Entbrannt - Band 4 - Romantasy

von: Jessica Shirvington

cbt Jugendbücher, 2013

ISBN: 9783641096281 , 544 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 8,99 EUR

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Entbrannt - Band 4 - Romantasy


 

Kapitel Eins

»Jeder wird sich früher oder später zu einem Festmahl aus Konsequenzen zu Tische setzen.«

Robert Louis Stevenson

Was machst du, wenn dein Vater entdeckt, dass deine tote Mutter noch lebt, in seiner Wohnung steht und keinen Tag älter aussieht als an ihrem Todestag – der über siebzehn Jahre zurückliegt?

Ich bekam nie die Gelegenheit, diese Entscheidung zu treffen.

»Du hättest ihn doch nicht gleich zu schlagen brauchen!«, schrie ich, während ich Dads ohnmächtigen Körper auf das Sofa hob.

»Er war kurz davor, einen Schock zu bekommen«, sagte Evelyn ohne die geringsten Anzeichen von Reue. »Und du und ich hatten bisher noch keine Gelegenheit zu reden.«

Diese Frau war unglaublich. »Ich will nicht mit dir reden! Wann geht das endlich in deinen Kopf?«

Sie stemmte die Hände in die Hüften und schaute auf mich herunter wie … wie … wie eine Mutter. Meine Gedanken gerieten ins Stolpern und mussten sich anstrengen, etwas Nützliches zu produzieren.

Vielleicht ist noch Zeit, Beth anzurufen. Sie könnte kommen und Dads Erinnerung löschen.

Doch ich wusste, dass es dafür zu spät war. Und war ich nicht sowieso nach Hause gekommen, um Dad alles zu erzählen?

Aber nicht so! Und nicht über sie!

Sie starrte mich immer noch an.

Ich räusperte mich. »Was? Hast du dir den Kopf gestoßen, als du von deiner Wolke gefallen bist?«

Evelyn blinzelte und war einen Moment lang sprachlos, dann wandte sie sich von mir ab und legte ein Kissen unter Dads Kopf. Sie strich ihm die Haare aus dem Gesicht.

Ihre Hand verweilte ein wenig dort.

Meine ballte sich zur Faust.

»Würdest du jetzt bitte einfach gehen? Sonst rufe ich die Cops!«, fauchte ich. Ich war zornig, weil sie sich weiterhin in meinem Zuhause breitmachte und mich – und meine giftigsten Todesblicke – ganz einfach ignorierte.

Sie tastete nach Dads Puls und betrachtete prüfend sein Gesicht. »Er kommt bald zu sich.«

Oh, mein Gott. Wie hatte das bloß passieren können?

Ich hatte mich Phoenix entgegengestellt – und verloren –, dann war ich nach Hause gekommen und hatte nicht gewusst, ob mich mein Vater überhaupt noch als seine Tochter anerkennen würde, nachdem er die Male an meinen Handgelenken gesehen hatte und ich gegen seinen Willen nach Griechenland aufgebrochen war. Dann war ich dabei, wie er eine extreme Panikattacke erlebte, bevor meine von den Toten auferstandene Mutter, Evelyn, ihm in aller Seelenruhe, mit ihrer übernatürlichen Kraft, die Faust ins Gesicht rammte.

Oh, Mann. Familienzusammenführungen sind echt unsere Stärke.

»Du hättest ihm den Kiefer brechen können!«, sagte ich, weil ich mir nicht anders zu helfen wusste, als sie zu beschimpfen. Meine Mutter war eine Fremde für mich. Alles, was ich über sie wusste, war, dass sie mich in dem Moment, als ich geboren wurde, eingetauscht hatte, dass sie mein Schicksal Engeln anvertraut und uns beide, Dad und mich, zu einem Leben verdammt hatte, das aus unbeantworteten Fragen bestand. Nun war sie zurückgekommen, und ich hatte null Ahnung, wie ich mit ihr umgehen sollte.

»Nur ein blauer Fleck«, tat sie meine Bemerkung ab.

Ich stürmte in die Küche, machte ein Geschirrtuch nass und schaufelte eine Handvoll Eis hinein, bevor ich wieder zurück an Dads Seite stapfte, um ihm damit die Wange abzutupfen, die sich bereits violett färbte.

»Bevor eine von uns irgendetwas zu James sagt, sollten wir reden«, sagte Evelyn und setzte sich gegenüber von mir an den Couchtisch, der Blick aus ihren stahlblauen Augen huschte zwischen Dad und mir hin und her. Ich konnte mir gut vorstellen, was ihr durch den Kopf ging.

Wetten, dass du nicht damit gerechnet hast, wieder mit uns konfrontiert zu werden. Konsequenzen sind schon zum Kotzen!

»Du meinst, du brauchst Zeit, um schnell mal darüber nachzudenken, wie du ihn wieder verlassen kannst.« Jedes Wort schmeckte bitter. Ich musste mich in den Griff kriegen. Ich wollte verdammt sein, wenn diese Frau mich um den Verstand brachte. »Hör mal …« Ich stieß den Atem aus. »Du hattest recht. Es war eine gute Idee, ihn auszuknocken. Mach dir nicht die Mühe mit dem Balkon, es ist ein Albtraum, hinunterzuspringen – geh einfach durch den Haupteingang und versteck dein Gesicht vor den Sicherheitstypen, auf die du unterwegs triffst. Wenn Dad aufwacht, sage ich ihm, dass ein Eindringling hier war und dass er angegriffen wurde. Er wird denken, dass er sich Sachen einbildet und es darauf beruhen lassen.«

Sie sah mich mit großen Augen an. »Glaubst du wirklich, ich würde einfach zur Tür hinausgehen?«

Ich hätte fast über ihren verletzten Tonfall gelacht. »Glaubst du wirklich, dass du das nicht tun würdest?«

Sie seufzte und sah wieder Dad an. »Du hast seine Sturheit geerbt.« Sie sah aus, als wollte sie noch mehr sagen, schüttelte aber dann frustriert den Kopf. Die Bewegung verschaffte mir ein klein wenig Befriedigung. »Ich gehe nirgendwohin.«

Oh, bitte!

Ich starrte sie an und fragte mich, ob ich noch genug Zeit hätte, sie hinauszuwerfen, bevor er aufwachte.

Himmel. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie Dad aufwacht und sieht, wie sich seine Tochter und seine tote Frau in der Luft zerreißen.

»Bitte, geh einfach«, sagte ich. Alles würde besser werden, wenn erst mal mehrere Städte zwischen uns lagen. »Du gehörst nicht hierher.«

Sie verschränkte die Arme. Aber ich merkte, dass sie angespannt und bereit war, falls die ganze Angelegenheit in einem Kampf enden würde.

Meine Augen wurden schmal, und die Versuchung, sie zum Handeln zu zwingen, wurde größer. Doch wir wussten beide, dass wir das nicht riskieren konnten.

»Weiß er, was du bist?«, fragte sie, und ihre Schultern entspannten sich.

Ich setzte mich zurück auf meine Fersen. »Nein. Aber er weiß etwas. Er hat deinen Brief gelesen und meine Male gesehen. Ich hatte vor, es ihm heute zu sagen.«

Sie nickte, als ihr alles klar wurde. »Nun, dann komme ich ja gerade richtig. Wir werden es ihm gemeinsam sagen. Alles.«

»Wie umsichtig von dir«, schoss ich aus dem Hinterhalt.

Dad begann sich zu regen.

»Gut«, sagte ich. »Aber wenn du anfängst, mit Lügen um dich zu werfen, dann rechne nicht damit, dass ich da mitmache. Anders als bei dir wird meine Version tatsächlich die Wahrheit enthalten.«

Bevor sie etwas erwidern konnte, bewegte sich Dad und schlug die Augen auf.

»Violet?«, krächzte er, seine Stimme hörte sich unsicher an.

»Es ist alles in Ordnung, Dad«, erwiderte ich und legte ihm den Arm um die Schulter. »Du bist zu Hause und in Sicherheit.« Ich warf Evelyn einen warnenden Blick zu, dann wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder meinem Vater zu. »Niemand wird dir mehr was tun.«

Seine Augen wurden klarer, und trotz seiner Verwirrung lächelte er mich an. Ich lächelte zurück. Dann sah er Evelyn. Er schnappte nach Luft und ich musste nach ihm greifen, um ihn zu stützen, während er sich bemühte, sich aufzusetzen.

»Atme, Dad. Sonst bekommst du wieder eine Panikattacke«, sagte ich so beruhigend wie möglich.

Seine Augen waren so groß, dass sie fast weiß waren. »Oh, Gott. Ich habe mir das nicht eingebildet. Wer bist du? Du … du siehst aus …«, stammelte er.

Evelyn holte tief Luft und sah ihm in die Augen. »Bei unserem ersten Date hast du mich zu einer Kutschfahrt durch den Central Park eingeladen. Du hattest nur das Geld für die Hälfte der Tour, deshalb wurden wir mitten im Park rausgeworfen und mussten zu Fuß zurückgehen. Unterwegs hast du Blumen für mich gepflückt. Als du dich an diesem Abend verabschiedet hast, hast du mich geküsst und gesagt: ›Das ist nur der Anfang.‹ Am nächsten Tag haben wir uns zum Frühstück getroffen – und alle darauffolgenden Tage ebenfalls, ganze sechs Wochen lang. Der erste Morgen, an dem wir nicht zusammen gefrühstückt haben, war der Tag unserer Hochzeit.«

Dad war wie erstarrt. Genau wie ich. In einer einzigen kleinen Rede hatte ich mehr über ihre Beziehung erfahren, als Dad mir je erzählt hatte. Und das machte mich nur noch zorniger.

Wie hatte sie ihm das nur antun können?

Die Zeit schien still zu stehen. Evelyn sah Dad an, ihr Blick flehte darum, dass er diese Unmöglichkeit akzeptieren würde. Dad starrte sie ungläubig an. Mein Blick schoss zwischen den beiden hin und her …

Meine Eltern.

»Evelyn?«, hauchte er.

Sie nickte.

»Bist du …« Er schluckte. »Bist du ein Geist?«

»Nein«, sagte Evelyn ruhig. »Ich bin ein Mensch. Überwiegend zumindest.« Sie zog die Augenbrauen zusammen....