus Zürich. Von der Schweiz aus führte sie ihr Einsatzplan nach Wolfsburg.

Swetlana empfing Enno freudestrahlend, küsste ihn, begleitete ihn mit einem Frotteetuch in der Hand zum Bad. Enno zog die verschwitzten Jeans, das T-Shirt und die Wäsche aus, betrat die Dusche, betätigte die Wasserhähne.

Swetlana verstaute die Klamotten im Wäschekorb, setzte sich auf den kleinen Hocker und sah Enno beim Duschen zu.

Der Schaum des Gels floss über seinen voluminösen Körper....