Mord und Brand - Ein Roman aus dem alten Wien

von: Gerhard Loibelsberger

Gmeiner-Verlag, 2011

ISBN: 9783839236963 , 310 Seiten

8. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 13,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Mord und Brand - Ein Roman aus dem alten Wien


 

VI. Kapitel


 

Eisiger Wind fegte über das winterlich düstere Wien. Als die Reste des Tageslichts den Schatten der Nacht wichen, gesellten sich Schneeflocken zu den Sturmböen. »Verdammt sollt ihr alle sein, die ihr jetzt daheim vor einem warmen Ofen sitzt«, murmelte Oprschalek in seinen nunmehr schon recht stattlichen, weil seit über zehn Tagen nicht mehr rasierten Bart. Vor fast zwei Wochen hatte er in Folge eines eskalierenden Ehestreits seine Frau erschlagen und danach die Wohnung angezündet. Nicht dass er es bereuen würde … Nein, seine immer nur keppelnde[16] Alte hatte das schon verdient. Wobei er ihr in seiner Wut ja nur eine kräftige ›Verkehrte‹[17] gegeben hatte. Dass sie umfiel und dabei mit dem Kopf auf dem gusseisernen Kanonenofen aufschlug, hatte er nicht beabsichtigt. Das blutende Loch in ihrem Schädel hatte ihm zuerst Angst gemacht. Nachdem er aber mehrere Schlucke aus der Schnapsflasche gemacht hatte, brüllte er: »Ich pfeif’ d’rauf! Auf die Alte, auf die Wohnung, auf mein ganzes, hundsmiserables Leben!« Dann hatte er die Petroleumlampe genommen und sie voll Zorn auf seiner bewusstlos daliegenden Frau zertrümmert. Als die Flammen sich an ihren Kleidern hochfraßen, war er in die Küche gegangen und hatte dort das restliche Petroleum geholt und wie von Sinnen in der ganzen Wohnung verschüttet. Plötzlich war alles in Flammen gestanden und er hatte seine liebe Not gehabt, rechtzeitig die Wohnungstür zu erreichen und zu flüchten. Ein böses Grinsen verzerrte sein Gesicht, als er daran dachte, dass er damals um ein Haar selbst verbrannt wäre. Heute, in dem vermaledeiten Schneesturm, würde ihm ein bisschen Wärme guttun.

 

Endlich sah er vor sich im fahlen Licht einer Gaslaterne das ebenerdige Gebäude, an dessen Stirnseite groß ›Wärmestube gestiftet von Moritz Freiherrn Königswarter‹ prangte. Da die Eingangstür verschlossen war, musste er läuten. Nach einiger Zeit hörte er Schritte, ein massiger, älterer Kerl öffnete die Tür und musterte ihn kritisch.

»Hast noch einen Platz für mich?«

»An und für sich sind wir voll … aber von mir aus … komm’ rein und dräng dich irgendwo dazu.«

Durch einen kurzen Gang wurde Oprschalek in einen großen, dämmrig beleuchteten Raum geführt, in dem es warm und stickig war. Die Ausdünstungen von rund hundert Menschen, die hier dicht gedrängt auf langen Bänken an groben Holztischen saßen, nahmen ihm fast den Atem. Aus den Augenwinkeln sah Oprschalek die Pförtnerklause, in der auf einem Tisch eine Zeitung aufgeschlagen lag. Außerdem stach ihm ein Werkzeugkasten ins Auge, der auf einem Regal stand. Ohne lange zu zögern setzte er sich in einem Eck des Obdachlosenasyls auf den Boden. Er nahm die Zeitung heraus, die er heute in einem Tschecherl[18] hatte mitgehen lassen und die er sich zum Schutz vor der Kälte unter sein Sakko gestopft hatte. Sie war vom letzten Samstag. Da er nicht einschlafen konnte, begann er im flackernden Dämmerlicht den Leitartikel zu lesen:

Die wirtschaftliche Not der letzten Jahre hat alle Stände ergriffen und insbesondere in jüngster Zeit einen Höhepunkt erlangt, der zum raschesten Handeln gemahnt, wenn die Gefahr hintangehalten werden soll, dass eine ganze Reihe von bürgerlichen Existenzen dem Untergang preisgegeben ist.

Oprschalek dachte an den Streik der Schneidermeister, dem er sich so wie viele andere Schneidergesellen angeschlossen hatte. Dieser Ausstand war die Ursache für die Misere, in der er sich jetzt befand. Er war tagelang ohne Arbeit gewesen. Er war daheim herumgesessen, war zu Versammlungen gegangen, hatte sich betrunken und gehofft, dass die Bekleidungsfirmen, für die sein Meister und er arbeiteten, doch noch einlenken und ihre Leistungen ein bisschen besser bezahlen würden. Seine Frau hatte mittlerweile nervöse Zustände bekommen und ihm die Hölle heiß gemacht. Wann immer er daheim war, jammerte und schimpfte sie. Richtig hysterisch war sie vor lauter Angst geworden, delogiert zu werden, auf der Straße zu landen und zu verhungern. Vor nun fast zwei Wochen hatte er dann den Rappel bekommen und sie zum Schweigen gebracht. Endlich war Ruhe … Er rieb sich die Augen, die aufgrund der äußerst widrigen Lichtbedingungen tränten und las weiter:

Es unterliegt keinem Zweifel, dass gerade der Gewerbestand eine der wichtigsten Stützen des Staates ist, da er eine Menge von Steuerträgern vereint. Geht dieser Mittelstand zugrunde, so ist die wirtschaftliche Not auf ihrem Höchstpunkte angelangt und für den Staat ist eine Berufsklasse verlorengegangen, die stets zu seinen treusten Anhängern zählt.

Der kleine Meister verschwindet immer mehr von der Bildfläche und mit ihm geht ein Stand verloren, der einst ein beredtes Zeugnis für ein gesundes, wohlsituiertes Bürgertum war. Sein Niedergang ist in der Hauptsache auf den Umstand zurückzuführen, dass die Werkstätten für kleine Meister in den Städten von Oesterreich und insbesondere in Wien rapid abnehmen und kein Ersatz dafür geschaffen wird.

Gerade in unserer Stadt werden in jüngster Zeit die alten Gebäude, in denen die kleinen Werkstätten untergebracht sind, demoliert und an ihrer Stelle Paläste erbaut, die nur große Lokalitäten enthalten, wofür Zinse eingehoben werden, die für einen kleinen Gewebetreibenden ganz unerschwinglich sind …

»Dieser verdammte Kapitalismus …«, murmelte Oprschalek und ließ die Zeitung sinken. Anzünden, alles anzünden. So sollten die Proletarier, die kleinen Gewerbetreibenden und die zehntausenden Unterstandslosen auf ihre miserable Situation reagieren. Die Paläste der Reichen anzünden und demolieren. Mit einer gewaltigen, reinigenden Feuersbrunst müsste man den Kapitalismus ausmerzen. Sein Blick wanderte durch den schummrig beleuchteten Raum. Er registrierte voll Wut und Verachtung all die Elendsgestalten, die hier an den Tischen hockten. Auf schmalen Holzbänken eng aneinandergedrängt, saßen sie nach vorne gebeugt und versuchten zu schlafen. Einige schnarchten laut. In einem Gebäude, das ein ›wohltätiger‹ Kapitalist gestiftet hatte und für dessen Betrieb er bezahlte. »Wohltätiger Kapitalist …«, murmelte Oprschalek und schüttelte sich vor Unwillen. Das war in etwa so wie ein vegetarischer Löwe oder ein schwarzer Schimmel. Ein Widerspruch in sich, eine Fabelgestalt, ein Märchen. Und plötzlich hatte er eine Vision. Wie in Trance stand er auf und schlich durch den Saal zum Ausgang. Keine Menschenseele beachtete ihn. Leise öffnete er die Tür zum Vorraum, wo der ältere Mann, der als Pförtner arbeitete, an einem Schreibtisch saß. Auch er war nach vorne gebeugt, eingeschlafen über einer Zeitung. Oprschalek schlich sich hinter ihn, packte ihn bei den fettigen Haaren und schlug seinen Schädel mit voller Wucht auf den Schreibtisch. Einmal, zweimal, dreimal. Nach den ersten beiden Schlägen hatte der Körper des Mannes noch gezuckt, dann hing er schlaff und leblos im Sessel. Das Gesicht des Mannes war blutverschmiert, die ehemals stattliche Nase ein blutiger Brei. Oprschalek zischte: »So wird es euch allen ergehen, euch Knechten des Kapitalismus …«. Angewidert wischte er die von den Haaren fettigen Finger am Gewand des Opfers ab. Dann widmete er sich dem Werkzeugkasten, den er leise und behutsam aufklappte. Was er sah, entzückte ihn: darin befanden sich unter anderem ein kurzer massiver Hammer – ein sogenanntes Maurerfäustel – sowie ein Stemmeisen. Genau das war es, was er für sein Vorhaben brauchte. Als er um sich blickte, entdeckte er, an einen Fuß des Schreibtisches gelehnt, eine alte, abgewetzte Ledertasche. Er öffnete sie, nahm ein schmutziges Menagereindl[19] sowie einen benutzten Esslöffel heraus und gab stattdessen die beiden Werkzeuge hinein. Dann untersuchte er die Hosentaschen seines Opfers. Er fand eine alte, labbrige Brieftasche. Geldscheine waren zwar keine drinnen, aber immerhin Münzen im Wert von rund 3 Kronen. Grinsend steckte er die Geldbörse ein, schnappte sich die Ledertasche und trat hinaus ins Schneetreiben.

 

Er stapfte durch den rutschigen Schnee, der nun Gehsteige und Straßen bedeckte. Feuchtigkeit sickerte durch seine alten, abgetretenen Schuhe, der Wind pfiff unbarmherzig, und er hätte viel für einen wärmenden Schal gegeben. Da er keinen Mantel besaß, hatte er den Kragen seines Sakkos hochgestellt und den Kopf zwischen den Schultern eingezogen. So hastete er die stille, menschenleere Erdbergerstraße entlang, von tausenden wirbelnden Schneeflocken umtanzt. Plötzlich hörte er ein Geräusch hinter sich: Ein leises Summen und Quietschen. Als er sich umdrehte, sah er in einiger Entfernung die Lichter einer sich nähernden Tramway der Linie J. Plötzlich kam ihm eine Idee. Der J-Wagen würde ihn sicher und trocken nahe an sein Ziel in Hernals bringen. Und für den Fahrschein hatte er ja das Kleingeld seines Opfers in der Tasche. Er hatte dies noch nicht ganz zu Ende gedacht, als er schon losrannte. Die nächste Haltestelle war gut 200 Meter entfernt. Schnaufend, rutschend und fluchend schaffte er es, die Haltestelle vor der Straßenbahn zu erreichen und dem Fahrer ein Zeichen zu geben. Dieser bremste unter Einsatz von ausgestreutem Schotter das aus Holz, Stahl und Glas bestehende Gefährt. Ein Schaffner öffnete ihm die Schiebetür und er sprang die Stufen hinauf, hinein ins trockene und warme Innere.

 

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