Beim Morden bitte langsam vorgehen - Roman

von: Sara Paborn

Deutsche Verlags-Anstalt, 2018

ISBN: 9783641225315 , 272 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Beim Morden bitte langsam vorgehen - Roman


 

Horst und ich heirateten in einer kleinen Dorfkirche. Es war Februar, der schlimmste Monat zum Heiraten, aber Horst hatte ausgerechnet, dass unser neues Haus noch in derselben Woche beziehbar sein würde, und praktische Überlegungen standen natürlich an erster Stelle. Es waren kaum Blumen für den Brautstrauß aufzutreiben. In letzter Sekunde gelang es mir noch, Rosen zu bekommen. Rot und ohne Duft. Das Brautkleid hatte ich mir von einer Schneiderin in der Stadt nähen lassen, weißer Brokat mit U-Boot-Ausschnitt. Figurbetont. Damals hatte ich eine Sanduhrfigur. Leider war mir selbst nicht klar, wie hübsch ich war. Vielleicht war ich auch deswegen so froh, dass Horst mich haben wollte. Ich fand ihn nämlich unglaublich elegant. Er hatte die Art von Aussehen, mit dem manche Menschen in ihrer Jugend vorübergehend gesegnet sind, das dann aber bald in charakterlose Schwammigkeit mündet. Tatsächlich erinnerte er mich ein bisschen an Marlon Brando, als wir uns kennenlernten. Klare Gesichtszüge. Hübscher Mund, grünbraune Augen.

Nur dass Horst goldblondes Haar hatte. Später wurde es aschblond und zottelig. Er hielt nicht so viel davon, sich um sein Äußeres zu kümmern. Er meinte wohl, dass er ohne jede Anstrengung gut aussah, so wie früher. Das war jedoch nicht der Fall. Die Augen, die ich zu Anfang so verführerisch gefunden hatte, waren eigentlich nur kurzsichtig. Als er achtzehn Jahre alt war, schickte seine Großmutter ein Foto von ihm an eine Illustrierte, als Beitrag für den Wettbewerb um den Titel »Mann des Jahres«, den er auf Anhieb gewann. Das Heft hatte er aufgehoben. Auf dem Gewinnerbild strahlte sein Gesicht vor gelangweilter Lässigkeit. Seiner Meinung nach war es Sache der anderen, ihm zu imponieren, nie umgekehrt. Die Leute mussten ihr Bestes geben, und dann lag die Entscheidung bei ihm, ob er sie interessant fand oder nicht. Wie alle schönen Männer war er faul.

Ich hingegen hatte lernen müssen, dass ich mich anstrengen musste. Ich musste ihn unterhalten und ihm gefallen. Dafür sorgen, dass alles funktionierte, dass es anderen gut ging, dass ich die richtigen Fragen stellte und dem Mann die Bühne überließ. Schon früh hatte ich zu hören bekommen, dass ich zu hohe Erwartungen an die Liebe hätte.

»Für dich muss immer alles so groß sein, bis du mal zufrieden bist«, meinte meine Freundin gereizt. »Mit der Einstellung wirst du nie heiraten! Du verjagst die Männer doch!«

Hohe Erwartungen seien ein sicherer Weg zur Enttäuschung, meinte sie. Um Zufriedenheit zu erlangen, müsse man lernen, Dinge zu übergehen, nicht so genau hinzuschauen, die eigenen Ansprüche zu senken. Nicht so kompliziert und fordernd zu sein. Also dachte ich: Wenn ein so normaler Mensch wie Horst Gefallen an mir finden kann, dann gibt es vielleicht doch eine Chance auf ein ganz normales Leben? Dann kann ich mich womöglich anpassen und muss nicht so große Träume hegen und Bücher verschlingen. Vielleicht konnte ich ja sogar Kinder bekommen, eine eigene Familie haben? Feiertage begehen. Meiner tosenden, gewaltigen Sehnsucht nach Dramatik, Größe, Sinnhaftigkeit Einhalt gebieten. Kurz und gut: Vielleicht konnte ja auch ich Zufriedenheit erlangen. Denn wer war ich denn schon, dass ich höhere Ansprüche hätte stellen dürfen als alle anderen Menschen?

Mit dieser Logik und dieser Angst wurde Horsts schlaffer, träger Stil natürlich zur Herausforderung. Etwas, das ich mir erobern und verdienen musste. Damit er irgendwann meine Eintrittskarte zu einem normalen Leben werden würde.

Meine Mutter hielt bei der Hochzeitsfeier keine Rede. Stattdessen nahm sie mich in der Garderobe des besten Hotels der Stadt beiseite, in dem wir einen Raum gemietet hatten. Sie drückte meinen Arm ganz fest und sagte: »Diese himmelstürmende Liebe, von der die Leute immer reden, die gibt es nicht. Nur dass du’s weißt. So was schreiben sie nur in Büchern und Zeitschriften, um Geld zu machen. Die Ehe ist etwas ganz anderes.«

Und dann überreichte sie mir ihre gesammelten Rezepte, säuberlich in einem Ordner abgeheftet. Sie glaubte, dass man mit Essen alles richten konnte. Aber ich zog meine Hand kühl zurück.

»Vielleicht gibt es die Liebe nicht für dich«, sagte ich beherrscht. Den Rest, der mir auf der Zunge brannte, behielt ich jedoch für mich: Das liegt doch nur daran, dass du nicht an sie glaubst. Weil du so unromantisch bist! Weil du niemandem etwas gönnst, was du selbst nicht bekommen hast. Ich werde es dir zeigen. Es gibt sie! Du wirst schon sehen!

So dachte ich, doch leider hatte ich mir ausgerechnet Horst ausgesucht, um meine Pläne zu verwirklichen. Zu lieben und ihn nicht aufzugeben, war meine Art, meiner Mutter zu beweisen, dass es die Liebe sehr wohl gab. Genauso großformatig und romantisch wie in Filmen und Büchern. Doch wie hätte der arme Horst das wissen und diesen Erwartungen gerecht werden können?

Die Kirche war kalt und feucht und viel zu groß für die paar anwesenden Gäste: ein paar entfernte Verwandte und vereinzelte Schulfreunde. Ich hatte mir eine Brautkrone von der Kirche ausleihen dürfen. Es gab verschiedene Modelle zur Auswahl. Ich suchte mir die aus, die am wenigsten prinzessinnenhaft aussah, mit nur einem kurzen Tüllschleier. Ich wollte würdevoll und elegant aussehen. Nicht wie ein Sahnetörtchen.

Als Horst und ich nach der Feier in unser neu gebautes Haus kamen, setzten wir uns mit den ganzen Geschenken und einer Flasche weißem Schaumwein an den Küchentisch.

»So, dann wäre das auch erledigt, jetzt sind wir endlich allein«, sagte Horst und lockerte seine Krawatte. »Gut, dass das jetzt überstanden ist. Ist ja alles glatt gelaufen.«

Und ich spürte, wie mich ein kleiner Schauer durchlief.

Vielleicht war es Glück. Vielleicht auch Panik. Vielleicht Unsicherheit in diesem neuen Haus, in dem die Schränke noch nach Sägespänen rochen und wo im halb leeren Wohnzimmer jedes Geräusch von den Wänden widerhallte.

Ich hatte bekommen, was ich haben wollte. Und wie würde es jetzt weitergehen?

Unser Sohn Tomas kam im Herbst des folgenden Jahres zur Welt. Es war ein funkelnd klarer Wintertag, als ich erfuhr, dass ich schwanger war. Ich weiß noch, wie ich mich mit dieser unglaublichen Neuigkeit auf den Toilettendeckel setzte und einem Gott dankte, von dem ich nicht mal wusste, ob ich an ihn glaubte. Ich würde ein Kind bekommen! Horst und ich! Das war fast zu schön, um wahr zu sein. Ich hatte es also doch bis zur Schwelle des Lebens geschafft, das ich mir gewünscht hatte. Die Schwangerschaft verbrachte ich damit, kleine Jäckchen in neutralen Farben zu stricken, damit sie sowohl ein Mädchen als auch ein Junge tragen konnte, Tapeten fürs Kinderzimmer auszusuchen, winzig kleine Bettbezüge aus einem Stoff mit Zirkusmotiven zu nähen, den Ordner von meiner Mutter mit Rezepten für Kindergerichte zu füllen und meinen wachsenden Bauch mit Nivea einzucremen.

Und nachdem ich Tomas zur Welt gebracht hatte, war ich überzeugt davon, dass keine andere Mutter ihr Kind jemals so geliebt hatte wie ich das meine. Dass meine Liebe absolut einmalig und originell war und ihresgleichen suchte. Ich glaube immer noch, dass ich damit recht hatte. Keine Elternliebe ist wie die andere. Wir lieben alle auf unsere ganz eigene Art. Das ist eines der wahren Mysterien der Liebe.

Wenn ich in der ersten Zeit nachts aufwachte, schlug ich immer Sekunden vor ihm die Augen auf, als wären wir immer noch miteinander verbunden. Er schlief im Korb für die Mangelwäsche, den ich innen ausgepolstert hatte, und glich einem kleinen eingepackten Vollmond, dick und weiß und rund. Ich spürte die klebrige Wärme seines Körpers, wenn ich ihn hochhob und an meine Brust legte. Die Saugblase an der Oberlippe. Das flaumige, rötliche, seidige Haar. Dass ich zu Hause blieb, verstand sich von selbst. Der Zeitgeist sah nichts anderes vor. Ich ging völlig in meiner Aufgabe auf und kaufte ein Buch mit dem Titel Die besten Hausfrauentipps. Darin hieß es, dass man jeden Lärm im Haus eliminieren sollte. Waschmaschine und Staubsauger sollten ausgeschaltet sein und die Kinder leise, wenn der Mann nach Hause kam. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ausgerechnet der Lärm einer der großen Stolpersteine in unserer Ehe werden sollte.

Ich hatte das Abendessen rechtzeitig fertig, bevor Horst nach Hause kam, wie es sich gehörte. Ich begrüßte ihn freundlich und ließ ihn reden, bevor ich etwas sagte, weil das, was er zu sagen hatte, wichtiger war. So stand es in meinem Buch.

Um meine Kreativität auszuleben, kaufte ich eine Garnitur Gartenmöbel für den Freisitz, die ich himbeerrot anmalte. Dort saß ich und trank Kaffee und las, während Tomas seinen Mittagsschlaf hielt. Manchmal vergaß ich fast, dass ich Mutter war, und wunderte mich, wer da schrie, wenn er wieder aufwachte.

An der Südseite unseres Hauses baute ich aus ein paar Pflanzkisten und übrig gebliebenen Fenstern ein kleines Gewächshaus. Dort zog ich Tomaten und Kräuter. Ich träumte von einem richtigen Gewächshaus und hob mir Prospekte auf und besorgte mir Lektüre über Belüftungsfenster und Gemüseanbau. Den Rasen mähte ich mit einem handbetriebenen Rasenmäher, und die Ränder schnitt ich sogar mit einer Schere, damit es richtig hübsch aussah. Horst war eher selten im Garten. Er ging meistens raus, wenn es Zeit zum Zurechtstutzen wurde: Dann schnitt er Zweige mit der Motorsäge ab oder warf Blaukorn auf das Unkraut in den Beeten.

Ganz unten an der Mauer pflanzte er eine Eibe, denn er hatte gelesen, dass das der allerletzte Schrei aus Amerika war. Ein rasch wachsender, dunkler, undurchdringlicher Baum, der die Sonne von Jahr zu Jahr mehr...