Datenerhebung (Enzyklopädie der Psychologie : Themenbereich B : Ser. 1 ; Bd. 2)

von: Hubert Feger, Jürgen Bredenkamp

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 1983

ISBN: 9783840905124 , 439 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 66,99 EUR

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Datenerhebung (Enzyklopädie der Psychologie : Themenbereich B : Ser. 1 ; Bd. 2)


 

6. Kapitel (S.302-303)

Befragung

Ralf Schwarzer

1. Begriffsklärung und Übersicht
Die Befragung ist ein Spezialfall von Kommunikation, die in Abhebung vom Alltagsverständnis durch ihre wissenschaftliche Zielsetzung, den Grad der Strukturierung und Standardisierung sowie durch die damit verbundene Situationsdefinition charakterisiert ist, welche mit einer asymmetrischen Sozialbeziehung und einer einseitigen Verwertung der gewonnenen Information einhergeht. Das Methodenarsenal der Psychologie ist teilweise mit dem der empirischen Sozialforschung identisch, so daß insbesondere bei der Erörterung der Befragungsmethode auf die Erfahrungen mit der soziologisch orientierten Umfrageforschung zurückgegriffen werden kann. Innerhalb dieser.

Methode wird üblicherweise zwischen Interview und schriftlicher Befragung unterschieden. Scheuch (1973, 70) definiert: ,,Unter Interview als Forschungsinstrument sei hier verstanden ein planmäßiges Vorgehen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei dem die Versuchsperson durch eine Reihe gezielter Fragen oder mitgeteilter Stimuli zu verbalen Informationen veranlaßt werden soll." Die schriftliche Befragung gilt bei ihm lediglich als Sonderform des Interviews (vgl. auch Atteslander 1969), während zum Beispiel bei Friedrichs (1973) beide Formen als eigenständige Methoden abgehandelt werden. Bei Verwendung der Befragung als Oberbegriff gelten folgende Merkmale. Es handelt sich meist um ein theoriegeleitetes, zumindest aber zielgerichtetes und regelhaftes Vorgehen der Datengewinnung; die Befragten werden entweder durch eine systematische Gesprächsoperation oder durch einen schriftlichen Fragenkatalog zu Informationsverarbeitungsprozessen veranlaßt, deren Resultat entweder verbal oder durch Antwortsymbole dem Forscher zur Verfügung gestellt wird. Definitionsgemäß sind damit andere Forschungsmethoden wie Experiment, Beobachtung und Inhaltsanalyse ausgeschlossen, was jedoch in der Forschungspraxis häufig durch Methodenvarianten und Methodenkombinationen wieder aufgehoben wird.

Die begriffliche Abgrenzung der Befragung von anderen Methoden hat lediglich eine ordnungsstiftende und heuristische Funktion. Nicht eindeutig ist die Abgrenzung der Befragung von den Test- und Schätz- verfahren, wozu auch die Persönlichkeitsfragebogen gezählt werden. Vom zu erfassenden Gegenstand her gesehen könnte man den Übergang von Meinungen zu dispositionalen Einstellungen als Nahtstelle der Verwendung der Befragung und des Persönlichkeitsfragebogens ansehen. Formal ließe sich diese Trennung durch nicht skalierte Auswertung bei der Befragung und skalierte Auswertung bei Tests oder testähnlichen Verfahren unterstützen.

Damit wäre die Befragung im allgemeinen eine direkte Methode, die sich mit der Ebene der vorgefundenen beziehungsweise im Forschungsprozeß erzeugten Daten begnügt und auf die Schätzung latenter Merkmale verzichtet. Diese Auffassung läßt sich auch mit der gängigen Forschungspraxis begründen, wie sie in der auf Fakten und Meinungen gerichteten Umfrageforschung unter soziologischen Fragestellungen üblich ist. Für die Erfassung von überdauernden Einstellungen und anderen latenten Verhaltensdispositionen verfügt die Psychologie oft über bessere Methoden. Für die Erfassung von Kognitionen dagegen, die aufgrund ihrer Einmaligkeit, Prozeßhaftigkeit und Situationsspezifität mit anderen Instrumenten kaum zugänglich sind, erscheint die relativ anspruchsarme Befragungsmethode meist als vorteilhaft.

Die psychologische Forschung nutzt hier vor allem das mündliche Interview als adaptive Gesprächsoperation, sowie methodische Varianten wie zum Beispiel das klinische Interview oder die Technik der kritischen Ereignisse (critical incidents technique). Grundsätzlich gilt, daß reine Formen der Befragung, wie sie in der empirischen Sozialforschung üblich sind, in der Psychologie seltener anzutreffen sind. Allerdings ist hier zu unterscheiden zwischen der psychologischen Forschung mit dem Ziel der Gewinnung generalisierbarer Erkenntnisse und der angewandten psychologischen Diagnostik mit dem Ziel indirekter Erfassung des Verhaltens und Erlebens. In der Diagnostik spielen Befragungsmethoden wie Anamnese und Exploration eine wichtige Rolle.