Kulturgüter bei Staatensukzession - Die internationalen Verträge Österreichs nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie im Spiegel des aktuellen Völkerrechts

von: Yves Huguenin-Bergenat

Walter de Gruyter GmbH & Co.KG, 2010

ISBN: 9783899497663 , 361 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 133,95 EUR

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Kulturgüter bei Staatensukzession - Die internationalen Verträge Österreichs nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie im Spiegel des aktuellen Völkerrechts


 

§ 3 Österreichisch-italienischer Ausgleich (S. 123-124)

I. Erste Konventionsentwürfe

Bereits im Sommer 1919, als die Friedensvertragsverhandlungen noch in vollem Gange waren, drängte Italien auf den Abschluss eines bilateralen Übereinkommens mit Österreich. Österreich vermutete die Gründe für dieses Vorgehen im moralischen Fiasko, das Italien durch den Friedensvertrag drohte. Wie dem Entwurf des Friedensvertrages vom 20. Juli 1919 zu entnehmen war, wurden die Beschlagnahmungen vom Februar 1919 nicht gebilligt und Italien keinerlei (Sonder-)Rechte zuerkannt. Offenbar erachtete Italien zudem den Zeitpunkt als günstig für den Abschluss von Sondergeschäften. Im Wissen um die Absicht der Nachfolgestaaten, die bedeutenden österreichischen Sammlungen aufzuteilen, bot Italien Österreich an, für deren Erhalt einzutreten, freilich im Abtausch mit umfangreichen Zugeständnissen.

Im August 1919 lagen die Entwürfe für zwei Konventionen bereit. Gemäss der ersten Konvention hätte sich Österreich – ungeachtet der Art. 192 und 193 des Friedensvertrages und vorausgesetzt, die österreichischen Sammlungen würden nicht aufgeteilt – verpflichtet, sämtliche Kulturgüter aus den an Italien abgetretenen Gebieten zurückzugeben, wann auch immer die Wegschaffung geschehen sein mochte. Österreich würde auf eine allfällige Entschädigung durch die Wiederherstellungskommission gemäss Art. 192 verzichten. Zudem hätte Österreichdie Verpflichtungen aus den Verträgen von 1859, 1866 und 1868 erfüllen und gleichzeitig auf die dort festgehaltenen Einreden verzichten müssen.

Im Vergleich zu Art. 194 des Friedensvertrages hätte dies für Österreich eine Verschlechterung bedeutet. Völlig untragbar aus österreichischer Sicht war das in der Konvention statuierte Recht Italiens, sämtliche von der italienischen Militärmission entfernten Objekte behalten zu dürfen. Davon ausgenommen wären nur die drei Codices gewesen, die Italien als Pfand mitgenommen hatte. Auch die in Art. 195 Anlage I bezeichneten Kulturgüter, über deren Zuordnung gemäss Friedensvertrag ein neutrales Juristenkomitee zu befinden hatte, wären mit einer Ausnahme allesamt an Italien gegangen. Zuletzt wäre Österreich – ebenfalls ohne Vorbild im Friedensvertrag – die Pflicht auferlegt worden, Kulturgüter von angemessenem Werte als Kriegsentschädigung auszuliefern.

Hätten die Nachfolgestaaten das Ziel erreicht, die österreichischen Sammlungen zu zerschlagen, hätte Österreich sich dazu verpflichten müssen, Italien bei der Teilung bestmöglich zu unterstützen. Als Gegenleistung hätte Italien sich in einer zweiten, geheimen Konvention verpflichtet, der Zersplitterung der österreichischen Sammlungen entgegenzuwirken und hierzu seine guten Dienste bei den anderen Nachfolgestaaten einzusetzen.

Die österreichischen Reaktionen auf das vorgeschlagene Sonderabkommen machten die unterschiedlichen Interessen von Kunsthistorikern und Politikern deutlich. Während Erstere den Erhalt der Kunstsammlungen in den Vordergrund stellten, waren die Politiker gezwungen, die Interessen Österreichs im Blick auf den gesamten Friedensvertrag zu wahren. Angesichts der desolaten Wirtschaftslage war die Angelegenheit der Kulturgüter für sie von untergeordneter Bedeutung. Nach wochenlangen Verhandlungen lehnte Österreich das Sonderabkommen mit Italien schliesslich ab. Die Regierung wollte dem Friedensvertrag nicht vorgreifen. Sie befürchtete, dass die Alliierten ein solches Sonderabkommen als Versuch werten könnten, ihre Entscheidung zu beeinflussen. In materieller Hinsicht gelangte sie zur Ansicht, dass das Sonderabkommen für die Interessen Österreichs und dessen Kunstbesitz keinerlei Vorteil biete.