Eine skandalöse Versuchung - Roman

von: Stephanie Laurens

Blanvalet, 2010

ISBN: 9783641044770 , 512 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 4,99 EUR

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Eine skandalöse Versuchung - Roman


 

Prolog
Royal Pavilion, Brighton
Oktober 1815
 
»Seine Königliche Majestät muss sich ja in einer argen Notlage befinden, wenn er die Elite der britischen Krone extra herbeizitiert, um sich schlicht und ergreifend in ihrem Ruhme zu sonnen.«
Der beiläufige Kommentar triefte nur so vor Sarkasmus; Tristan Wemyss, vierter Earl of Trentham, ließ seinen Blick flüchtig über den stickigen Musiksalon schweifen, wo sich Gäste, Opportunisten und Speichellecker aller Art drängten.
Prinny – wie der Prinzregent gemeinhin genannt wurde – stand von Bewunderern dicht umringt. Ganz in Purpur und mit Goldtressen und gefransten Epauletten ausstaffiert, verströmte der Regent leutselige Geselligkeit und schwelgte in lebhaften Nacherzählungen wagemutiger Taten, die er den Depeschen über die jüngsten militärischen Engagements, vornehmlich denen in Waterloo, entnommen hatte.
Tristan ebenso wie der Gentleman an seiner Seite, Christian Allardyce, Marquess of Dearne, kannten die bittere Wahrheit hinter den Geschichten; sie waren selbst dabei gewesen. Die beiden hatten sich ein wenig von der Menge abgesondert und in einem ruhigeren Winkel des opulenten Saals Zuflucht gesucht, um sich weitere kunstvolle Lügen des Regenten zu ersparen.
Der sarkastische Kommentar stammte von Christian.
»Im Grunde«, murmelte Tristan, »würde ich den heutigen Abend eher als eine Art Ablenkungsmanöver betrachten – eine Finte, wenn man so will.«
Christian zog seine dichten Brauen hoch. »Erhört meine Lobreden auf Englands Ruhm … und vergesst, dass die Kassen leer sind und die Menschen hungern?«
Tristans Mundwinkel verzogen sich. »So was in der Art.« Christian wandte seinen Blick von Prinny und dessen Gefolge ab und ließ ihn stattdessen prüfend über die übrige Menge in dem kreisrunden Saal wandern. Es war eine rein männliche Veranstaltung, die sich in erster Linie aus Vertretern aller wichtigen Regimenter und Truppen zusammensetzte, die vor Kurzem noch im aktiven Dienst gestanden hatten; der Raum war ein bunter Ozean von verschiedenen Paradeuniformen, verziert mit Tressen, Pelzbesatz, glänzendem Leder und sogar Federn. »Die Tatsache, dass er seine aufwendig inszenierte Siegesfeier hier in Brighton stattfinden lässt und nicht in London, lässt tief blicken, findest du nicht? Ich frage mich, ob Dalziel da nicht ein Wörtchen mitzureden hatte.«
»Soweit mir zu Ohren gekommen ist, wird der Prinz in London nicht allzu gern gesehen; aber wie mir scheint, ist unser vormaliger Befehlshaber mit seinen Vorschlägen zur Gästeliste keinerlei Risiko eingegangen.«
»Ach?«
Sie sprachen leise, wie immer bestrebt, ihre Unterhaltung nach belanglosem Geplänkel unter Bekannten aussehen zu lassen. Die Macht der Gewohnheit. Sie ließ sich nur schwer abschütteln, zumal eine solche Verhaltensweise bis vor Kurzem noch für beide unerlässlich gewesen war – um zu überleben.
Tristan lächelte oberflächlich, und zwar geradewegs durch einen Gentleman hindurch, dessen Blick eben in ihre Richtung gewandert war; der Herr entschied sich, die beiden lieber nicht zu unterbrechen. »Ich bin bei Tisch Deverell begegnet – er saß nicht weit weg von mir. Er erwähnte, dass Warnefleet und St. Austell auch hier seien.«
»Tregarth und Blake ebenfalls. Sie sind mir aufgefallen, als ich hereinkam …« Christian brach nachdenklich ab. »Ach, verstehe. Dalziel hat wohl nur denjenigen eine Einladung zugestanden, die ihren Dienst kürzlich beendet haben?«
Tristan sah ihn vielsagend an; das Lächeln, das seinen ausdrucksstarken Lippen nie fern war, wurde intensiver. »Du glaubst doch wohl nicht, Dalziel würde es irgendjemandem – und sei es Prinny – gestatten, die geheimsten seiner Geheimagenten der Öffentlichkeit preiszugeben?«
Christian unterdrückte ein Grinsen, hob sein Glas an die Lippen und nahm einen Schluck.
Dalziel – niemand nannte ihn je bei seinem vollen Namen oder Titel – hielt die Zügel der englischen Außenpolitik fest in den Händen; in seinem Büro in Whitehall liefen sämtliche Fäden des britischen Spionageapparats zusammen – ein Apparat, der Englands Siege auf der Iberischen Halbinsel und kürzlich bei Waterloo überhaupt erst möglich gemacht hatte. Gemeinsam mit einem gewissen Lord Whitley, seinem persönlichen Gegenstück im Innenministerium, war Dalziel für alle verdeckten Operationen innerhalb und außerhalb Englands verantwortlich.
»Mir war nicht bewusst, dass Tregarth und Blake mit uns im selben Boot sitzen; die beiden anderen kenne ich nur vom Hörensagen.« Christian sah Tristan flüchtig an. »Bist du dir sicher, dass die vier ebenfalls ausscheiden?«
»Von Warnefleet und Blake weiß ich, dass sie aus ähnlichen Gründen ausscheiden wie wir. Bei den anderen beiden ist es pure Spekulation, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Dalziel die Integrität eines Agenten vom Kaliber eines St. Austell – oder auch eines Tregarth oder Deverell – gefährden würde, nur um Prinnys Launen zu befriedigen.«
»Wohl war.« Christian ließ seinen Blick erneut über das Meer von Köpfen gleiten.
Er und Tristan waren beide hochgewachsen, breitschultrig, schlank und hatten den typisch muskulösen Körperbau von Männern, die regelmäßig an aktiven Kampfhandlungen teilnahmen – eine Tatsache, die von ihrer elegant geschnittenen Abendgarderobe nur ansatzweise vertuscht wurde. Unter ihrer Kleidung trugen beide die Narben des jahrelangen Militäreinsatzes; und obwohl ihre Fingernägel makellos manikürt waren, würde es noch Monate dauern, ehe die letzten Spuren – Schwielen, Rauheit, lederartige Haut – ihrer außergewöhnlichen und oftmals groben Tätigkeit ganz von ihren Händen verschwunden waren.
Die beiden Männer hatten – ebenso wie die fünf anderen Kollegen, von deren Anwesenheit sie wussten – über zehn Jahre lang in Dalziels Diensten und denen ihres Vaterlandes gestanden; Christian sogar fast fünfzehn Jahre lang. Ihren Pflichten entsprechend hatten sie jede erdenkliche Rolle gespielt – die des Adeligen wie die des Straßenkehrers, die des Kaufmanns wie die des Dachdeckers. Erfolg bedeutete für sie nur eines: die geheimen Informationen einzutreiben, um derentwillen man sie in feindliches Gebiet entsandt hatte, und lange genug zu überleben, um selbige Informationen an Dalziel zu übergeben.
Christian leerte sein Glas und seufzte. »Ich werde das alles vermissen.«
Tristan lachte knapp. »Werden wir das nicht alle?«
»In Anbetracht der Tatsache, dass wir von nun an nicht mehr auf der Gehaltsliste Ihrer Majestät stehen«, Christian stellte sein Glas auf eine nahe gelegene Anrichte, »sehe ich nicht ein, warum wir eigentlich noch hier herumstehen und uns unterhalten, wo wir dies doch genauso gut in einer sehr viel angenehmeren Umgebung tun könnten …« Sein ausdrucksloser Blick kreuzte sich mit dem eines Gentleman, der anscheinend erwogen hatte, zu ihnen herüberzukommen; er revidierte seine Entscheidung und wandte sich ab. »Und zwar ohne ständig Gefahr zu laufen, einem dieser Kriecher in die Hände zu fallen und ihm artig von unseren Abenteuern berichten zu müssen.«
Er sah Tristan mit hochgezogenen Brauen an. »Was meinst du …? Wollen wir uns in freundlichere Gefilde begeben?«
»Unbedingt.« Tristan übergab sein Glas einem vorbeigehenden Diener. »Hast du einen bestimmten Ort im Sinn?«
»Ich hatte schon immer eine Schwäche für das Ship and Anchor. Mir gefällt die behagliche Atmosphäre dort.«
Tristan nickte ihm zu. »Also, auf ins Ship and Anchor. Meinst du, wir können es wagen, gemeinsam hinauszugehen?«
Christians Lippen zuckten amüsiert. »Wenn wir mit ernster Miene und zusammengesteckten Köpfen – natürlich gewichtig flüsternd – gleichermaßen zielstrebig wie unauffällig auf den Ausgang zusteuern, werden wir höchstwahrscheinlich unbehelligt durchkommen.«
 
Ihr Plan ging auf. Jeder, der sie bemerkte, nahm an, dass einer der beiden geschickt worden war, um den anderen zu einem äußerst wichtigen und natürlich hochgeheimen Treffen zu geleiten; die Diener beeilten sich, ihre Mäntel zu holen, und bald traten die beiden Männer hinaus in die frische Nachtluft.
Sie hielten kurz inne und atmeten tief ein, so als müssten sie ihre Lungen von der lähmend stickigen Luft des überheizten Palastes reinigen. Dann lächelten sie einander fast unmerklich zu und ließen den Royal Pavilion hinter sich.
Sie entfernten sich von dem hell erleuchteten Eingangsportal und bogen in die North Street ein. Mit dem entspannten, aber entschlossenen Schritt zweier Gentlemen, die genau wissen, wohin sie wollen, wandten sie sich nach rechts und steuerten auf den Brighton Square und die dahinter befindlichen Sträßchen zu. Als sie die schmalen, von Fischerhäusern gesäumten, gepflasterten Gassen erreichten, mussten sie hintereinander hergehen; sie tauschten an jeder Weggabelung ihre Positionen und spähten prüfend in jeden Winkel … Falls einem der beiden in diesem Moment bewusst war, dass dieser Ort zu Hause und Frieden bedeutete, dass sie fortan nicht länger auf der Flucht, nicht länger im Krieg waren, so unterließen doch beide jeglichen Kommentar und machten keinerlei Anstalten, jenes seltsame Verhalten zu unterdrücken, das ihnen beiden so selbstverständlich geworden war.
Sie gingen kontinuierlich in Richtung Süden – auf das Geräusch des Meeres zu, das in der Dunkelheit gegen das Ufer rauschte. Schließlich...