Die Kieselschule - Klang und Musik mit Steinen - Gewaltprävention in Kindergarten und Grundschule

von: Manfred Cierpka, Klaus Feßmann

Kösel, 2010

ISBN: 9783641042400 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 17,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Die Kieselschule - Klang und Musik mit Steinen - Gewaltprävention in Kindergarten und Grundschule


 

Die Erwachsenen
Schloss Freudenberg Wiesbaden, Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne nach Hugo Kükelhaus: Matthias Schenk, der Leiter der Einrichtung, mit seinen Mitarbeiterinnen, ein sonniger Herbsttag, der vertraute Raum mit dem groben Holzboden, die Klinkerbögen vermitteln die bekannte warme Atmosphäre. Wie jedes Vierteljahr waren wir am Vormittag eines Samstags dorthin gereist, um mit Menschen zu arbeiten, die das »Mit Steinen Musikmachen« erlernen wollten. Menschen, die am Klang, an der Musik interessiert sind, die gespürt hatten, dass dies etwas mit ihnen anstellt, sie bewegt. Unter ihnen waren die beiden jungen Mitarbeiterinnen des Hauses, denen dieser Raum gefällt und denen sich der Klang der Steine in ihren Ohren festgesetzt hatte; die Ergotherapeutin aus Bonn, die davon gehört hatte, aber sich »das mit den Steinen« nicht vorstellen konnte; der Ingenieur aus Frankfurt, der in seiner Freizeit Instrumente baut und am Klang arbeitete; die Leiterin des Kölner Jugendtreffs, die die verschiedenen Nationen unter den berühmten Hut zu bringen hatte; die Erzieherin, die neugierig auf das Projekt war; die Grundschullehrerin aus Aachen, die fachfremd Musik zu unterrichten hatte und Konzepte benötigte, möglichst schnell und effektiv, denn der Druck ist groß; die Tagesstättenleiterin, die sich informieren wollte, was das mit den Steinen mit einem und den anderen so anstellt.
Insgesamt nehmen bei dieser Art von Fortbildung immer zwölf Interessenten teil und arbeiten vier Stunden am Nachmittag, immer von 14 bis 18 Uhr.
»Sie suchen sich bitte auf dem Tisch dort zwei Kieselsteine aus, einen größeren flachen und einen kleinen, eckig oder rund ist egal.«
Sie sind wunderschön, die Steinderln, wie wir in Österreich sagen, manchmal sind die Adern schön sichtbar, die Farben bewegen sich zwischen braun, grau und schwarz, die Formen so vielfältig wie die Schöpfung.
»Sie sollten einen kleineren für die flache Seite nehmen, meine Dame.
Und nun, meine Damen und Herren, schauen Sie sich einmal Ihre Hände an, stecken Sie erst einmal Ihre Kieselsteine in die Tasche, Ihre Hände sind jetzt bedeutungsvoll. Ihre Hände mit den vier abzuspreizenden Fingern, vom kleinen bis zum Zeigefinger, die vier, die aus fünf Teilen bestehen: zwei harten Gelenken und drei weichen, aus Sehnen, aus Muskeln und verschiedenen Hautschichten bestehenden Zwischenbereichen. Nur der Daumen gehört hier nicht dazu, steht ab und hat nur drei Teile: zwei weiche und ein Gelenk. Deshalb spielte man das Klavier vor Bach auch ohne denselben, da dieser so etwas von unnatürlich aussieht, dass man ihn nicht zum Musikmachen verwenden wollte.
Fahren Sie jetzt einmal mit dem kleinen Steinchen ganz langsam jeden der Finger immer von der Spitze ausgehend bis hin zur Brücke ab. Berg- und Talfahrt im Kleinen könnte man dazu sagen, die harten Knochen, die weichen Sehnen und Muskeln, deren Spannung man durch Dehnen, Strecken und Lockern verändern kann.«
»Was heißt das, die Brücke?« »Sie entschuldigen, ich hole nach, die Brücke ist der Innenteil der Handknöchel, der weichere Teil von beiden, die 50-prozentige Verbindung zwischen Knochen/Gelenken und Sehnen/Muskeln. Die Brücke brauchen wir später. Jetzt legen wir den flachen Kiesel in den Handteller, strecken die Finger aus, halten die Hand waagrecht und schauen uns dieses wunderbare Gebilde an. Dieses Handwerkszeug unseres Lebens, mit dem wir musikalische Werke erzeugen, entstehen lassen können. Was für ein Kunstwerk, unsere ganz individuelle Hand, jeder ganz individuelle Kieselstein, unser Klang-Kieselstein, den wir bei gestreckten Fingern auf dem Handteller balancieren und den wir, die Finger langsam beugend, fest umschließen. Aufmachen, schließen, aufmachen, schließen, eine Bewegungsübung für die Finger. Vorsicht, meine Damen und Herren, den Stein auf keinen Fall fallen lassen, wer würde schon eine Geige einfach fallen lassen, wenn er sie in der Hand hält? Ist Holz mehr wert als Stein? Auf keinen Fall. Öffnen, schließen, öffnen, schließen mit der linken Hand.
Und während die Linke dies übt, schauen wir nach der Rechten, die den kleinen Stein, den Spiel-Kiesel, mit dem Daumen und dem Zeige- und Ringfinger leicht in der Hand hält. Einmal die waagrechte linke Hand, die den flachen Klang-Kiesel hält, ihn tanzen lässt auf dem Handteller, ihn langsam bändigt und dann umschließt, um ihn anschließend, peu ä peu, wieder frei zu geben. Und nun die rechte Hand mit dem kleinen Spiel-Kiesel, der von oben sich dem Klang-Kiesel nähert.« - Klopf, klopf, klopf, klopf -
»Immer gleichmäßig im Puls bleiben, kein Rhythmus bitte, nur Puls, so wie der eigene Puls, die Pulsation des Herzschlags, des Blutkreislaufs, immer in Bewegung, immer im Puls, dem Puls der Zeit, dem Puls des Lebens, dem Puls des Klangs. Gleichmäßig.
Und jetzt stehen wir uns nicht mehr die Beine in den Bauch, sondern nehmen die Füße mit: links, rechts, links, rechts, Puls, Puls, Klopf, Klopf, links, rechts ...
Dabei öffnen wir langsam die Finger und strecken sie so, dass die Töne höher werden, nach oben steigen, und wenn wir die Finger langsam wieder beugen und den Klang-Kiesel umfassen und festhalten, werden die Klopf-Klopf-Klänge tiefer, wandern in den Keller der Töne. Am besten versucht jeder von Ihnen, seine Töne, die er oder sie hört, mitzusingen, gleichmäßig im Puls, links, rechts, höher, höher, klopf, klopf, da, do, la, la, Kiesel, Steine. Und weiter im Raum, hören Sie, was da alles klingt, an jeder Stelle tönt es anders, spielen Sie sich im Begegnen untereinander vor, genießen Sie die Bewegung, den Klang, die Füße, die Hände, die Musik.«
So gerieten alle TeilnehmerInnen, der Ingenieur, die Lehrerin, die Ergotherapeutin, die Erzieherin, nach und nach gleichmäßig in Bewegung, es tönte, pulste, vibrierte, begann zu dampfen, zu schwingen. Der Nachmittag wurde zu einer neuen Erfahrung, knüpfte an Altes, Bekanntes an, erweiterte den Horizont und die Sicherheit im musikalischen Tun. Welche Kraft und Macht hat die Musik, auch ganz ohne Orgel, Geige, Klavier. Nur mit zwei kleinen Kieselsteinchen!
Die Kinder
Was für ein Theater, welch ohrenbetäubender Lärm! Hier kämpften zwei Jungs miteinander.
»Gib mal die Kugeln«, rief Mark.
»Nein, kriegst du nicht«, kam von Yüha.
Dort klingelte das Handy, hinten schminkte sich eine sehr junge Schönheit.
»Ich will jetzt hier das Buch anschauen.«
»Ich les es gerade und geb es nicht mehr her.«
Der kleine Junge in der Ecke vertilgte gerade seinen Apfel. »Ich Chef und sag, was los ist!!« Der Größte der Klasse rief gerade alle Klingeltöne seines Handys ab. Überall war was los, Getöse, Pfiffe, Schreien, Wettrennen ...
Niemand hatte bemerkt, dass die Tür aufgegangen war und zwei weitere Personen den Raum betreten hatten.
»Hallo Kinder«, rief der Gast Manfred Kniel vergeblich.
»Ruhe, ihr Lieben, Ruhe! Schaut mal her, wer zu uns gekommen ist. Wir haben Besuuuch!« Die Klassenlehrerin versuchte sich an einer Ordnung. »Nicht so einfach«, erklärte sie dem Gast.
»Ziemlicher Hühnerhaufen, die Kids«, meinte dieser. »Versuchen wir es doch einmal damit.« Er zog zwei Steinchen aus der Tasche.
Klack, klack, klack, klackklacklickklickklick, klack, klack
»Hey, was'n das?« Verwunderte Blick allseits.
Klack, klack, klack, klackklacklickklickklick, klack, klack
»Was machst du?« Plötzlich standen fast alle um den interessanten Herrn herum, der - »Was hast du da?« - Steine, Kieselsteine - klack, klack, klack - in seiner Hand hielt. - Klack, klack, klack - »Häns- chen klein« - »Kenn ich das Lied«, flüsterte Flo. - »Hab auch schon gehört.« - Klack, klick, klack, klick »Klingt wie bei Madonna«, kam von Johnny aus Kansas. -»Schlagzeug, er hat n' Schlagzeug in der Hand!«
»Quatsch, n' Schlagzeug is zu groß für die Hand.«
»Was hast du« - Klickklack - »da in der Hand?«
»Steine«, sagte Manfred Kniel, »einfach Steine, Kieselsteine, Kiesel aus dem Fluss.«

»Wow, der Mann zaubert Musik aus Stein« - Klick, klack, klack - »Hey du,
»Kannst ruhig Manne zu mir sagen, wie Mann aber mit >e<, das ist die Abkürzung von Manfred.«
»Hey, du zauberst ja Musik aus Steinen!« »Voll cool!«
»Steine sind doch nicht für Musik, Steine sind zum Spielen oder zum Werfen oder zum Hausbauen oder für den Fluss!« - Klick, klack, klack
»Wollt ihr auch mal spielen?«
»Mit Stein? Kann ich nicht, is zu schwer, ich bin doch kein Zauberer!«
»Ich bring es euch bei, und wenn Ihr aufpasst und gut mitmacht, nehm ich euch in die Zaubergesellschaft auf.«
»Oooooooohhhhhhh, Zaubergesellschaft«, flüsterte Sabrin. »Ist das gefährlich? Flieg ich dann weg wie Harry Potter?«
»Mit Musik kann man fliegen lernen, klar.«
»Und auch wieder landen?«
»Immer. Du hast ja die Steine in der Hand, da kannst du dich festhalten.«
»Nehmt mal jeder zwei Steine von denen, die ich mitgebracht habe, einen großen für die linke und einen ganz kleinen für die rechte Hand und jetzt schaut ihr mir mal zu.«
Alle standen und jetzt war äußerste Konzentration angesagt. Ein Klingen und Flüstern, Tönen und dann Tappeln der Füße war noch hörbar, alles andere war weit weg.
»Hörst du, was ich spiele?«
»Klar, versteh ich gut« - »Mach ich heute Mittag« - »Ich erst morgen, heute geht nicht« - Klick, Klack, Klack, Klack - »Warum denkst du??» - Kling, klang - »Meine Hände machen Musik, hör mal« - »Meine ganz alleine« - »Ich singe mit Hand und Fuß« - klick, klick, klack, klack
- »Mein Stein klingt« - klickklack - »Meine Hände machen Musik!!!!«
Die Kinder
- »Wie geht's dir?« - »Gut, prima« - klick, klack, klack - »Drei verschiedene Töne: Mir geht's gut« - klick, klack, klick - »Und schneller!« - klickklickklackklackklack - »Meine Hände fühlen sich ganz anders an, irgendwie verzaubert« - klick, klack - klickklick - »Jetzt sind wir auch Zauberer!« - »Richtige Klang-Musik-Zauberer« - »Ich hab aus dem Stein die Töne gezaubert. Hörst du?« Klick - Klack
Was ist die Kieselschule?

Ein kurzer Überblick
Die Kieselschule ist ein innovatives Programm zur Förderung von Kompetenzen zur Gewaltprävention. In der Kieselschule gehen Stein und Musik eine Symbiose ein. Der Stein - mitunter auch Ausdruck von Aggression, Kampf und Gewalt - wird hier zu einem Instrument des Miteinanders, des Gefühlsausdrucks und der Kreativität.
Warum Kieselsteine? Wir verwenden sie als musikalisches Medium, weil sie für Kinder äußerst ansprechend und attraktiv sind und außerdem ein archaisches, intuitiv zu benutzendes Medium darstellen.
»Stein des Anstoßes« für die Entwicklung der Kieselschule war die zunehmende Gewalt und Aggressivität unter Kindern, die nach wirkungsvollen und früh ansetzenden Präventionsstrategien verlangt.
Mit Musik gegen Gewalt? Der musikalische Zugang wurde gewählt, weil die Kinder soziales Verhalten mit musikalischen Mitteln spielerisch lernen und problematisches Verhalten ebenso spielerisch verlernen können, ohne dass hierfür auf Sprache als Medium zurückgegriffen werden muss. Das ist gerade mit jungen Kindern und solchen, die vielleicht Schwierigkeiten mit der Sprache haben, ein enormer Vorteil. Zudem können durch das musikalische Spiel mit den Kieselsteinen äußerst wichtige sozial-emotionale Gewaltpräventions-Kompetenzen dauerhaft und im sozialen Gefüge der Gruppe bzw. Klasse geübt werden, ohne dass diese jeweils ausdrücklich thematisiert werden. Auf diese Weise kann die spielerische Auseinandersetzung mit zentralen gewaltpräventiven Themen in den Vordergrund rücken.