Mütter ohne Liebe - Vom Mythos der Mutter und seinen Tabus

von: Gaby Gschwend

Hogrefe AG, 2009

ISBN: 9783456947402 , 121 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 14,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Mütter ohne Liebe - Vom Mythos der Mutter und seinen Tabus


 

5 Die aktiv Gewalt ausübende Mutter (S. 91-92)

Guten Tag, oft und wiederholt schlägt meine Frau meinen Sohn. Heute waren es über siebzig Schläge, weil er seine Bromhexintabletten nicht schlucken wollte […] Sie sagt mir immer ich darf mich nicht einmischen, das würde die Erziehung untergraben und vor allem ihre Autorität. Meine Frau ist Ärztin und hat immer recht […] Das Problem ist aber viel schwerer, es vergeht fast kein Tag, an dem unser Sohn nicht von meiner Frau geschlagen wird. Wenn er statt einer eins nur eine zwei nach Hause bringt zum Beispiel. Wenn er nicht schnell genug irgendwelche Anweisungen ausführt. Wenn er das versalzene Essen nicht zu Ende essen will. Nun muss er seine Wäsche selbst waschen, soll allein kochen. Natürlich darf ich ihm nicht dabei helfen. Das alles um ihn zu einem selbständigen Sohn im Sinne des Kindswohles zu erziehen. Meine Frau droht mir damit, dass sie bei einer Scheidung das alleinige Sorgerecht bekommt. Meine größte Angst ist die, dass das wahr wird. Ist das wirklich immer so?

Dieser Brief eines verzweifelten, Rat suchenden Vaters stammt aus einem Internet-Forum, und er ist nur einer von vielen Beiträgen, in denen mütterliche Gewalt off enbar wird, die sich häufi g jenseits der Öff entlichkeit im privaten «Mutter-Kind-Heim» abspielt. Die Werbeindustrie setzt uns täglich eine verkitschte Mutter-Kind-Welt vor, während die Massenmedien mit traurigen und grausamen Kinderschicksalen aufwarten. Diese aber sind nur die Spitze eines Eisbergs, die nicht (mehr) zu übersehen sind. In tieferen Schichten ist ein Vielfaches an unerkannten Schicksalen verborgen. Für viele Kinder ist seelische und körperliche Misshandlung, auch und vor allem seitens ihrer Mütter, trauriger und grausamer Alltag.

Entgegen der Suggestionen des Muttermythos macht Mutterschaft nicht frei von Wut und Grausamkeit. Seelische und körperliche Gewalt von Müttern gegen ihre Kinder ist häufi ger, als wir wahrhaben wollen und öff entlich wird dieses Th ema schon gar nicht thematisiert. Aus Gründen der Moral und des Anstandes verdrängen und verleugnen die meisten Frauen bestimmte Gefühle und spontane Impulse gegen ihre Kinder. Aber in Ohrfeigen, Wutausbrüchen und Beschimpfungen kommen ihre tieferen Regungen doch unvermittelt ans Licht. Dann schießen in ihnen vielleicht urplötzlich unkontrollierte Wut- und Hassgefühle hoch, die danach verlangen, das Kind niederzumachen – mit Worten oder mit körperlicher Gewalt. Das Kind ist dabei der Übermacht der Mutter, ihrer Wut und Frustration hilfl os ausgeliefert und ein idealer «Sündenbock».

5.1 Formen der Gewalt

Kindesmisshandlung kann als eine «nicht zufällige, gewaltsame psychische und/oder physische Beeinträchtigung des Kindes» defi niert werden (Deegener 2005, S. 37). Unterschieden wird nach den verschiedenen Formen von Gewalt in:
• emotionale/seelische Gewalt/Misshandlung
• Vernachlässigung
• körperliche Gewalt/Misshandlung
• sexueller Missbrauch.

Oft handelt es sich um Kombinationen von Gewaltformen, und seelische Misshandlung ist immer auch ein Bestandteil der anderen Formen von Gewalt.

5.1.1 Seelische Gewalt Seelische Gewalt ist nicht so leicht wahrzunehmen und zu fassen. Es handelt sich um wiederholte, aber unterschiedliche und zum Teil subtile Verhaltensweisen der Pfl egeperson. Gemeinsam ist ihnen, dass sie dem Kind zu verstehen geben, «es sei wertlos, mit Fehlern behaft et, ungeliebt, ungewollt, gefährdet oder nur dazu nütze, die Bedürfnisse eines anderen Menschen zu erfüllen» (ebd., S. 143). Es sind Verhaltensweisen, die Kinder entwerten, ängstigen oder überfordern und sie in ihrer Entwicklung beeinträchtigen.