Das Spiel der Götter (1) - Die Gärten des Mondes

von: Steven Erikson, Marie-Luise Bezzenberger

Blanvalet, 2012

ISBN: 9783641089771 , 800 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Das Spiel der Götter (1) - Die Gärten des Mondes


 

Prolog


Das Jahr 1154 von Brands Schlaf
Das Jahr 96 des Imperiums von Malaz
Das letzte Jahr von Imperator Kellanveds Herrschaft

 

 

Die Rostflecken auf der schwarzen, vernarbten Oberfläche von Mocks Wetterfahne sahen aus wie aufgemalte Seen aus Blut. Ein Jahrhundert alt, hockte sie auf der Spitze einer alten Pike, die ganz am äußeren oberen Ende der Festungsmauer angebracht worden war. Monströs und missgestaltet wie sie war – kalt in die Form eines geflügelten Dämons gehämmert, dessen Zähne in einem boshaften Grinsen gebleckt waren –, wurde sie von jedem Windstoß hin und her geschüttelt und quietschte protestierend.

Es wehte ein aufsässiger Wind an diesem Tag, und Rauchsäulen stiegen über dem Mausviertel von Malaz auf. Das Kreischen der Wetterfahne verstummte für einen Augenblick und kündete damit vom Abflauen der Meeresbrise, die über die zackigen Mauern von Mocks Feste geklettert kam. Doch schon im nächsten Moment erwachte sie quietschend zu neuem Leben, als der heiße, Funken sprühende und rauchgeschwängerte Atem des Mausviertels über die Stadt wehte und über die Hänge des Vorgebirges strich.

Ganoes Stabro Paran aus dem Haus Paran stand auf Zehenspitzen, um über die Schartenbacke hinwegsehen zu können. Hinter ihm ragte Mocks Feste in die Höhe. Sie war einmal das Herz des Imperiums gewesen; inzwischen jedoch, seit das Festland erobert worden war, war sie einmal mehr zum Sitz einer Faust herabgesunken. Links von ihm befand sich die Pike mit ihrer missgestalteten Trophäe.

Ganoes kannte die uralte Festung oberhalb der Stadt viel zu gut, als dass sie ihn noch großartig interessiert hätte. Dies war sein dritter Besuch hier oben in ebenso vielen Jahren. Schon vor langer Zeit hatte er den Hof mit seinen ungleichmäßigen Pflastersteinen erkundet; das Gleiche galt für den alten Bergfried – der jetzt als Stall benutzt wurde und dessen oberes Stockwerk Tauben, Schwalben und Fledermäusen eine Heimat bot – und die Zitadelle, in der just in diesem Augenblick sein Vater mit den Hafenbeamten über den Ausfuhr-Zehnten verhandelte. Dabei kannte er die Zitadelle nicht ganz so gut, denn zu den meisten Räumen war selbst ihm als Sprössling eines Adelshauses der Zutritt verboten. Hier, im Innern der Zitadelle, hatte die Faust ihre Residenz, und hier waren auch die Räume, in denen jene Angelegenheiten des Imperiums geregelt wurden, die die Verwaltung der Insel betrafen.

Ganoes achtete nicht weiter auf Mocks Feste in seinem Rücken; er widmete seine ganze Aufmerksamkeit der zerrissenen Stadt unter sich – vor allem dem Aufruhr, der in ihren ärmsten Vierteln tobte. Mocks Feste erhob sich hoch oben auf einer Klippe und war über eine Treppe zu erreichen, die in Serpentinen in die Kalksteinwand der Klippe gehauen worden war. Von hier bis hinunter zur Stadt waren es etwa achtzig Armspannen, und rechnete man die arg mitgenommenen Wälle der Feste dazu, waren es noch einmal sechs mehr. Das Mausviertel lag in dem Teil der Stadt, der sich dem Hinterland zuwandte, es bestand aus einem ungleichmäßigen Gewirr aus Schuppen und zugewucherten Terrassen und wurde von dem schlammigen Fluss, der auf den Hafen zukroch, in zwei Teile geteilt. Da die Aufstände im weiter entfernt liegenden Teil von Malaz stattfanden und immer mehr Säulen aus schwarzem Rauch die Luft erfüllten, war es Ganoes unmöglich, irgendwelche Einzelheiten auszumachen.

Es war Mittag, aber die magischen Blitze und Donnerschläge ließen den Himmel dunkel und schwer erscheinen.

Mit klirrender Rüstung erschien ein Soldat neben ihm auf dem Wehrgang. Der Mann legte von Armschienen geschützte Unterarme auf die Brustwehr; eine Bewegung, die die Scheide seines Langschwertes an den Steinen entlangschaben ließ. »Du bist froh über dein reines Blut, was?«, fragte er, die grauen Augen auf die rauchende Stadt gerichtet.

Der Junge musterte den Soldaten. Er kannte bereits die gesamte Ausstattung sämtlicher Regimenter der Armee des Imperiums, und demnach musste der Mann an seiner Seite ein Befehlshaber der Dritten sein – einer Elitetruppe, die dem Imperator direkt unterstand. An seinem dunkelgrauen, nur bis zur Taille reichenden Umhang steckte eine silberne Brosche: eine steinerne Brücke, die von Flammen aus Rubinen beleuchtet wurde. Ein Brückenverbrenner.

Die Insel Malaz war noch immer ein wichtiger Anlaufpunkt, besonders jetzt, da der Krieg mit Korel im Süden begonnen hatte, und häufig kamen hochrangige Soldaten und imperiale Beamte in Mocks Feste vorbei. Ganoes hatte schon viele gesehen, hier oder in der Hauptstadt Unta.

»Dann stimmt es also?«, fragte er kühn.

»Dann stimmt was?«

»Das mit dem Ersten Schwert des Imperiums. Dassem Ultor. Wir haben es in der Hauptstadt gehört, bevor wir aufgebrochen sind. Er soll tot sein. Stimmt das? Ist Dassem tot?«

Der Mann schien zusammenzuzucken; sein Blick blieb unverwandt auf das Mausviertel gerichtet. »So ist der Krieg«, murmelte er fast unhörbar, als wären die Worte nicht für die Ohren eines anderen bestimmt.

»Ihr gehört zur Dritten. Ich dachte, die Dritte wäre mit ihm im Reich der Sieben Städte gewesen. Bei Y’Ghatan …«

»Beim Atem des Vermummten! Während in den schwelenden Trümmern dieser verdammten Stadt noch immer nach seiner Leiche gesucht wird, stehst du, der Sohn eines Kaufmanns, fast dreitausend Längen vom Reich der Sieben Städte entfernt, plötzlich vor mir und sprichst von Dingen, die eigentlich kaum jemand wissen dürfte.« Er wandte sich immer noch nicht zu ihm um. »Ich weiß zwar nicht, woher du das weißt, aber wenn ich dir einen guten Rat geben darf: behalte es für dich.«

Ganoes zuckte die Schultern. »Man sagt, er hat einen Gott betrogen.«

Endlich sah der Mann ihn an. Sein Gesicht war von Narben übersät, und etwas, das wie eine Verbrennung aussah, verunstaltete sein Kinn und seine linke Wange. Davon einmal abgesehen, schien er für einen Befehlshaber recht jung zu sein. »Achte auf die Lektion, die darin liegt, Junge.«

»Was für eine Lektion?«

»Jede Entscheidung, die du triffst, kann die Welt verändern. Das beste Leben ist eines, das die Götter überhaupt nicht bemerken. Wenn du ein freies Leben führen willst, Junge, dann führe ein unauffälliges Leben.«

»Ich will Soldat werden. Ein Held.«

»Das geht vorbei.«

Mocks Wetterfahne kreischte auf, als ein launischer Windstoß vom Hafen den fetten Rauch durcheinander wirbelte. Ganoes konnte jetzt verfaulten Fisch und den Gestank des dicht bevölkerten Hafenviertels riechen.

Ein zweiter Brückenverbrenner mit einer zerbrochenen, angesengten Fiedel auf dem Rücken trat zu seinem Befehlshaber. Er war drahtig und sogar noch jünger – höchstens ein paar Jahre älter als Ganoes, der erst zwölf war. Das Gesicht und die Handrücken des Neuankömmlings waren von merkwürdigen Pockennarben übersät, und seine Rüstung bestand aus einer seltsamen Mischung aus fremdartigen Ausrüstungsgegenständen, die er über einer abgetragenen, fleckigen Uniform angelegt hatte. An seiner Hüfte hing ein Kurzschwert in einer rissigen Holzscheide. Er lehnte sich mit der Leichtigkeit langjähriger Gewohnheit neben dem anderen Mann an die Schartenbacke.

»Wenn Zauberer in Panik geraten, fängt es ziemlich übel an zu stinken«, sagte der Neuankömmling. »Sie verlieren die Kontrolle da unten. Man braucht doch wohl kaum einen ganzen Kader von Magiern, nur um ein paar Wachshexen aufzuspüren!«

Der Kommandant seufzte. »Ich dachte, ich warte erst mal ab, ob sie sich zügeln können.«

Der Soldat grunzte. »Die sind alle neu und unerfahren. Bei einigen könnte das bleibende Spuren hinterlassen. Außerdem«, fügte er hinzu, »gibt es da unten mehr als nur ein paar, die den Befehlen anderer folgen.«

»Das ist nur eine Vermutung.«

»Der Beweis liegt da unten«, sagte der andere Mann, »im Mausviertel.«

»Vielleicht.«

»Du bist zu vorsichtig«, sagte der Mann. »Hadra hält das für deine größte Schwäche.«

»Was Hadra macht, interessiert mich nicht. Die geht nur den Imperator was an.«

Ein zweites Grunzen war die Antwort. »Oder über kurz oder lang uns alle.«

Der Kommandant schwieg, drehte sich jedoch langsam um und musterte seinen Gefährten.

Der Mann zuckte die Schultern. »Ist nur so ein Gefühl … Sie hat einen neuen Namen angenommen: Laseen.«

»Laseen?«

»Ein napanesisches Wort, es bedeutet …«

»Ich weiß, was es bedeutet.«

»Ich hoffe, der Imperator weiß es auch …«

»Es bedeutet Thronmeister«, sagte Ganoes.

Die beiden Männer blickten auf ihn herab.

Der Wind drehte erneut, ließ den eisernen Dämon auf seiner Pike ächzen und trug den Geruch von kühlem Stein von der Feste heran. »Mein Lehrer ist Napanese«, erklärte Ganoes.

Eine neue Stimme erklang hinter ihnen, die kalte, gebieterische Stimme einer Frau. »Kommandant.«

Die beiden Soldaten drehten sich ohne allzu große Hast um. »Die neue Kompanie da unten braucht Hilfe«, sagte der Kommandant zu seinem Gefährten. »Schick Dujek und einen Trupp hin und sorge dafür, dass sich ein paar Sappeure um die Feuer kümmern – es bringt nichts, wenn die ganze Stadt abbrennt.«

Der Soldat nickte und marschierte davon, ohne der Frau einen einzigen Blick zuzuwerfen.

Sie stand mit zwei Leibwächtern nahe beim Eingangstor zum quadratischen Turm der Zitadelle. Ihrer dunkelblauen Haut nach war sie Napanesin, doch ansonsten wirkte sie unscheinbar. Sie trug eine mit Salzwasserspritzern übersäte graue Robe, das mausgraue Haar war kurz geschnitten wie das eines Soldaten, und ihre Gesichtszüge waren fein und unauffällig. Ihre Leibwächter...