Sklaven der Schande - Karl May´s Gesammelte Werke Band 75

von: Karl May

Karl-May-Verlag, 1993

ISBN: 9783780215758 , 464 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Sklaven der Schande - Karl May´s Gesammelte Werke Band 75


 

1. Eine Ballettkönigin


 

Der Chefredakteur des Residenzblattes saß an seinem Tisch. Er schien nicht sehr beschäftigt zu sein, denn er schnitt gedankenvoll oder vielmehr gedankenlos Splitter aus seinem neuen Lineal. Da trat der Redaktionsdiener ein.

„Was schon wieder?“, fuhr sein Herr auf.

„Etwas Feines!“, erwiderte das kleine, bewegliche Männchen.

„Wirklich?“

„Piekfein sogar!“

„Wer?“

„Mademoiselle Leda.“

Bei dem Klang dieses Namens sprang der Redakteur von seinem Stuhl auf.

„Mademoiselle Leda! Die Tänzerin? Sapperment! Sehen Sie mich einmal an! Ist meine Toilette in Ordnung?“

Der Kleine beliebäugelte seinen hohen Gebieter vom Kopf bis zu den Füßen herab und antwortete:

„Unübertrefflich, Herr Doktor.“

„So lass die Dame eintreten!“

Er stellte sich in Positur und erwartete die Tänzerin, welche im nächsten Augenblick eintrat und sich mit fast unnachahmlicher Grazie vor ihm verbeugte.

Sein Kennerauge musterte ihre Gestalt, was sie ruhig mit lächelndem Mund aushielt.

Dann ertönte eine gedämpfte, einschmeichelnde Stimme:

„Nun, gefalle ich Ihnen, Herr Doktor?“

Er war fast frappiert über diese Frage einer Dame, welche er zum ersten Mal erblickte, antwortete aber sehr schnell:

„Sie sind kostbar, Mademoiselle!“

Sie hatte draußen den Pelz abgelegt und stand vor ihm in tief ausgeschnittener Seide, welche auch den ganzen vollen, üppigen Arm sehen ließ.

„Das freut mich, weil wir doch Freunde werden müssen!“, gestand sie.

Er lächelte ihr schalkhaft überlegen zu und fragte:

„Ist das so gewiss, dass wir Freunde sein werden?“

„Ja, denn ich werde mir alle mögliche Mühe geben, Sie für mich zu gewinnen.“

„Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen!“

„Also wünschen Sie mir Erfolg?“

„So viel Sie wollen. Kommen Sie, setzen Sie sich!“

Er wünschte auch sich Erfolg. Darum zog er sie neben sich auf das Sofa nieder und ergriff ihre Hand. Er sagte sich, diese Tänzerin sei zwar noch recht schön, aber nicht mehr ganz jung. Sie neigte bereits zu einer Korpulenz, welche ihrer Kunst nicht vorteilhaft sein konnte.

Sie ließ, als er ihre Hand an seine Lippen zog, einen tiefen Seufzer hören; dann sagte sie:

„Herr Doktor, wissen Sie, was es heißt, fremd im fremden Land zu sein?“

„Oh, sehr, sehr gut!“

„So geht es mir. Ich soll hier gastieren, ich soll mit einer Rivalin auftreten; eine von uns beiden soll dann die hiesige Vakanz ausfüllen. Ich bin in meiner Kunst zu Hause; aber hier bin ich fremd. Ich bedarf der Stütze, der Führung – und – Sie sind natürlich der Erste, dem ich mich vorstelle.“

Sie spielte ein meisterhaftes Erröten und senkte den Blick verschämt zur Erde.

„Mademoiselle, Sie bedürfen der Führung und kommen zu mir. Das heißt – nun, was heißt das?“

„Dass ich mich Ihnen anvertrauen möchte. Sie sind die bedeutendste literarische und journalistische Kraft des Landes; wen Sie halten, der steht, und wen Sie fallen lassen, der erhebt sich nicht wieder. Ich möchte Ihre Freundin werden!“

Er fühlte sich hingerissen, wenigstens für den Moment. Er antwortete nicht sogleich, darum fügte sie nach einer Pause, die Augen schmachtend aufschlagend hinzu:

„Könnten Sie mich fallen lassen?“

„Wünschen Sie denn, dass ich Sie halte?“

Seine Augen begannen begierig zu funkeln.

„Von ganzem Herzen!“

„Nur in meinen Rezensionen oder auch so?“

Er legte ihr den Arm um die Taille.

„Auch so, auf alle mögliche Art und Weise.“

„Dann werde ich Sie allerdings nicht fallen lassen, denn Sie sind ein Engel!“

Er drückte sie fest an sich und wagte es, seinen Mund auf ihre Lippen zu legen, und sie duldete es lange, lange Zeit. Es begann ein leises, leises Kosen und Flüstern. Dann erhob sie sich.

„Also ich darf mich auf Sie verlassen?“

„Vollständig!“

„Und die andere?“

„Wird durchfallen.“

„Denken Sie, übermorgen bereits! Aber ich werde siegen, denn ich bin Ihrer Hilfe gewiss. Werden Sie mich oft besuchen, wenn ich mich hier eingerichtet habe?“

„Zweifeln Sie, süße Leda?“

„Nein, dies ist mein Trost, da ich Sie jetzt so bald verlassen muss. Adieu, Herr Doktor!“

„Adieu!“

Er umarmte und küsste sie nochmals; dann ging sie. Er nickte leise vor sich hin.

„Eine überreife Erscheinung, welche im ersten Augenblick blendet und erhitzt, dann aber mehr und mehr erkältet. Hm! Bin doch neugierig, was für ein Wesen ihre Rivalin ist. Sie wird sich mir jedenfalls vorstellen.“

Um Redaktionsschluss verließ er sein Büro. Indem er durch das Parterre des Gebäudes schritt, in welchem sich die Expeditionen[1] für Annahme der Annoncen befanden, bemerkte er eine Dame, welche im Begriff stand, wegen einer solchen mit dem Expedienten zu verhandeln. Sein Auge blieb an der herrlichen Gestalt haften, welche in ein einfaches Gewand gekleidet war. Er hörte den tiefen, sonoren Klang ihrer Stimme und den reizenden Akzent ihres fremden Dialektes[2]. Sie war schön, doch nicht zu voll gebaut und besaß ein Füßchen und ein Händchen von bewundernswerter Niedlichkeit.

Jetzt drehte sie sich um. Er erblickte ein Gesicht von meisterhaftem Schnitt und eine Büste, die eine Lais[3] beschämt haben würde.

Es brannte in seinem Innern. Wer war dieses herrliche, göttliche Wesen?

Er war an eine der ausgehängten Beilagen getreten, scheinbar, um diese zu lesen, in Wirklichkeit aber, um das entzückende Bild unbeobachteter in sich aufnehmen zu können. Da ging sie. Schon war sie unter der Tür. Da mochte ihr noch etwas einfallen. Sie wollte zu dem Expedienten zurück, aber da erblickte sie ihn und blieb vor ihm stehen, um ihn mit ihrer Glockenstimme zu fragen:

„Verzeihung, mein Herr! Gehören Sie vielleicht zum Personal dieser Zeitung?“

„Ja, mein Fräulein.“

„Wo befindet sich die Redaktion?“

„Eine Treppe hoch.“

„Zu welchen Zeiten ist der Herr Chefredakteur zu sprechen?“

„Für Sie zu jeder Zeit!“

Sie wollte zornig erröten, doch brachte sie es nur zu einem verächtlichen Achselzucken. Dann sagte sie:

„Ich meine, ob dieser Herr jetzt zu sprechen sei?“

„Ja, sogleich!“

„Danke!“

Sie schritt zur Treppe, stieg dieselbe empor und erblickte das Schild an der betreffenden Tür. Nach leichtem Anklopfen trat sie in das kleine Vorzimmer. Dort war der kleine Redaktionsdiener noch anwesend.

„Der Herr Chefredakteur?“, fragte sie.

„Ist bereits fort“, antwortete er, sie mit seinen kleinen, lüsternen Augen fast verschlingend.

„Man sagte mir ganz bestimmt, dass er noch zu sprechen sei.“

„Wer sagte das?“

„Ein Herr mit goldener Brille, grauem Anzug und breitem, schwarzem Filzhut.“

Der Diener erkannte seinen Herrn. Er kannte ihn auch als enthusiastischen Bewunderer weiblicher Schönheit und ahnte, was geschehen sei.

„Wirklich?“, fragte er. „So werde ich den Herrn Doktor sofort benachrichtigen. Bitte, treten Sie indessen hier ein, gnädiges Fräulein!“

„Geben Sie ihm diese Karte!“

Sie trat in das Redaktionszimmer und der Diener suchte, mit der Karte in der Hand, seinen Herrn. Er brauchte nicht lange zu suchen, denn dieser trat ihm schon unter der Tür entgegen.

„Donnerwetter, Herr Doktor, ist die aber fein! So habe ich noch keine gesehen!“

„Halte das Maul! Die Karte!“

Auf derselben stand der Name Ellen Starton.

„Alle Teufel!“, jubelte der Chef halblaut. „Die andere Tänzerin! Diese ist die Sonne, jene aber der Irrwisch. Diese die Rose und jene die Fackeldistel! Schnell hinein zu ihr!“

Er nahm den Hut ab, trat ein und verbeugte sich. Sie stand vom Sessel auf, auf welchem sie Platz genommen hatte, und sagte, ohne seinen Gruß zu erwidern:

„Ich fragte nach dem Herrn Redakteur.“

„Ich bin es selbst, Miss Ellen!“

Jetzt trat die vorhin zurückgehaltene Röte ihres Gesichtes zornig hervor.

„Mein Herr“, sagte sie, „man pflegt fremde Damen nur dann beim Vornamen zu nennen, wenn diese Damen...