Zwickmühle - Ein Münsterland-Krimi

von: Dorothea Puschmann

Gmeiner-Verlag, 2009

ISBN: 9783839230046 , 278 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Zwickmühle - Ein Münsterland-Krimi


 

2. Kapitel


Nach der Landung auf dem Flughafen Münster-Osnabrück nehmen wir ein Taxi und lassen uns zum Hauptbahnhof Münster bringen. Dort in der Nähe, bei Bekannten, hatte Julian wenige Tage zuvor auf die Schnelle unseren Wagen parken dürfen. Da sie gerade nicht zu Hause sind, schreibt er ihnen eine kurze Nachricht und wirft sie in den Briefkasten.

Unmittelbar danach geht es weiter über die Hafen- und Moltkestraße, in südwestlicher Richtung stadtauswärts zum Aasee, in die Levin-Schücking-Allee, die etliche Hundert Meter direkt entlang des Ufers verläuft. Ein enorm beliebtes Ausflugsziel, das auch wir gern nutzen, wenn wir keine Zeit für längere Touren haben. Segelschule, Allwetterzoo, Pferdemuseum, Planetarium und Mühlenhof-Freilichtmuseum bieten eine Menge Abwechslung. Darüber hinaus erfuhr der Aasee vor wenigen Jahren viel zusätzliches Interesse, als sich das schwarze Schwanenweibchen Petra auf dem See niederließ. Es erblickte ein weißes Tretboot von der Form eines Schwans, verliebte sich spontan und schwamm dem Boot viele Monate in treuer Anhänglichkeit hinterher.

Wir sehen Claudia bereits von Weitem. Unruhig läuft sie vor ihrem Haus auf dem Bürgersteig hin und her. Wahrscheinlich hat sie es drinnen nicht mehr ausgehalten.

Trotz ihrer imposanten Größe ist die weiße, von Grund auf sanierte Jugendstil-Villa mit ihren kunstvollen Stuckarbeiten und Verzierungen ein sehr einladend und gemütlich wirkendes Haus. In der großzügigen, gepflegten Gartenanlage gibt es noch uralte Bäume. Das ist selten heutzutage, der Trend geht leider zum Abholzen und Verheizen dieser herrlichen Zeugen lang vergangener Tage. Ob den Menschen, die jetzt so leichtfertig mit unseren Holzbeständen umgehen, wohl klar ist, wie lange eine Buche, Kastanie, Eiche, Linde oder Kiefer braucht, um es auf solch eine ansehnliche Größe zu bringen? Viele von uns werden es schon nicht mehr erleben.

Claudia winkt erleichtert, als Julian mit quietschenden Reifen anhält.

»Angeber, elendiger!«, tadle ich ihn, bevor wir aussteigen.

»Ich weiß.« Mir zuliebe tut er zerknirscht. »Du kennst mich ja, manchmal kommt es einfach so über mich. Dabei ist die Domestikation bei mir doch bisher relativ erfolgreich verlaufen!«

»Eben, du sagst es: relativ«, frotzle ich. »Wir sprechen uns diesbezüglich noch.«

»Ich bin unendlich froh, dass ihr so schnell kommen konntet!«

Claudia sieht mitgenommen aus. Ihre schwer zu bändigende lange, fast schwarze Lockenpracht umrahmt ihren Kopf wie eine Löwenmähne. Verquollene, rot geweinte Augen zeugen davon, dass sie diese seit zwei oder drei Tagen und ebenso vielen Nächten nicht mehr zugemacht hat.

Die schwarze Hose ist zerknittert, ein Paar ausgetretene Leinenschuhe und das nicht mehr ganz weiße Polohemd haben auch schon frischere Zeiten gesehen. Claudia scheint es zurzeit egal zu sein, wie sie aussieht.

Mich rührt ihr jammervoller Anblick, und nachdem Julian sie umarmt hat, drücke auch ich Claudia für einen kurzen Moment fest an mich.

Wie es mir wohl gehen würde, hätte man Julian entführt? Schnell schüttle ich diesen schrecklichen Gedanken ab. Wir sind hier, um Claudia zu helfen!

»Kommt rein«, bittet sie uns. »Ich habe gerade frischen Kaffee gemacht. Ihr trinkt doch sicher eine Tasse mit?«

»Gern«, wir nicken zustimmend. So schnell werden wir wohl heute nicht ins Bett kommen.

Entführerschreiben und das halb in Alufolie eingeschlagene Fingerglied dekorieren auf unschöne Weise Helges polierten Nussbaum-Schreibtisch. Ein aufwändig geschnitztes und ansonsten penibel aufgeräumtes, antikes Prachtstück aus der Jugendstilzeit. Es steht als Blickfang vor einem der großen Terrassenfenster.

Ich frage mich, was sich Claudia dabei gedacht haben könnte, die beiden Objekte ausgerechnet dort zu platzieren.

Daneben fällt mir ein gerahmtes Foto ins Auge; es zeigt Helge in stolzer Pose auf einer etwas protzigen, aber durchaus rassigen BMW GS, einem geländetauglichen Motorrad.

Auch Julians Blick wandert zum Schreibtisch.

»Den Brief habe ich sofort in eine Klarsichthülle gesteckt, als ich merkte, worum es geht«, erklärt Claudia.

»Sehr gut«, lobt Julian.

Er zieht Einmalhandschuhe aus seiner Tasche, streift sie sich über und spreizt dann mit spitzen Fingern die Alufolie auseinander.

Das abgehackte, kleine menschliche Körperteil – bleich, runzelig, tot – sieht in höchstem Maße widerlich aus!

Ich bekomme Gänsehaut, gleichzeitig läuft mir ein eiskalter Schauer über den Rücken.

»Und du bist ganz sicher, dass dieses Fingerglied von Helge stammt?«, fragt Julian.

»Ziemlich sicher. Du kennst doch auch die kleine Narbe an seinem Ringfinger. Die hat er sich vor ein paar Jahren zugezogen, als er mit dem Ehering irgendwo hängen geblieben ist.«

Julian nickt. »Ja, ich erinnere mich. Das war an einem defekten Zaun.«

Dann schnüffelt er ein bisschen. »Das Teilchen sollten wir jetzt aber schleunigst kühl lagern. Ihr habt sicher nichts dagegen, wenn ich das übernehme?«

Ich schüttle wortlos den Kopf.

Claudia rollen Tränen über die Wangen. Noch bevor ich ihr ein Tempo reichen kann, zieht sie ein Taschentuch von der Größe eines Baby-Badehandtuchs aus der Hosentasche.

Wäre die Lage nicht so ernst, könnte man das als Clown-Nummer präsentieren. Helges Initialen in entsprechend imposanter Größe darauf sind unübersehbar. Schnell wende ich mich ab, presse die Lippen zusammen, muss für einen Moment mühsam ein Lachen unterdrücken.

»Komm, leg dich hin. Versuche, ein bisschen zu entspannen. Du bist ja nun nicht mehr allein.« Sanft, aber energisch drücke ich Claudia in die Kissen auf dem schwarzen Ledersofa, nachdem ich eine der herumliegenden Decken darauf ausgebreitet habe.

Sie lässt es zu. Auch, dass ich ihre Beine hochlege und sie zudecke. Erschöpft schließt sie für einen Augenblick die Augen.

»Danke, das tut gut. Ihr seid so lieb zu mir.«

Julian kommt mit einem Tablett aus der Küche.

Drei von Helges Keramikbechern mit den allseits bekannten Affen-Motiven – nichts sagen, nichts hören, nichts sehen – sind mit dampfendem Kaffee gefüllt. Auf einem Teller hat Julian im Handumdrehen einige Käse- und Wurstschnittchen, Cornichons, grüne Oliven und Cherry-Tomaten arrangiert.

»Langt ordentlich zu, wir müssen bei Kräften bleiben«, ermuntert er uns und greift nach einem Schnittchen mit Käse.

Claudia weigert sich zunächst, isst aber schließlich mit, nachdem wir sie mehrfach aufgefordert haben. Wahrscheinlich damit wir Ruhe geben.

»Und du hast wirklich keinen blassen Schimmer?«, frage ich sie nach dem Essen. »Nicht den allerkleinsten Anhaltspunkt, warum jemand Helge entführt haben sollte?«

Sie schüttelt den Kopf. »Helge hat in letzter Zeit nur noch wenig über seine Arbeit oder Geschäfte gesprochen. Ich gebe zu, irgendwann hat es mich auch nicht mehr besonders interessiert, was er treibt, und ich habe nicht mehr gefragt. Außerdem gibt es in unserer Praxis genügend Problemfälle, sodass ich den Kopf ohnehin voll habe.«

»Und als ihr noch mehr miteinander geredet habt?«, bohre ich hartnäckig weiter.

Claudia überlegt. »Er war schon immer sehr ehrgeizig, hat etliche Beratertätigkeiten in verschiedenen Firmen und sitzt wohl auch in deren Aufsichtsräten. Helge fehlt bei keinem wichtigen Event. Wegen der Kontakte hat er sogar das Golfspielen angefangen.«

Sie verdreht die Augen. »Könnt ihr euch vorstellen, wie ich mich bei den Treffen der sogenannten Golfdamen fühle? Ich halte mich zwar so oft wie möglich raus, aber manchmal muss ich eben in den sauren Apfel beißen und meinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen.«

»Was ist mit den anderen Drohbriefen?«, erkundigt sich Julian. »Du hast erwähnt, Helge sei bereits mehrfach bedroht worden.«

Claudia hebt ratlos die Schultern. »Er hat sie immer gleich vernichtet. Hat gelacht und sie dann sofort in seinem Zimmer in den Aktenvernichter gesteckt. Er wollte damit auf gar keinen Fall zur Polizei gehen, wollte sie noch nicht einmal mir zeigen. Ein einziges Mal nur konnte ich einen kurzen Blick auf eines der Schreiben werfen.«

»Und, was stand darauf?«, frage ich gespannt.

»›Wenn du den Mund aufmachst, bist du so gut wie tot!‹ Der Satz bestand aus einzelnen, völlig unterschiedlichen, farbigen Buchstaben, wie aus einer Illustrierten ausgeschnitten. Ein typisches Erpresserschreiben eben.«

»Er wird solche Briefe auch in die Kanzlei geschickt bekommen und dort vernichtet haben«, vermutet Julian. »Das bringt uns im Moment aber nicht weiter. Wir müssen abwarten, bis sich der Entführer wieder meldet. Solange wir nicht den kleinsten Hinweis haben, worum es hier überhaupt geht, können wir auch nicht handeln. Ich schlage vor, wir gehen schlafen, das ist das Beste, was wir jetzt tun können. Claudia, wir übernachten gern hier, damit du nicht allein bist. Ist das okay?«

Sie nickt. »Danke, ich bin froh, dass ihr hier seid. Keine Ahnung, was ich ohne euch machen sollte. Ihr wisst ja, wo das Gästezimmer ist. Ach, übrigens –«, es kommt etwas zögerlich, »braucht ihr einen Vorschuss? Ihr helft mir doch und übernehmt diesen Fall?«

Als wir nicht sofort antworten, geht ihr Blick Hilfe suchend zu Julian. »Julian, bitte. Ich bezahle selbstverständlich dafür.«

Ich weiß,...