Plötzlich Fee - Winternacht - Band 2 - Roman -

von: Julie Kagawa

Heyne, 2011

ISBN: 9783641066154 , 512 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 8,99 EUR

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Plötzlich Fee - Winternacht - Band 2 - Roman -


 

Der Winterhof


Der Eiserne König stand vor mir, prachtvoll und wunderschön. Sein silbernes Haar wehte um seine Schultern wie ein ungebändigter Wasserfall. Sein langer, schwarzer Mantel bauschte sich hinter ihm und betonte noch das blasse, kantige Gesicht mit der durchscheinenden Haut, unter der die blaugrünen Venen glühten. In der Tiefe seiner schwarzen Augen zuckten Blitze und die stählernen Tentakel, die entlang seiner Wirbelsäule und an seinen Schulterblättern entsprangen, legten sich um ihn wie glänzende Flügel. Einem Racheengel gleich schwebte er auf mich zu und streckte mit einem sanften, traurigen Lächeln die Hand nach mir aus.

Sobald ich einen Schritt machte, um ihm entgegenzutreten, schlangen sich die Kabel sanft um mich und zogen mich zu ihm. »Meghan Chase«, murmelte Machina und fuhr mit einer Hand durch meine Haare. Schaudernd ließ ich die Arme hängen, während die Tentakel zärtlich über meine Haut glitten. »Du bist gekommen. Was wünschst du?«

Ich runzelte die Stirn. Was wollte ich? Warum war ich hergekommen? »Mein Bruder«, antwortete ich, als es mir wieder einfiel. »Du hast meinen Bruder Ethan entführt, um mich hierherzulocken. Ich will ihn zurückhaben.«

»Nein.« Machina schüttelte den Kopf und kam noch näher. »Du bist nicht wegen deines Bruders gekommen, Meghan Chase. Und auch nicht wegen des Dunklen Prinzen, den du zu lieben glaubst. Du bist nur aus einem einzigen Grund hier. Macht.«

In meinem Schädel pochte es und ich versuchte, vor ihm zurückzuweichen, aber die Kabel hielten mich fest. »Nein«, murmelte ich, während ich weiter gegen das eiserne Netz ankämpfte. »Das … das stimmt nicht. So war es nicht.«

»Dann zeig es mir.« Machina breitete einladend die Arme aus. »Wie sollte es denn eigentlich ablaufen? Wozu bist du hergekommen? Was wolltest du tun? Zeig es mir, Meghan Chase.«

»Nein!«

»Zeig es mir!«

Plötzlich pulsierte etwas in meiner Hand – der kraftvolle Herzschlag des Hexenholzpfeils. Mit einem Schrei riss ich den Arm hoch und trieb Machina das angespitzte Ende in die Brust; so tief, dass der Pfeil sich in sein Herz bohrte.

Taumelnd wich Machina zurück und starrte mich völlig entsetzt an. Doch jetzt war er nicht mehr Machina, sondern ein Feenprinz mit nachtschwarzem Haar und hellen Silberaugen. Schlank und gefährlich, ganz in Schwarz gekleidet, fasste er nach dem Schwert an seinem Gürtel, bevor er erkannte, dass es zu spät war. Er schwankte, kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben, und ich unterdrückte einen Schrei.

»Meghan«, hauchte Ash. Ein schmales Rinnsal Blut quoll ihm zwischen den Lippen hervor. Seine Hände umfassten den Pfeil in seiner Brust und er fiel auf die Knie. Flehend sah er mich an. »Warum?«

Zitternd hob ich die Hände und sah, dass sie rot glänzten und mir eine Flüssigkeit über die Arme lief und zu Boden tropfte. Unter der feuchten Schicht wanden sich Dinge unter meiner Haut und versuchten, sich an die Oberfläche zu bohren wie gierige Blutegel. Irgendwo in den Tiefen meines Bewusstseins war mir klar, dass ich eigentlich entsetzt, erschrocken und extrem angewidert sein müsste. Aber das war ich nicht. Ich fühlte mich mächtig – mächtig und stark, als würde elektrischer Strom durch meinen Körper fließen, als könnte ich alles tun, was ich wollte, und niemand könnte mich aufhalten.

Ich sah hinab auf den Dunklen Prinzen und verzog beim Anblick dieser jämmerlichen Gestalt verächtlich die Lippen. Hatte ich wirklich einmal einen solchen Schwächling geliebt?

»Meghan.« Ash kniete vor mir und das Leben floss nach und nach aus seinem Körper, obwohl er darum kämpfte, es festzuhalten. Einen kurzen Moment lang bewunderte ich diese Hartnäckigkeit, aber sie würde ihn auch nicht retten. »Was ist mit deinem Bruder?«, flehte er. »Und deiner Familie? Sie warten darauf, dass du nach Hause kommst.«

Aus meinem Rücken und meinen Schultern entrollten sich metallene Kabel und breiteten sich um mich wie glitzernde Flügel. Wieder sah ich hinunter auf den Dunklen Prinzen, der hilflos vor mir kniete, und ich schenkte ihm ein nachsichtiges Lächeln.

»Ich bin zu Hause.«

Die Kabel stießen blitzschnell herab, bohrten sich in die Brust des Feenprinzen und nagelten ihn am Boden fest. Ash zuckte und öffnete den Mund zu einem stummen Schrei, bevor sein Kopf nach hinten fiel und er in tausend Stücke zersprang wie ein Kristall, der auf Beton aufschlägt.

Umgeben von den funkelnden Überresten des Dunklen Prinzen legte ich den Kopf in den Nacken und lachte – mein Lachen verwandelte sich in einen rauen Schrei, als ich aus dem Schlaf hochschreckte.

Mein Name ist Meghan Chase.

Ich bin jetzt schon eine ganze Weile im Palast der Winterfeen. Wie lange genau? Keine Ahnung. Die Zeit vergeht hier irgendwie anders. Während ich im Nimmernie festsitze, dreht sich die Außenwelt, die Welt der Sterblichen, ohne mich weiter. Falls ich jemals hier rauskomme und es zurück nach Hause schaffe, muss ich vielleicht feststellen, dass hundert Jahre vergangen sind, während ich weg war, wie bei Dornröschen, mit dem Unterschied, dass meine Familie und Freunde dann schon lange tot sind.

Ich versuche, nicht zu oft darüber nachzudenken, aber manchmal verfalle ich einfach in diese Grübeleien.

In meinem Zimmer war es kalt. Hier war es immer kalt. Mir war immer kalt. Nicht einmal die saphirblauen Flammen im Kamin reichten aus, um die ständige Kälte zu vertreiben. Die Wände und Decken bestanden aus blickdichtem, rauchigem Eis. Selbst am Kronleuchter hingen Tausende von Eiszapfen. An diesem Abend trug ich eine Trainingshose, Handschuhe, einen dicken Pullover und eine Wollmütze, aber das war nicht genug. Vor meinem Fenster glitzerte die unterirdische Stadt der Winterfeen in ihrem eisigen Glanz. Dunkle Gestalten hüpften und flatterten in den Schatten und zeigten Klauen, Zähne und Flügel. Zitternd sah ich zum Himmel hinauf. Die Decke der gigantischen Höhle war zu weit entfernt, um sie in der Dunkelheit erkennen zu können, aber Tausende winziger Lichter – Kugeln aus Feenfeuer oder Feen selbst – funkelten wie Sterne am Himmel.

Es klopfte an meiner Tür.

Ich rief nicht Herein. Dass das nicht empfehlenswert war, hatte ich bereits gelernt. Das hier war der Dunkle Hof und jemanden in sein Zimmer einzuladen, war eine wirklich, wirklich blöde Idee. Ich konnte sie mir nicht ganz vom Hals halten, aber die Feen stellten sklavisch Regeln über alles andere und ihre Königin hatte befohlen, dass ich nicht belästigt werden durfte, außer auf eigenen Wunsch.

Und wenn ich sie hereinbat, könnte das als ein solcher Wunsch gedeutet werden.

Ich durchquerte umhüllt von den Dampfwolken meines Atems das Zimmer und öffnete die Tür einen Spaltbreit.

Eine geschmeidige schwarze Katze saß auf dem Boden, den Schwanz um ihre Pfoten gelegt, und sah mit durchdringenden gelben Augen zu mir hoch. Bevor ich den Mund aufmachen konnte, fauchte sie und schoss wie ein schwarzer Schatten durch den offenen Spalt.

»Hey!«

Ich wirbelte herum, doch die Katze war nicht länger eine Katze. Stattdessen stand dort die Púca Tiaothin und grinste mich mit funkelnden Fangzähnen an. War ja klar, dass es eine Púca sein würde – sie befolgten keinerlei gesellschaftliche Regeln. Genau genommen schien es ihnen sogar einen Riesenspaß zu machen, sie zu brechen.

Zwischen ihren Dreadlocks lugten pelzige Ohren hervor, die immer wieder mal zuckten. Sie trug eine knallbunte Jacke, besetzt mit Glasedelsteinen und Nieten, zerfetzte Jeans und Kampfstiefel. Im Gegensatz zu den Feen des Lichten Hofes bevorzugten die Dunklen Feen die Kleidung der Sterblichen. Ob das eine offene Provokation des Lichten Hofes darstellen sollte oder ob sie so unter Menschen weniger auffallen wollten, war mir nicht ganz klar.

»Was willst du?«, fragte ich wachsam. Tiaothin hatte von dem Moment an, als ich an den Hof gebracht wurde, ein lebhaftes Interesse an mir gezeigt. Der Grund dafür war wohl die unstillbare Neugier einer Púca. Wir hatten uns ein paarmal unterhalten, aber ich würde sie nicht gerade als Freundin bezeichnen. Die Art, wie sie mich anstarrte, ohne zu blinzeln – als würde sie abwägen, ob ich zu ihrer nächsten Mahlzeit taugte –, machte mich immer ziemlich nervös.

Die Púca fauchte und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Du bist noch nicht so weit«, stellte sie fauchend fest und musterte mich skeptisch. »Beeil dich. Beeil dich und zieh dich um. Wir sollten los. Schnell.«

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Tiaothin war noch nie leicht zu verstehen gewesen, da sie so rasch von einem Thema zum nächsten sprang, dass man ihr nur schwer folgen konnte. »Wohin denn?«, fragte ich, worauf sie kicherte.

»Zur Königin«, schnurrte Tiaothin und zuckte mit den Ohren. »Die Königin verlangt nach dir.«

Mein Magen zog sich zusammen. Seit ich mit Ash an den Winterhof gekommen war, hatte ich mich vor diesem Augenblick gefürchtet. Bei unserer Ankunft im Palast hatte die Königin mich mit einem raubtierhaften Lächeln gemustert und mich dann mit dem Kommentar entlassen, dass sie unter vier Augen mit ihrem Sohn zu sprechen wünsche, aber bald nach mir...