Der Prinz der Klingen - Roman - Der Schattenprinz 2

von: Torsten Fink

Blanvalet, 2012

ISBN: 9783641084677 , 736 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 11,99 EUR

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Der Prinz der Klingen - Roman - Der Schattenprinz 2


 

Erster Tag

Es war nur ein kleiner Ausschnitt der Welt, den Prinz Sahif at Hassat durch den Eingang des Stollens sehen konnte. Der Schnee schmolz selbst hier in den Bergen schnell von den Felsen. Es war ruhig dort draußen, nur ein stetiges Tropfen war zu hören, und nichts, nicht einmal ein Tier, rührte sich. Sahif hatte sich in der Nacht in dem Bergwerk versteckt. Erst hatte er sich in der Tiefe des Stollens verkrochen, aber bald bemerkt, dass dieser nicht so tief war, wie er es sich gewünscht hätte. Es war eines der Silberbergwerke, die einst so zahlreich um Atgath herum entstanden und alle schnell wieder aufgegeben worden waren, weil die Mahre das Silber, das es eigentlich reichlich in diesen Bergen gab, vor den Menschen versteckt hatten. Das hatten sie ihm selbst erzählt, diese Berggeister, die den alten Geschichten entstiegen zu sein schienen.

Es war ein schlechtes Versteck, aber Sahif hatte kein besseres. Also blieb er in der Nähe des Ausgangs und starrte Stunde um Stunde hinaus. Er konnte dort draußen immer noch nichts entdecken, was gefährlich aussah, und gerade das weckte sein Misstrauen. Sollte er seinen Verfolgern wirklich entkommen sein? Die ganze Stadt war doch hinter ihm her, und im letzten Licht des vorigen Abends hatte er weit unterhalb am Berg schwarze Punkte gesehen – Männer, die ihm seine Schwester Shahila auf den Hals gehetzt hatte. Er war sich beinahe sicher, dass es die Bergkrieger waren, die Shahila nach Atgath mitgebracht hatte – seine Halbschwester, die den Herzog ermordet und Sahif zum Sündenbock für dieses Verbrechen auserkoren hatte. Er wurde zornig, wenn er an sie dachte, und das war gut, denn der Zorn war besser als die Leere, die er sonst in sich spürte. Vielleicht hätte er sie doch töten sollen, wie es die Mahre verlangt hatten – er hatte große Lust dazu verspürt, aber zu lange gezögert. Früher hätte er ihr bestimmt kalten Herzens die Kehle durchgeschnitten, aber dieser Mann war er nicht mehr. Er hatte sein Gedächtnis verloren, und was er nach und nach über sein altes Ich erfahren hatte, war erschreckend und verstörend. Vieles war möglicherweise gar nicht wahr, denn das meiste hatte ihm seine Halbschwester erzählt, und die hatte ihn belogen, betrogen und benutzt, wie er leidvoll hatte erfahren müssen. Ja, inzwischen bereute er es, dass er sie nicht umgebracht hatte, aber als er seinem Zorn und dem Blutdurst endlich freien Lauf hatte lassen wollen, hatte sie sich hinter der Magie versteckt, die eigentlich den toten Herzog hätte schützen sollen. Sahif verfluchte Shahila, und er verfluchte sein Schicksal, aber beides half ihm nicht weiter.

Er war müde, hungrig, fror, und er wusste nicht, was er tun sollte. Nur, dass er nicht bleiben konnte, wo er war, das wusste er. Wenn er wenigstens eine Waffe gehabt hätte! Aber er hatte in dem Stollen nichts Besseres gefunden als den morschen Stiel einer Hacke, der einen mehr als armseligen Knüppel abgab. Und da draußen, vor dem Eingang dieses Bergwerks, wartete eine Welt voller Feinde auf ihn. Einmal, als er schon drauf und dran gewesen war hinauszugehen, hatte der Klang von leichtem Steinschlag ihn abgehalten. Stundenlang hatte er danach auf die Schneedecke gestarrt, die den Boden vor der Höhle deckte. Sie schmolz dahin, und das war das Einzige, was er an Bewegung erkennen konnte. Hieß das nun, dass er seine Jäger abgeschüttelt hatte? Er bezweifelte es, aber er wusste nicht, warum. Vielleicht hätte es ihm der Schatten sagen können, der er gewesen war, bevor er sein Gedächtnis verloren hatte. Aber der alte Sahif schwieg, und das war vielleicht ein gutes Zeichen, denn bislang hatte er sich nur in höchster Not bemerkbar gemacht, hatte gezeigt, dass er noch da war, irgendwo, verborgen in der Leere, die Sahif in sich fühlte und die er loswerden wollte.

Kurz entschlossen erhob er sich und trat hinaus in den Herbsttag, der so überraschend mild über die Berge gekommen war. Sahif kannte sich nicht aus mit Schnee, aber wie er so weiß und unberührt vor ihm lag, kam er ihm einfach nicht richtig vor. Er spähte nach allen Seiten, dann ging er ein paar Schritte hinaus. Da war ein Geruch im Wind, der ihm fehl am Platze schien. Er hielt inne und sog die Luft ein. Es roch schwach nach nassem Leder. Es war schon fast zu spät, als er begriff, was das bedeutete. Er duckte sich, und der Wurfspieß zischte nur fingerbreit über seinen Kopf hinweg, und als er mit einem hässlichen Knirschen auf den Fels hinter Sahif prallte, wurde der Schnee zu seinen Füßen lebendig, bekam Hände, Arme, Köpfe und Klingen, wurde zu Männern, die ihn umbringen wollten. Hinter ihm stieß jemand einen durchdringenden Schrei aus. Sahif drehte sich nicht um, auch wenn sein Instinkt es verlangte. Er sah weder nach dem Speerwerfer noch nach dem Mann, der hinter ihm geschrien hatte, denn die drei Krieger, die fast zu seinen Füßen aus dem Schnee aufgetaucht waren, griffen ihn an. Der erste schleuderte eines seiner Kriegsbeile, und Sahif sah, wie es sich in der Luft drehte und direkt auf seine Stirn zusauste. Der nächste stach brüllend mit einem kurzen Speer nach seiner Brust, während der dritte von der Seite angriff und mit seinem Breitschwert ausholte. Sahif reagierte, nein, etwas in ihm reagierte, sagte ihm, was zu tun war, und er tat es, noch bevor er darüber nachdenken konnte. Er sprang mit einer Drehung vor der Speerspitze zurück und spürte den Stiel der Wurfaxt, die seine Schläfe streifte. Er fiel dem Schwertträger in den Arm und brachte ihn mit einem harten Tritt gegen das Schienbein aus dem Gleichgewicht.

Die eisige Kälte war wieder da, füllte Sahif aus, leitete ihn, ließ ihn schnell und kühl bis ins Mark handeln, so schnell, dass es ihm vorkam, als würde er sich selbst zusehen, als würde ein anderer diese Bewegungen ausführen, das Ausweichen, Zuschlagen und Kämpfen, und er sah und hörte alles in kristallener Klarheit: den stoßweisen Atem der Männer, ihr Stöhnen, das Knirschen ihrer Schritte im Schnee und das Klirren der Waffen. Es war erschreckend und faszinierend zugleich, ein machtvolles Gefühl, und der kalte Rausch steigerte sich mit jeder Sekunde des Kampfes. Er konnte nicht genug davon bekommen. Der Krieger mit den Äxten schwang sein zweites Wurfbeil und sprang mit einem durchdringenden Schrei auf ihn los. Sahif, der noch mit dem Schwertkämpfer rang, riss den Arm seines Gegners hart nach unten und kugelte ihm die Schulter aus. Der Mann schrie, ließ sein Schwert aber nicht los. Sahif wirbelte herum, riss den Gegner mit und ließ den Krieger mit der Axt genau in die stählerne Spitze des Schwertes laufen. Er registrierte mit durchdringender Klarheit, wie die Spitze durch das lederne Wams in den Leib fuhr, Fleisch und eine Rippe spaltete und sich in die Lunge des Angreifers bohrte. Das Angriffsgebrüll des Mannes erstarb in einem Röcheln.

Sahif rammte das Schwert mit kaltem Zorn tiefer in den Bergkrieger hinein und war erst zufrieden, als er hörte, dass es am Rücken wieder austrat. Der Schwertkämpfer konnte die Waffe nicht länger festhalten und stürzte in den Schnee. Aber der Mann, den das Schwert durchbohrt hatte, griff nach Sahifs Arm und hielt ihn fest, obwohl ein Blick in seine Augen verriet, dass er seinen nahen Tod bereits begriffen hatte. Der andere, der sich stöhnend zu ihren Füßen im Schnee wälzte, umklammerte mit dem linken Arm eines von Sahifs Beinen. Der Speerträger! Er hatte den Speerträger aus den Augen verloren! Jetzt hörte er seinen Atem. Er versuchte, sich aus der doppelten Umklammerung loszureißen. Dann fuhr ihm heißer Schmerz in die Seite, etwas durchbohrte sein Fleisch. Er stöhnte auf, fuhr herum und schüttelte den sterbenden Bergkrieger ab. Der dritte Angreifer riss den Speer zurück und holte zum erneuten Stoß aus. Sahif sah, dass der Mann auf dem glatten Untergrund keinen festen Stand hatte, was ihm einen Augenblick Zeit verschaffte. Er trat nach dem Mann, der seine Beine umklammerte. Als das nicht half, stieß er ihm seinen Knüppel hart ins Gesicht, mehrfach, bis der Mann Zähne spuckte und endlich losließ.

Sahif kam frei, strauchelte und blickte in das grimmige Gesicht des dritten Kriegers, der wild zustieß. Rot troff es vom langen Schaft des Speers, und mit beunruhigender Klarheit sah Sahif sein eigenes Blut in den Schnee tropfen. Im Augenwinkel bemerkte er einen weiteren Feind, den, der den Jagdspieß nach ihm geworfen hatte und der nun über das Schneefeld eilte, einen weiteren Spieß in der Hand. Er musste hinter einem Felsen auf der Lauer gelegen haben, und etwas in Sahif bewunderte ihn für seine Geduld, denn diesen Felsen hatte er von der Höhle aus im Blick gehabt, und in all den Stunden, die er hinübergestarrt hatte, hatte sich dort nichts gerührt. Er wunderte sich, dass er Zeit für solch seltsame Gedanken hatte, denn gleichzeitig beobachtete er die Spitze des Speeres, der mit tödlicher Geschwindigkeit auf ihn zusauste.

Halb wich er aus, halb stolperte er, was ihn rettete. Er fiel zu Boden, wälzte sich zur Seite und war schneller auf den Beinen, als er es für möglich gehalten hätte. Er hörte einen Schrei und begriff, dass er selbst ihn ausgestoßen hatte. Der Schmerz in der Flanke raubte ihm den Atem, und seine Knie zitterten. Er fühlte das warme Blut, das aus der Wunde floss. War dieser Kampf verloren? Ein Teil von ihm verlangte nach dem Blut des Speerträgers, wollte ihm das Genick brechen für die Unverschämtheit, ihn verwundet zu haben, und Sahif war drauf und dran, diesem Verlangen nachzugeben, aber er hatte einen weiteren Schrei gehört, in seinem Rücken, als der Kampf begonnen hatte. Da ist noch einer, dachte er und fuhr herum – das hieß, er wollte herumwirbeln, doch die Wunde riss dabei weiter auf. Er stöhnte, und seine schnelle Bewegung...