New York City Days

von: Gillian Hunter

Wild Books by Latos Verlag, 2019

ISBN: 9783964150813 , 230 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 4,99 EUR

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New York City Days


 

1. Kapitel


1 Jahr später

 

Viktor stellte seine Kaffeetasse auf einen der Tische direkt bei der Bühne ab und nahm Platz. Wann immer er Zeit dafür fand, beobachtete er die Proben, um sich ein Bild von den Fortschritten machen zu können. Es ging in die heiße Phase, denn in gerade einmal zwei Wochen würde das Godess zum ersten Mal seine Pforten für Gäste öffnen - endlich. Und da mussten die Auftritte sitzen.

„Los geht’s, Ladies!“ Der Choreograf Steven James, ein muskulöser Hüne von einem Mann, klatschte in die Hände und stieg die wenigen Stufen zur Bühne hoch. „Die Pause ist zu Ende, noch einmal von vorn“, wies er die drei Tänzerinnen an, die mit ausgestreckten Beinen auf der untersten Stufe der beweglichen Treppe saßen, die bei Nichtgebrauch in den hinteren, für die Gäste unsichtbaren Teil der Bühne gefahren werden konnte. Er strich sich mit einer Hand das schulterlange dunkelblonde Haar aus dem Gesicht und baute sich mit in den Hüften gestemmten Händen vor den Frauen auf.

„Bei dir will ich dieses Mal mehr Feuer in den Augen sehen, Bridget. Du bist Kathryns Zweitbesetzung und musst die verführerische Sexgöttin genauso echt rüberbringen wie sie. Wenn du die Treppe runterkommst, spiel mit deinen Haaren, lass deine Finger hindurchgleiten und streiche dann mit den Händen an deinem Körper herab. Wenn der Saal voll ist, muss jeder einzelne Kerl am liebsten auf die Bühne stürmen und sich dir zu Füßen werfen wollen.“

„Ich habe schon Probleme mit den Absätzen, die sind wahnsinnig hoch. Keine Ahnung, wie Kathryn so sicher auf ihnen die Treppe runterkommt. Und dann noch dabei mit den Haaren spielen? Du verlangst Unmögliches von mir.“ Bridget zupfte an einer Locke der schwarzen Langhaarperücke auf ihrem Kopf und sah mit gerötetem Gesicht betrübt zum Choreografen auf.

„Du schaffst das, Kleines“, munterte Steven sie mit einem Lächeln auf. „Ich bin mir absolut sicher, dass du deiner Rolle gerecht werden wirst.“

„Könntest du es denn? Auf Mörderabsätzen die Treppe runtersteigen, dabei mit einer wilden Lockenmähne spielen und gleichzeitig noch sexy und nicht unsicher aussehen?“

„Glaubst du etwa, ich würde es nicht schaffen?“ Steven legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen, während er auf seinen Schützling, der trotz High Heels fast einen Kopf kleiner als er selbst war, gespielt böse hinunterstarrte. Viktor verkniff sich ein Lachen, nippte an seinem Kaffee und war sich ziemlich sicher, dass Steven Bridgets Herausforderung annehmen würde. Der Choreograf verlangte von den Tänzerinnen nicht weniger, als wozu er selbst imstande war.

„Eigentlich glaube ich nur, dass ich mir eine längere Pause verschaffen könnte, indem ich dich dazu bringe, uns das Gegenteil zu beweisen.“

Als Steven nach der Perücke verlangte, verzog sich Viktors Mund zu einem breiten Grinsen. Die Mädchen hatten ihren Tanztrainer genauso im Griff wie er sie.

„Oh mein Gott! Wenn er in den High Heels diese Treppe mit ordentlich Hüftschwung runterwackelt, dann stürme ich da hoch und schleppe ihn in meine Garderobe.“ Layla ließ sich in ihrem eng anliegenden, silbernen Paillettenkleid in einer geschmeidigen Bewegung auf den Stuhl neben Viktor sinken. Mit einer Hand fächelte sie sich hektisch Luft zu und mit der anderen schob sie sich eine blasslila Locke aus dem Gesicht. Ihre Augen klebten an Steven, der gerade in High Heels schlüpfte und leichtfüßig die Treppe hinauflief. „Kathryns schwarze Wallemähne, dazu diese muskulösen Oberschenkel und ein Arsch, mit dem er locker Nüsse knacken kann …“, geriet sie ins Schwärmen und entlockte Viktor ein leises Lachen. „Früher oder später gehört der Kerl mir. Den vernasch ich mit Haut und Haaren.“

„Und wenn du ihn in deine Garderobe geschleppt hast. Wann soll ich die Cops rufen? Wenn er schreit oder du?“ Sein flapsiger Kommentar brachte Viktor einen empörten Schlag gegen die Schulter ein.

„Niemals die Cops rufen, wenn du Schreie aus meiner Garderobe hörst. Du willst uns doch wohl nicht den Spaß verderben?“

Sie richteten ihre Blicke wieder auf die Bühne, als die Musik einsetzte und Steven begann, die Stufen herabzusteigen. Zielsicher traf er jede einzelne Stufe, strich mit seinen schlanken Fingern durch die schwarzen Locken und streichelte in aufreizender Weise über seinen Körper, während er zu keiner Zeit den Blick vom leeren Saal abwandte. Zumindest würde es auf den unbedarften Zuschauer so wirken. In Wirklichkeit orientierte sich Steven mit jeder Bewegung seines Kopfes neu und meisterte auf diese Weise den Abstieg problemlos.

„Und jetzt du, Bridget.“ Er setzte der normalerweise blonden Tänzerin die Perücke auf den Kopf, zupfte sie zurecht und verpasste ihr einen Klaps auf den Hintern. „Ab nach oben und zeig uns, was für eine anbetungswürdige Bitch du sein kannst.“

Mit einem zufriedenen Nicken beobachtete Viktor, wie Bridget die Treppe hinauflief, auf der obersten Stufe kurz innehielt, sich straffte und dann den Abstieg mit Bravour hinter sich brachte. Jeder Schritt saß, ihre Bewegungen waren herrlich sexy und der Sexgöttin würdig, die sie verkörpern sollte. Perfekt.

Als Bridget die unterste Stufe mit einem strahlenden Lächeln erreichte, begann das Kopflicht über ihr zu flackern. Sie setzte ihren Fuß auf die Bühne, warf die langen Locken über die Schultern zurück, stemmte die Hände in die Hüften und sah mit feurigem Blick in die Runde. Irritiert wandte sie sich von ihren wenigen Zuschauern ab und richtete den Blick nach oben, als erst ein lautes Knirschen und dann ein langgezogenes metallenes Quietschen zu hören war. Alarmiert sprang Viktor von seinem Stuhl auf, lief auf die Bühne zu und nahm mit jedem Schritt jeweils zwei Stufen der Treppe. Funken sprühten von der Decke und er brüllte eine Warnung, aber Bridget blieb wie erstarrt auf der Stelle stehen. Im nächsten Augenblick stürzte eine mit mehreren Scheinwerfern bestückte Traverse nach unten und begrub sie unter sich.

 

* * *

 

ERÖFFNUNG DES „GODESS“ STEHT UNTER SCHLECHTEM STERN, prangte in blutroter Schrift auf der ersten Seite eines einschlägigen Klatschblattes über einem Bild seines Clubs, vor dem ein Leichenwagen und mehrere Polizeifahrzeuge standen. Viktor presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, schüttelte den Kopf und warf einen Blick auf den Zeitungsstapel, den seine Assistentin eben erst auf seinem Schreibtisch abgelegt hatte. Er blätterte zum doppelseitigen Artikel und schnaubte missmutig. Zwei Seiten? Das war neu. Bisher hatte die Medienmeute den Vorfällen im Godess maximal eine halbe Seite zugestanden. Wie es schien, zog der Showclub mit der baldigen Eröffnung und den sich häufenden Unfällen, die keine zu sein schienen, immer mehr unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich.

„Ein mysteriöser Unfall mit Todesfolge im New Yorker Showclub Godess macht dem Inhaber Viktor Nowak schwer zu schaffen“, lautete der einführende Satz des Artikels. Viktor rieb sich mit der Hand über die Stirn und zog eine Grimasse. Wenn der Verfasser des Artikels wüsste, wie recht er hatte. Nicht genug, dass er nach Bridgets bedauerlichem Unfall bei der Probe vor einer Woche die Polizei tagelang als Dauergast im Haus gehabt hatte. Nein, an diesem Morgen hatten auch noch drei seiner Tänzerinnen das Handtuch geworfen und fristlos gekündigt, weil ihnen die unglückseligen Vorfälle der letzten Monate Angst einjagten. Wie viele mochten noch folgen? Er hoffte, wenigstens den Rest der Truppe zum Bleiben überreden zu können. Und dann musste er umgehend für Nachschub an Tänzerinnen sorgen, sonst stünde der Erfolg seines Vorhabens, auf das er insgesamt mehr als zwei Jahre hingearbeitet hatte, tatsächlich auf der Kippe.

„Nachdem sich in den letzten Monaten mehrere glimpflich verlaufende Unfälle ereignet hatten, kam es vor einer Woche zu einem Zwischenfall, bei dem eine Burlesque-Tänzerin tödlich verunglückte. Die 24-jährige Bridget S. – besser bekannt als Spicy Le Minou - war die Zweitbesetzung für Kiki La Coquette, dem Star der Godess of Sin Revue – dem wohl aufsehenerregendsten Show Act des Clubs. Obwohl es den Anschein hat, dass Bridget S. bei einem bedauernswerten Unfall ums Leben gekommen ist, halten die Ermittlungen der Polizei an …“

„Verdammte Scheiße“, fluchte Viktor und klappte die Zeitung zusammen, ohne den Artikel zu Ende gelesen zu haben, und schob sie zur Seite. Er wusste auch so, was im Rest des Artikels stand. Die angesprochenen kleineren Zwischenfälle waren bisher immer als normal abgetan worden und den Reportern des Kulturteils maximal eine Erwähnung am Rande wert gewesen. Auf einer Baustelle kam es nun mal zu Unfällen durch lose Kabel, über die jemand stolperte, weil er unachtsam war. Oder es rutschte jemand in einer Wasserlache auf glattem Untergrund aus. Daran war nichts Mysteriöses. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es auch keinen Grund, etwas anderes anzunehmen –...