Trauma, Angst und Liebe - Unterwegs zu gesunder Eigenständigkeit. Wie Aufstellungen dabei helfen

von: Franz Ruppert

Kösel, 2012

ISBN: 9783641094508 , 352 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 21,99 EUR

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Trauma, Angst und Liebe - Unterwegs zu gesunder Eigenständigkeit. Wie Aufstellungen dabei helfen


 

1 Wo liegen die Wurzeln psychischer Probleme?

Anlässe für Psychotherapie

Ich bin Hochschullehrer und praktizierender Psychotherapeut. Warum kommen Menschen zu mir und suchen psychotherapeutische Hilfe? Nach meinen Erfahrungen sind es vor allem die folgenden Anlässe:

Partnerschaftliche Beziehungen gehen schief,

in den Beziehungen mit den eigenen Kindern häufen sich die Belastungen,

manche Menschen fühlen sich allein, sind ohne Partner und sehnen sich nach einer festen Beziehung,

andere fühlen sich in Gruppen und Gemeinschaften isoliert,

viele leiden unter Ängsten und Depressionen, einige zuweilen unter Psychosen,

manche laborieren an lästigen körperlichen Symptomen, einige an schweren chronischen Erkrankungen oder sogar Krebs

und zuweilen sind es Konflikte im Arbeitsleben, mit denen Menschen nicht mehr alleine klarkommen.

Psychische Probleme, »Störungen« oder gar »Krankheiten« äußern sich am häufigsten in konflikthaften zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie finden ihren Ausdruck auch in auffälligen psychischen oder körperlichen Leidenssymptomen.

Psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist meines Erachtens kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck von Selbstbewusstsein. Darin kommt der Wunsch zum Tragen, sich aus Abhängigkeiten zu lösen und in die eigene Kraft zu kommen. Zu etwa 80 Prozent sind es Frauen, die sich in einer Einzeltherapie oder in einer Gruppe durch einen Blick auf ihr Innenleben eine Verbesserung ihrer Lebenssituation erhoffen. Sie wollen sich selbst besser verstehen und persönlich wachsen. Frauen scheinen mit ihren Gefühlen und Beziehungsthemen offener umzugehen als Männer. Sie wollen vermehrt Verantwortung für ihr Leben übernehmen und die Beziehungen zu ihren Partnern und Kindern verbessern.

Wenn Männer um therapeutische Unterstützung nachsuchen, ist oft der aktuelle Anlass, dass sie von einer Partnerin/Ehefrau verlassen wurden oder dass es Konflikte am Arbeitsplatz oder Karrierebrüche gibt. Ich freue mich, wenn Männer keinen Bogen um ihre psychischen Probleme machen und sich psychotherapeutische Hilfe holen, um die psychologischen Ursachen ihrer Beziehungs- und Lebensprobleme zu ergründen.

Die folgende Anfrage kam z. B. von einem Mann: »Ich hätte gern eine Einzeltherapie bei Ihnen. In Stresssituationen verliere ich die Kontrolle über mich: Mein Herz klopft, meine Atmung geht schwer, ich kann nicht richtig denken und teilweise werde ich auch aggressiv, sodass ich den anderen beleidige und Dinge zu ihm sage, die mir hinterher leidtun. Das macht mir zunehmend zu schaffen. Die Ursache liegt sicher bei meinem Vater. Er war Alkoholiker und war äußerst jähzornig, sodass ich als Kind oft Todesangst hatte. Diese Angst kommt unter Druck heute noch durch. Intellektuell habe ich das begriffen, aber ich bin dem dann ausgeliefert. Ich wünsche mir, dass Sie ein wenig Zeit für mich haben und mir helfen, diese Blockade aufzulösen, damit mein Leben wieder gut fließen kann!«

Diese offene und sich selbst reflektierende Anfrage stellt eine reife psychische Leistung dar. In der Arbeit mit diesem Klienten kam der kleine Junge in ihm zum Vorschein, den er innerlich in sich abgespalten hatte und zu dem er nun emotionalen Zugang fand. Dieser kleine Junge war dann nicht länger »eine Blockade« für ihn, sondern eine Quelle von Lebensfreude und -energie.

Nach 25 Jahren psychotherapeutischer Tätigkeit bin ich davon überzeugt, dass jeder Mensch, ob Mann oder Frau, psychische Gesundung erfahren kann, wenn er sich auf den Weg macht und dieses Ziel verfolgt. Es ist nur eine Frage der Zeit, der Geduld, des eigenen Mutes und der Bereitschaft, die inneren Widerstände zu überwinden, die einer Heilung psychischer Verletzungen im Wege stehen.

Die Erfahrungen, die ich als Psychotherapeut seit nunmehr über 20 Jahren mache, zeigen mir mit großer Regelmäßigkeit: Aktuelle Probleme, die wir Menschen haben und die wir nicht von alleine lösen können, verweisen uns zurück auf ungelöste psychische Konflikte in unserer Vergangenheit. Sie machen uns darauf aufmerksam, dass alte Konflikte in unserem Innenleben noch nicht vorbei sind. Nicht selten gelangen wir dann bis an den Anfang unserer Kindheit, unserer Geburt oder vielleicht sogar unserer Zeugung.

Fallbeispiel 1 Einen Mann finden, der zu mir passt (Laura)

Laura hat sich in einem Gruppenseminar neben mich gesetzt, um eine Aufstellung zu machen. Sie ist eine Frau mittleren Alters, sie wirkt sympathisch und nett und sieht, wie ich finde, sehr gut aus. Sie erzählt, dass sie seit ihrer Scheidung vor zwölf Jahren keine feste Beziehung zu einem Mann mehr hatte. Wenn sie kurzfristige Liebschaften eingehe, dann seien dies entweder Fernbeziehungen oder Beziehungen zu verheirateten Männern. Sie gibt sich selbst eine Erklärung dafür: »Ich denke, ich habe Angst, verlassen zu werden. Und verheiratete Männer haben mich ja bereits verlassen.«

Ich frage Laura nach ihrer Kindheitsgeschichte. Sie erzählt, dass sie als 16 Monate altes Baby zu ihrer Tante kam, weil ihre Mutter für längere Zeit ins Krankenhaus musste. Nach einem Jahr sei sie dann wieder zu ihrer Mutter zurückgekommen. Das Verhältnis zu ihrer Mutter sei für sie immer sehr schwierig gewesen.

Ich frage Laura weiter nach der Lebensgeschichte ihrer Mutter. Diese sei das fünfte von acht Geschwistern. Vor der Geburt ihrer Mutter sei ein Bruder früh gestorben. Dann fällt Laura ein, dass es auch vor ihrer eigenen Geburt ein Mädchen gab, das noch im neunten Monat im Mutterleib gestorben und dann tot auf die Welt gekommen sei. Für mich sind das zunächst genügend Informationen und ich frage Laura nach dem Anliegen für ihre Aufstellung.

Laura meint, ihr Anliegen für die Aufstellung sei es zu sehen, wie sie wieder zu einer dauerhaften Partnerschaft »mit einem Mann, der zu mir passt«, kommen könnte. Ich schlage ihr vor, sich jemand aus der Gruppe für dieses Anliegen auszusuchen und im Raum aufzustellen. Sie selbst solle dann gleich dabeibleiben.

Die ausgewählte Stellvertreterin für Lauras Anliegen ist ganz wohlwollend zu ihr und findet ihr Anliegen gut und in Ordnung. Sie bemerkt dann in Lauras Augen eine Traurigkeit. Laura selbst fühlt jetzt Aufregung in sich hochsteigen. Sie möchte am liebsten davonlaufen (Abbildung 1).

Ich empfehle Laura, für den Anteil in ihr, der weglaufen möchte, eine weitere Stellvertreterin aufzustellen. Sie tut dies. Die Stellvertreterin für diesen Anteil spürt jedoch keinen Impuls wegzulaufen. Im Gegenteil, sie fühle sich ganz ruhig und möchte gerne dableiben. Laura und die Stellvertreterin für ihr Anliegen, die bislang von Angesicht zu Angesicht zueinander standen, wenden sich nun zu dieser anderen Stellvertreterin hin und stehen nebeneinander. Laura fühlt jetzt keine Aufregung mehr in sich und ist innerlich ruhiger (Abbildung 2). Die Stellvertreterin für den Anteil des Weglaufens möchte gern näherkommen. Laura will das zunächst nicht. Sie kann sich aber nach einiger Zeit doch dazu entschließen, zwei kleine Schritte der Annäherung in ihre Richtung zuzulassen.

Jetzt empfehle ich Laura, zwei weitere Stellvertreterinnen auszuwählen: eine für ihre Mutter und eine für sich als Baby mit 16 Monaten. Sie macht dies, und die Stellvertreterin der Mutter und die Stellvertreterin für das Baby umarmen sich sofort. Das Baby weint und legt seinen Kopf auf die Schulter seiner Mutter (Abbildung 3). Die Mutter sagt merkwürdigerweise, dass sie Laura liebt, aber nicht für sie da sein kann.

Ich bitte Laura dann, das Kind, das vor ihr tot zur Welt kam, ebenfalls aufzustellen. Nachdem sie das gemacht hat, wird die Stellvertreterin für ihre Mutter immer unruhiger. Sie sagt: »Das geht einfach nicht!« Sie wendet sich schließlich von dem Baby an ihrer Schulter ab und läuft weg. Die Stellvertreterin für das Baby verliert dadurch ihren Halt und sinkt zu Boden. Sie krümmt sich dort zusammen, geht in eine embryonale Haltung und beginnt heftig zu weinen. Das Baby schreit nach seiner Mama. Diese kommt aber nicht mehr zurück (Abbildung 4).

Laura ist sehr berührt von der Verzweiflung, welche die Stellvertreterin für ihr inneres Baby zum Ausdruck bringt. Nach einer Weile geht sie zusammen mit ihrem Anliegen zu ihr hin. Sie fängt an, sie zu streicheln, zu trösten und zu umarmen. Das Baby ruft weiter nach seiner Mama und Laura versucht ihm zu erklären, dass die Mama weg ist, sie (Laura) aber nun als erwachsener Anteil da sei. Das Baby kann das nicht verstehen. Es weint weiter und Laura versucht vergeblich, es zu trösten (Abbildung 5).

Nach einer Weile sagt die Stellvertreterin für das Baby zu Laura: »Du musst mir sagen, dass wir zusammengehören!« Als Laura dies tut, bricht auch sie in Tränen aus und beide liegen nun flach am Boden und umarmen sich. Dabei ist es für Laura wichtig, dass ihr Anliegen hinter ihr ist und sie berührt. Nach einer Weile macht das Baby den Vorschlag aufzustehen. Laura und ihr Anliegen helfen ihm dabei, auf seine Beine zu kommen. Es ist, als ob dieses Baby nun versucht, auf seinen eigenen, noch sehr wackeligen Beinen zu stehen und seine ersten Gehversuche zu machen. Mit Hilfe von Laura und der Stellvertreterin für ihr Anliegen gelingt ihm das und es ist darüber froh und stolz. Bald beginnt es, herzhaft zu lachen, und diese Heiterkeit erfasst nun auch Laura. Sie ist ganz vergnügt im Kontakt mit der Stellvertreterin für das Baby.

Zu dritt stehen jetzt Laura, ihr Anliegen und das Baby nebeneinander. Die Stellvertreterin für den Impuls wegzulaufen tritt vor sie hin. Sie fragt Laura, ob sie noch einen weiteren Schritt näherkommen dürfe. Laura gesteht ihr das zu, will aber nicht, dass...