Männer - Das schwache Geschlecht und sein Gehirn

von: Gerald Hüther

Vandenhoeck & Ruprecht Unipress, 2016

ISBN: 9783647404202 , 1 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 20,00 EUR

Mehr zum Inhalt

Männer - Das schwache Geschlecht und sein Gehirn


 

Olaf Breidbach

Freiheit trotz Physiologie oder Freiheit durch Physiologie?
(S. 139-140)

Über die Engführungen eines Biologismus

In einer Handvoll Hirn lebe ich – das schrieb nicht etwa Wolf Singer oder gar Gerhard Roth. Dieses Zitat stammt vielmehr von Tommaso Campanella (1568–1639).1 Es ist also gar nicht so neu, so an das Hirn zu denken. Seinerzeit – und das mag zu denken geben – war die Idee, diesen im Hirn verlorenen Menschen so gegenüber Gott in Freiheit zu setzen. Diese Freiheit fand er, gerade da er an dieses Hirn gebunden und demnach der Unendlichkeit Gottes entwunden war. Dies wäre nun so natürlich keine Alternative zu der modernen Hirnforschung, die Freiheit gerade andersherum zu denken sucht.

Nur muss es zu denken geben, eine Diskussion um die Hirnfreiheit nun schon weit vor der Hirnphysiologie verankert zu finden. Was sind denn überhaupt die Konzepte, mit denen eine Hirnforschung heute an den Menschen herangeht? So bietet Campanella einen Anlass, einmal eingehender nach der Konzeption, den Vorgaben und den Eingrenzungen der Neurosciences zu fragen. Ist – so wäre nach dieser Sentenz zu fragen – das Hirn die Seele des Menschen? Ist das, was sich im Schädelinneren zusammenballt das, was uns als Menschen ausmacht? In einer Kurzgeschichte hat der Science-Fiction-Autor Stanislav Lem den Menschen derart als Hirn beschrieben. Der Pilot Pirx, der seine Frau unsterblich machen wollte, ließ sie in Narkose versetzen und ihr das Hirn entfernen, das er mit einem obskuren Fixativ dann kristallisierte und so unsterblich machte.

Diese so verewigte Frau war nunmehr in ihrem Hirn eingefroren. Noch mit einem ihrem Hirn belassenen Auge mit der Welt verbunden, darf sie aufnehmen, registrieren und derart nur noch rezeptiv mit der Außenwelt versponnen im Wohnzimmer des Piloten vor sich hin existieren. Dass sich Pirx dann mit einer Zigarre vor dieses Auge setzt und den Teppich fortwährend mit den seiner Frau vormals so verhassten Ascheresten bestreut, gibt diesem Vorstellungsbild eine besondere Note. Der Mensch aber – so Lems Botschaft – ist mehr als das Organ im Innenraum des Schädels. Der Beginn der modernen Neurowissenschaft lässt sich ziemlich exakt mit dem Ende der Suche nach dem Seelenorgan fassen.

Der seinerzeit berühmte Anatom Samuel Thomas Soemmering publizierte 1796 eine Schrift über das Seelenorgan. Nach einer morphologisch anatomischen Analyse der Insertion der Hirnnerven des Menschen referierte er die traditionelle Auffassung, wonach das Seelenorgan dreischichtig organisiert sei. Der aristotelischen Vorstellung zufolge unterschied sich ein Bereich der bloßen Rezeptivität, das sensorium commune, ein Bereich der Phantasie, in dem neue Erfahrungen mit alten verglichen werden konnten, und der Bereich der Memoria, in dem Gedächtnisinhalte abgespeichert werden. Entsprechend waren denn auch drei Hirnkammern anzunehmen, in denen das Seelenorgan organisiert wäre. Soemmering meinte, diese in den Hirnventrikeln identifiziert zu haben. Die Skizze der Organisation des Geistes, die in Illustrationen des Aufbaus des Seelenorgans aufgewiesen wurde, konturiert ein abstraktes Grundkonzept, das erst sekundär auch anatomisch verortet wurde.