Spinnefeind - Katinka Palfys achter Fall

von: Friederike Schmöe

Gmeiner-Verlag, 2009

ISBN: 9783839230442 , 374 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Spinnefeind - Katinka Palfys achter Fall


 

1. Jens und Charly


 

Ihr Handy klingelte mitten hinein in eine Diskussion, die Privatdetektivin Katinka Palfy an diesem heißen Nachmittag im Juli am liebsten nicht geführt hätte.

»Das ist Hardo.«

»Super«, sagte Britta Beerenstrauch und grinste. »Wie bestellt. Sprich Klartext.«

Katinka warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Im vergangenen Herbst hatte sich ihr langjähriger Freund Tom von ihr getrennt. Er war aus ihrem Leben geplumpst, als habe es ihn nie gegeben. Nicht allein der Abschied von Tom war am Anfang grauenvoll und schmerzhaft gewesen. Beinahe ebenso schlimm fand Katinka, dass Tom den Kater mitgenommen hatte. Zwar hatte Vishnu, der Rotgetigerte, von jeher eine deutliche Vorliebe für Tom gezeigt. Dennoch tat es weh, zwei Vertraute auf einmal zu verlieren.

Katinka und Kriminalhauptkommissar Harduin Uttenreuther, genannt Hardo, hatten zur gleichen Zeit eine schüchterne, von langen Unterbrechungen geprägte Annäherungsphase begonnen. Britta hatte nichts anderes im Sinn, als sie zu drängen, in Sachen Liebe endlich Nägel mit Köpfen zu machen.

»Hallo Hardo«, nahm Katinka das Gespräch an. Ihre Stimme bebte immer ein wenig, wenn er anrief.

»Wie geht’s?«, fragte Hardo beiläufig.

»Alles im grünen Bereich.«

Britta schnitt eine Grimasse und bedeutete Katinka, den Lautsprecher einzuschalten. Katinka zeigte ihr einen Vogel.

»Schlimme Neuigkeiten«, sagte Hardo. »Ein Mord in der Tiefgarage Eichwörth.«

Katinka drückte nun doch auf ›laut‹.

»Doris Wanjeck, Lehrerin am Paul-Celan-Gymnasium«, fuhr der Kommissar fort. »Sie wurde erwürgt. Gestern Nachmittag.«

»Tiefgaragen sind gute Orte für Ermittler. Was ist mit den Videobändern?«

»Sind von lausiger Qualität und zeigen einen Kauz in schwarzer Motorradkluft mit Helm und schwarzem Visier.«

»Ach du Schreck.«

»Tja«, sagte Hardo, »laut rechtsmedizinischem Erstbefund liegt die Todeszeit bei gestern, also Sonntag, um 16 Uhr. Ich wollte, dass du Bescheid weißt.«

»Danke«, sagte Katinka, stellte den Lautsprecher wieder ab und fügte hinzu: »Sehen wir uns bald mal?« Sie errötete unter Brittas investigativem Blick.

»Von mir aus gern.« Er zögerte. »Wann hast du gedacht?«

»Ich rufe bei Gelegenheit an«, sagte Katinka.

»Gut.« Irrte sie sich, oder schwang da Enttäuschung in seiner Stimme?

»Dir ist echt nicht zu helfen«, sagte Britta düster, als Katinka die rote Taste gedrückt und das Gespräch beendet hatte. »Da ist jemand, der alles dafür geben würde, mit dir zusammen zu sein, und du bockst.«

»Quatsch«, wehrte sich Katinka halbherzig.

»Was ist eigentlich mit dir los? Liebst du ihn nicht?« Britta wartete die Antwort gar nicht ab. »Ich sage dir was: Du liebst ihn, mehr als du jemals einen Mann geliebt hast. Aber du willst es nicht wahrhaben. Schiebst es weg wie einen leergegessenen Teller.« Resolut rückte sie ihr Glas ein Stück beiseite.

»Er hat angerufen, weil es einen Mord gibt«, sagte Katinka. »Hast du doch mitgehört.«

»Pah!«, machte Britta. »Er sucht einen Anlass, um sich bei dir in Erinnerung zu bringen. Etwas Unverfängliches.«

Mord ist höchst verfänglich, wollte Katinka widersprechen, aber im Inneren musste sie Britta recht geben, obwohl sie es ihrer besten Freundin natürlich nie eingestehen würde. Sie und Hardo waren scheu wie Rehkitze, wenn es um ihre Beziehung ging. Vielleicht war da zu viel Angst vor dem Verlassenwerden, vor Enttäuschung und Vertrauensverlust.

»Also«, sagte Britta, legte Geld auf den Tisch und schulterte ihre riesige Tasche. »Dann mache ich mich mal auf den Weg. Gute Storys lauern zurzeit auch nicht an jeder Straßenecke.«

»Stopp!«, rief Katinka. »Stimmt das, was du vorhin angedeutet hast? Du hörst auf beim ›Fränkischen Tag‹?«

»Sehen wir mal«, tat Britta geheimnisvoll. Die Falte über ihrer Nasenwurzel vertiefte sich, eine Veränderung, die Katinka bislang nicht aufgefallen war. »Ciao.«

 

Katinka schlenderte durch die Lange Straße zu ihrer Detektei. In der Austraße freuten sich die Studenten auf das Semesterende. Ein Trupp schick gekleideter Menschen schritt energisch Richtung Uni. Eine Frau hielt einen selbstgebastelten Doktorhut in der Hand. Die Gruppe plapperte aufgeregt. Die gehen zu einem Rigorosum, dachte Katinka, und feiern den frischgebackenen Doktor. Für einen Augenblick wehte diese leise Sehnsucht heran, nach der Freiheit des Studentenlebens ohne Verantwortung und böse Träume. Die wissenschaftliche Karriere hatte sie vor Jahren aufgegeben, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Mit Gremien und Hierarchien, Reformen und Spielchen kam Katinka schlecht zurecht. Freiberufler ist beinahe so gut wie Student, dachte sie und bog in die Hasengasse ein.

Sie schloss die Tür zu ihrer Detektei auf. Hier stand die Luft. Katinka ließ die Tür offen und schaltete ihren Rechner an. Während sie ihre Mails durchsah, dachte sie an den Mord in der Tiefgarage. Es klang fast wie der Titel eines drögen Drehbuches. Mord in der Tiefgarage, nein, wirklich. Sie löschte ein paar Müllmails und surfte träge durchs Netz. Seit das herrliche Wetter sich austobte, gab es kaum Aufträge.

Die Tür ging.

»Grüß Gott. Das ist doch die Privatdetektei?«

Ein Mann Ende 20 schaute herein. Katinka nickte ihm zu.

»Nur herein.« Sie stand auf und stellte sich vor.

»Ja, hallo also. Ich bin Jens Falk.«

»Bitte.« Sie bot ihm Platz an. »Was zu trinken?«

»Wenn Sie was Kaltes haben«, antwortete er und lehnte sich zurück. Er trug schmutzige Jeans und ein eng anliegendes T-Shirt mit der Aufschritt ›Roxy Music‹ in Silber. Auf seiner Wange leuchteten ein paar Kratzer. Katinka angelte eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank im Nebenzimmer, schnappte sich mit der anderen Hand zwei Gläser und ging ins Büro zurück.

»Also, ich habe ein blödes Problem«, begann Falk. »Vielleicht sind Sie das ja gewöhnt. Probleme aller Art. Ich bin Mathelehrer. Mathe und Physik. Referendar. Die erste Hälfte meines Referendariats habe ich in Kulmbach gemacht, jetzt muss ich hier die übrigen Monate durchziehen.«

Katinka setzte sich hinter ihren Schreibtisch.

»Welche Schule?«

»Paul-Celan-Gymnasium«, sagte er und verdrehte die Augen. »Die höhere Schule für die Elite Bambergs! Jedenfalls: Ich werde nicht übernommen. Man hat mir die Verbeamtung glatt unter dem Hintern weggezogen. Und alles kam mit einer ganz komischen Sache. Rede ich zu schnell?«

Katinkas Kuli wetzte über das Papier. Dort, wo ihre Hand Schweißspuren hinterlassen hatte, schrieb er nicht. Sie schob ihn weg und griff nach einem Bleistift.

»Nur zu!«, sagte sie. Wenn ein Klient so energiegeladen loslegte, musste sie das ausnutzen. Den meisten zog sie die Informationen häppchenweise aus der Nase.

»Alles begann kurz nach den Pfingstferien. Ich war mit meinem Physik-Grundkurs in München im Deutschen Museum. Ist immer eine Reise wert. Und während der Exkursion verschwand ein Schüler. Hannes Niedorf.« Falk öffnete die Flasche und goss sich Sprudel ein. »Natürlich lief der ganze Leierkasten ab. Polizei, Schule und Eltern wurden benachrichtigt, das heißt nur der Vater, Hannes ist Halbwaise. Der Junge ist schon 18, also war nicht viel zu machen.«

Katinka runzelte die Stirn und sah Falk zu, wie er ihr Glas füllte.

»Sie können sich vorstellen, was in der Schule los war. Stress pur. Nur Charly, Hannes’ Vater, war ziemlich gefasst. Er behauptete, sein Sohn sei erwachsen. Charly ist ein recht … ungewöhnlicher Vater.«

Katinka schrieb das nächste Blatt voll.

»Inwiefern ungewöhnlich?«

»Er ist ein Ultralinker. Mir ist nicht klar, warum Hannes an unserer Schule gelandet ist. Da brauchst du ein schwarzes Parteibuch, wenn du die Klos putzen willst. Die Eltern unserer Schüler sind aufs Höchste ambitioniert und wollen überall mitquasseln. Das nervt.«

»Ihre Verbeamtung ging den Bach runter, weil Sie den Schüler Hannes Niedorf während einer Exkursion im Deutschen Museum verloren haben?« Katinka trank einen Schluck.

»Nein. Meine Aufsichtspflicht habe ich nicht verletzt, es war ein genauer Treffpunkt verabredet, und Hannes ist, wie gesagt, erwachsen.« Jens Falk sah grimmig vor sich auf den Tisch. »Es gab im letzten Halbjahr einiges Unschöne am PCG. Erst sind kurz vor Notenschluss im Winter Klassenarbeiten verschwunden. Meine Klasse hatte gut gearbeitet. Die Neunte ist super. Ich hatte alles korrigiert. Plötzlich waren die Dinger weg.« Falk raufte sich das Haar, sein T-Shirt klebte von Schweiß. »Ich weiß, dass ich sie nicht verschlampt habe. Ich sehe im Moment nicht so aus, aber ich bin ein ordentlicher Mensch und weiß sehr wohl am Morgen noch, wo ich am Abend meine Arbeitsmaterialien abgelegt habe. In meinem Arbeitszimmer herrscht peinliche Ordnung.«

»Kein Verdacht?«, fragte Katinka.

»Es muss jemand bei mir eingebrochen sein und die Sachen abgeräumt haben, aber ich habe nichts mitgekriegt. Es war in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. Am Abend hatte ich die Arbeiten noch. Am Morgen wollte ich sie den Schülern zurückgeben. Tja.«

»Haben Sie den Einbruch angezeigt?«

»Schon, aber niemand hat mir geglaubt. Man hat keine Spuren gefunden. Ich wohne am Hinteren Bach. Nur zwei Fenster gehen zur Straße. So leicht steigt da keiner...