Der Drahtzieher: Ein Gabriel-Allon-Thriller - Agenten-Thriller

Der Drahtzieher: Ein Gabriel-Allon-Thriller - Agenten-Thriller

von: Daniel Silva

HarperCollins, 2018

ISBN: 9783959677707 , 528 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 8,99 EUR

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Der Drahtzieher: Ein Gabriel-Allon-Thriller - Agenten-Thriller


 

1

KING SAUL BOULEVARD, TEL AVIV

Für etwas noch nie Dagewesenes, das mit solchen institutionellen Risiken behaftet war, ging alles ohne viel Aufhebens über die Bühne. Und nahezu geräuschlos. Das war das Bemerkenswerte daran: die operative Stille, in der alles stattfand. Gewiss, es hatte eine dramatische Ankündigung gegeben, die das Fernsehen live übertragen hatte, eine Aufsehen erregende erste Kabinettssitzung und eine opulente Party in Ari Schamrons Villa am See Genezareth, zu der alle Freunde und Mitstreiter aus seiner bewegten Vergangenheit gekommen waren – Geheimdienstchefs, Politiker, ein Monsignore aus dem Vatikan, ein Londoner Galerist und sogar ein unverbesserlicher Kunstdieb aus Paris –, um ihm alles Gute zu wünschen. Aber ansonsten verlief alles erstaunlich glatt. An einem Tag saß Uzi Navot im Büro des Direktors an seinem riesigen Schreibtisch aus Rauchglas, und am Tag darauf hatte Gabriel Allon seinen Platz eingenommen. Verschwunden war jedoch auch Navots moderner Schreibtisch, denn Glas war nicht Gabriels Stil.

Holz gefiel ihm besser. Liebevoll poliertes, altes Holz. Und natürlich Gemälde: Er merkte sehr bald, dass er nicht zehn, zwölf Stunden pro Tag in einem Raum ohne Gemälde zubringen konnte. Außer zwei unsignierten eigenen Bildern hängte er mehrere Werke seiner Mutter auf, die zu ihrer Zeit eine der prominentesten Künstlerinnen Israels gewesen war. Dazu kam ein großes abstraktes Gemälde seiner ersten Frau Leah, das sie während ihrer gemeinsamen Studienzeit an der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem gemalt hatte. Am späten Nachmittag konnten Besucher des obersten Stockwerks Opernklänge hören – Puccinis La Bohème war ein besonderer Favorit –, die unter seiner Tür hervordrangen. Diese Musik konnte nur eines bedeuten: Gabriel Allon, der Fürst des Feuers, der Racheengel, Ari Schamrons Ziehsohn, hatte endlich seinen rechtmäßigen Platz als Direktor des israelischen Geheimdiensts eingenommen.

Aber sein Vorgänger blieb in der Nähe. Tatsächlich bezog Uzi Navot das auf dem Flur gegenüberliegende Büro, das einst Schamrons geschützter kleiner Schlupfwinkel gewesen war. Bisher war noch kein verabschiedeter Direktor unter demselben Dach wie sein Nachfolger geblieben. Die neue Regelung verstieß gegen einen der heiligsten Grundsätze des Diensts, der alle paar Jahre einen Neuanfang forderte. Natürlich gab es ehemalige Direktoren, die nicht loslassen konnten. Sie kreuzten gelegentlich am King Saul Boulevard auf, erzählten Geschichten aus dem Krieg, erteilten unerbetene Ratschläge und waren allgemein lästig. Und dann gab es natürlich Schamron, den Unzerstörbaren, den brennenden Busch. Schamron hatte den Dienst von Anfang an nach eigenen Vorstellungen aufgebaut. Er hatte ihm seine Identität, sogar seine eigene Sprache gegeben und hielt es für sein angestammtes Recht, sich dort einzumischen, wie’s ihm passte. Es war Schamron gewesen, der Navot zum Direktor gemacht hatte, und der »Alte« hatte ihm den Posten wieder weggenommen, als seine Zeit um war.

Aber es war Gabriel, der darauf bestand, dass Navot mit allen Privilegien seiner bisherigen Stellung blieb. Sie teilten sich eine Sekretärin – die energische Orit, am King Saul Boulevard wegen ihrer Fähigkeit, unerwünschte Besucher abzuwimmeln, als Eiserne Lady bekannt –, und Navot behielt seinen Dienstwagen und so viele Personenschützer wie bisher, was zu leisem Protest in der Knesset führte, aber als friedenstiftende Maßnahme unerlässlich war. Sein genauer Titel war ziemlich vage, was jedoch für den Dienst typisch war. Schließlich waren seine Mitarbeiter von Beruf Lügner, die nur untereinander die Wahrheit sprachen. Allen anderen gegenüber – ihren Frauen, ihren Kindern, den Bürgern, die zu beschützen sie geschworen hatten – tarnten sie sich sorgfältig.

Standen ihre Bürotüren offen, was im Allgemeinen der Fall war, konnten Gabriel und Navot sich über den Flur hinweg sehen. Sie telefonierten jeden Morgen miteinander, trafen sich zum Lunch – manchmal im Kasino, manchmal unter vier Augen in Gabriels Büro – und kamen jeden Abend zu einer kurzen Besprechung zusammen, die bei Gabriels Opernmusik stattfand, die Navot verabscheute, obwohl er aus einer guten Wiener Familie stammte. Navot hatte keinen Sinn für Musik, und die bildenden Künste langweilten ihn. Ansonsten stimmten Gabriel und er in allen Dingen völlig überein, zumindest wenn es um den Dienst und die Sicherheit des Staates Israel ging. Navot hatte durchgesetzt, jederzeit Zugang zu Gabriel zu haben, und bestand darauf, an allen wichtigen Besprechungen auf der Führungsebene teilzunehmen. Im Allgemeinen schwieg er einer Sphinx gleich und saß mit verschränkten muskulösen Armen und schwer zu deutendem Gesichtsausdruck am Tisch. Gelegentlich beendete er jedoch einen von Gabriel begonnenen Satz, als wolle er demonstrieren, dass zwischen sie kein Blatt Papier passte. Sie glichen Boas und Jachin, den beiden Säulen am Eingang von Salomos Tempel, und wer auch nur daran dachte, sie gegeneinander auszuspielen, würde einen hohen Preis zahlen. Gabriel war ein beliebter Direktor, aber trotzdem der Chef des Diensts, der an seinem Hof keine Intrigen duldete.

Intrigen waren allerdings unwahrscheinlich, denn die Männer und Frauen seines Führungsstabs bildeten eine verschworene Gemeinschaft. Alle stammten aus der Eliteeinheit Barak, die einige der spektakulärsten Unternehmen in der Geschichte des an Superlativen nicht armen Diensts durchgeführt hatte. Sie hatten jahrelang in einem Kellerraum gearbeitet, der eigentlich ein Lagerraum für alte Möbel gewesen war. Jetzt arbeiteten sie in Büros, die sich an Gabriels Suite anschlossen. Selbst Eli Lavon, einer der prominentesten Bibelarchäologen Israels, hatte seine Dozentenstelle an der Hebrew University aufgegeben, um in den Dienst zurückzukehren. Normalerweise beaufsichtigte Lavon die Beschatter, die Taschendiebe und die Lauscher, die mit versteckten Kameras und Mikrofonen arbeiteten. In der Praxis setzte Gabriel ihn für alle möglichen Aufgaben ein, wie er’s für richtig hielt. Lavon, der beste Überwacher, den der Dienst je hervorgebracht hatte, arbeitete seit dem Unternehmen »Zorn Gottes« mit Gabriel zusammen. Sein kleines Büro mit Ausgrabungsfunden in einer Vitrine war eine Oase der Stille, in der Gabriel sich manchmal für ein paar Minuten erholte. Lavon war nie sehr redselig gewesen. Wie Gabriel arbeitete er am besten geräuschlos im Dunkel.

Einige Veteranen fragten sich, ob Gabriel gut beraten sei, wenn er so viele Loyalisten und Relikte aus seiner ruhmreichen Vergangenheit in den Führungsstab holte. Aber sie behielten ihre Bedenken für sich. Außer Schamron hatte kein anderer Direktor sein Amt mit mehr Erfahrung und einem größeren Vertrauensvorschuss angetreten. Gabriel war schon länger in der Branche als jeder andere und hatte in dieser Zeit ungewöhnliche Freunde und Komplizen gewonnen. Der britische Premierminister verdankte ihm seine Karriere, der Papst sein Leben. Trotzdem war er kein Mann, der rücksichtslos alte Schulden einforderte. Der wirklich Mächtige, sagte Schamron, braucht nie um einen Gefallen zu bitten.

Aber er hatte auch Feinde, die das Leben seiner ersten Frau zerstört und später versucht hatten, seine zweite Frau zu ermorden. Feinde in Moskau und Teheran, für die er das einzige Hindernis bei der Verwirklichung ihrer Pläne war. Vorläufig waren sie besiegt, aber sie würden zweifellos wieder auferstehen. Das galt auch für den Mann, mit dem er sich zuletzt duelliert hatte. Tatsächlich stand dieser Mann auf der To-do-Liste des neuen Direktors ganz oben. Die Computer des Diensts hatten ihm einen willkürlich erzeugten Decknamen zugewiesen. Aber hinter den elektronisch gesicherten Türen am King Saul Boulevard benutzten Gabriel und sein Stab den glorreichen Kampfnamen, den er angenommen hatte. Saladin … Sie sprachen mit Respekt und gewisser Besorgnis von ihm. Er hatte es auf sie abgesehen. Wann er zuschlagen würde, war nur eine Frage der Zeit.

Bei befreundeten Geheimdiensten machte ein Foto die Runde. Es war von einem CIA-Agenten in der paraguayischen Stadt Ciudad del Este in dem berüchtigten Dreiländereck Südamerikas gemacht worden. Es zeigte einen arabisch aussehenden Mann, groß, kräftig gebaut, mit einem Libanesen, der angeblich Verbindungen zum internationalen Dschihadismus hatte, auf der Terrasse eines Cafés. Der ungünstige Aufnahmewinkel verhinderte den Einsatz von Software zur Gesichtserkennung. Aber für Gabriel, der selten scharfe Augen besaß, war dieser Mann Saladin. Zwei Tage vor dem schlimmsten Terroranschlag auf amerikanischem Boden seit dem 11. September hatte er Saladin mit eigenen Augen in der Halle des Hotels Four Seasons in Washington, D. C., gesehen. Gabriel wusste, wie Saladin aussah, wie er roch, wie die Luft reagierte, wenn er einen Raum betrat oder verließ. Und er wusste, wie Saladin ging. Wie sein Namensvetter hinkte er stark: als Folge einer Verletzung durch Bombensplitter, die in einem Haus mit vielen Zimmern und Innenhöfen in der Nähe von Mossul im Nordirak unter primitiven Umständen behandelt worden war. Dieses Hinken war jetzt sein Markenzeichen. Die äußere Erscheinung eines Mannes ließ sich auf vielerlei Weise verändern; Haare konnten geschnitten oder gefärbt werden, Gesichtszüge ließen sich operativ korrigieren. Aber ein Hinken wie Saladins blieb ewig.

Wie er’s geschafft hatte, aus den USA zu flüchten, wurde intensiv diskutiert, und alle Versuche, ihn erneut aufzuspüren, waren fehlgeschlagen. Berichten nach sollte er in Asunción, Santiago oder Buenos Aires gesehen worden sein. Es gab sogar ein Gerücht, er habe in Bariloche, dem bei NS-Kriegsverbrechern so beliebten...