Tatort Tagesschau - Eine Institution wird 50.

Tatort Tagesschau - Eine Institution wird 50.

von: Horst Jaedicke

Verlag der Criminale, 2002

ISBN: 9783935877732 , 236 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 20,40 EUR

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Mehr zum Inhalt

Tatort Tagesschau - Eine Institution wird 50.


 

Auf der anderen Seite des Bildschirms (S. 137-138)

Der Mensch ist meist mit sich allein, eingeschlossen in sein eigenes Ich. In dieser mit Erinnerungen und Erwartungen ausgepolsterten Höhle verbringt er den größten Teil seines Lebens, die Ohnmacht, die wir Schlaf nennen, eingerechnet. Im Kinoraum mit seinen nach hinten geneigten Sitzen und der angewärmten Dunkelheit kann man dieses Behagen körperlich nachempfinden. In sich selbst findet der Mensch seine höchste Geborgenheit, kein Wunder, dass er sich gerne dorthin zurückzieht. Ins Leere starrende Reisende und träumende Mädchen sind wohl bekannte Erscheinungen. In diesem Schutzraum hält man auch seine Geheimnisse versteckt. Hier erlebt das Ich erregende Liebesabenteuer, hier darf es sich verschwenderisch mit Anerkennung, Ruhm und Reichtum schmücken und kann es sich sogar ungestraft verbrecherischen Neigungen hingeben.

Es ist sein höchst persönlicher Bereich, den der Mensch aus Erziehung oder aus Furcht vor Selbstbeschädigung streng vor der Außenwelt abschottet. Nur emotionale Reize können, wie Drehbuchautoren wissen, den vulkanhaften Ausbruch dieser virtuellen Welt bewirken. Das Einzige, was den Menschen freiwillig aus dieser Höhle lockt, ist die Lusterwartung. Ganz vorn steht dabei das Sinnliche, das Erotische, gefolgt von allen Spielarten schöpferischen Tuns. Gleichauf damit Essen und Trinken sowie als jüngste Verführung: das Entertainment, ein Begriff, der durch das deutsche Wort »Unterhaltung« nur ungenügend abgedeckt wird. Freilich musste dafür erst einmal Platz im Zeitbudget geschaffen werden, das noch bei unseren Großeltern mit Arbeit, Kirche und Familie prall gefüllt war.

Erst als die Gewerkschaften die Bismarck’sche Idealvorgabe von 56,5 Wochenarbeitsstunden auf die heute gültige Norm reduzierten, blieb ein täglicher Rest an Freizeit zurück – Sport, Lektüre und Geselligkeit bereits abgerechnet; das ideale Vakuum für das neue Medium Fernsehen. Einschaltquoten Man kann verstehen, dass die ersten Fernsehleute schon recht bald neugierig waren, was ihre Kundschaft von ihrem Angebot hielt, nicht zuletzt,um intellektuellen Hochmut damit abzuwehren. Da die Politik dem Fernsehen eine monatliche Pauschalgebühr von DM 5,- zugestanden hatte (und das keineswegs für das Programm, sondern für die Aufstellung des Empfangsgeräts), schied die »tägliche Volksabstimmung am Kiosk« aus, die der Hamburger Verleger Axel Springer für seine Bild-Zeitung reklamierte.

Der »Wasser-Test« war für die Tagesschau nicht zu gebrauchen; nach langen Unterhaltungssendungen konnte man aus dem öffentlichen Wasserverbrauch schließen, wieweit sich menschliche Bedürfnisse durch Lustgewinn hatten hinauszögern lassen … Nach der Tagesschau ging niemand aufs Klo, da fing der Abend ja erst an. So musste man auf George Horace Gallup zurückgreifen, einen amerikanischen Psychologen (1901–1984), der nach einem halben Hundert komplizierter Feldversuche endlich die Lösung gefunden glaubte, wie man einen kleinen Teil der Bevölkerung für das Ganze sprechen lassen kann. Entscheidend war, dass in diesem Segment alle Sozialdaten der Gesamtheit im richtigen Verhältnis vertreten waren. Gallup sagte 1936 den Präsidentschaftssieg von Roosevelt mit einer Abweichung von nur einem Prozent voraus, während die von Reader’s Digest veranstaltete Postkartenbefragung mit einem »Präsidenten« Alfred Mossman Landon voll daneben lag. Das war Gallups Durchbruch. Jetzt wurde das Leute-Ausfragen zur großen Mode.

Auch in Deutschland wurde nach dem Kriege zuerst einmal frisch drauf- losgefragt. Als ruchbar wurde, dass manche Interviewer die ihnen aufgetragenen Fragen selbst am Küchentisch beantworteten, setzten sich bald die demographisch ermittelten Dauer-Panels durch. Jetzt kam in Niedersachsen der 44-jährige evangelische Familienvater mit drei Kindern, mit Hochschulstudium und einem Monatseinkommen über DM 800,- ebenso zu Wort wie der katholische Single, 27, aus München mit Mittelschulabschluss, der über DM 500,- in seiner Lohntüte fand. Sie mussten nur dem demographischen Querschnitt entsprechen. Der erste Auftrag des Fernsehens an eines dieser neuen Meinungsinstitute ging an den Paderborner Wolfgang Ernst (1922–1991), der zusammen mit seiner Frau Lena-Renate schon in der bildschirmlosen Zeit für die Hörfunkanstalten in München und Hamburg Stichtagsbefragungen durchgeführt hatte. Der junge Unternehmer hatte sich als Student in München mit der neuen Untersuchungstechnik vertraut gemacht, die dort, animiert von dem Zeitungswissenschafts-Professor d’Ester, zur Gründung des ersten deutschen Instituts zur Erforschung der Öffentlichen Meinung geführt hatte.