Schrift-Stücke - Biblische Miniaturen

von: Jürgen Ebach

Gütersloher Verlagshaus, 2011

ISBN: 9783641065768 , 288 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 15,99 EUR

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28 Kopftuch (S. 87-88)

Bekanntlich umstritten ist die Frage, ob das Kopftuch einer muslimischen Lehrerin den Schulfrieden stört und warum ein Kreuz an der Halskette einer anderen Lehrerin diesen nicht stört. Um eine die verschiedenen Aspekte dieser Kontroverse beleuchtende Abhandlung soll es hier nicht gehen. Aufmerksam gemacht sei aber auf eine bemerkenswerte Tatsache, welche die Begründung der Kopfbedeckung von Frauen in den Religionen betrifft, die auf der Geltung eines heiligen Buches gründen. Im Koran gibt es keine explizite Bestimmung, die das Tragen eines Kopftuchs fordert. Sie wird jedoch abgeleitet aus der v.a. in den Suren 24 und 33 formulierten Forderung, dass Frauen eine geziemende und Männer nicht aufreizende Kleidung zu tragen haben.

Im Judentum verhält es sich ähnlich. Ausgehend von einer Bemerkung im Jesajabuch (Jes 3,17) und einer möglichen Interpretation dieser Stelle wurde es als erniedrigend betrachtet, wenn Frauen ihre Haare zeigen. Darum tragen manche orthodox lebende jüdische Frauen im Gottesdienst oder auch ständig einen »Scheitl«, d.h. eine Perücke, oder ein »Tichl«, ein Kopftuch. Während es also weder im Koran noch im Alten Testament eine explizite Bestimmung über offene oder bedeckte Haare für Frauen gibt, verhält es sich im Neuen Testament anders. In 1 Korinther 11,2-16 formuliert Paulus Regeln für die Haartracht von Frauen (und Männern!) im Gottesdienst. Der griechische Text besagt in Vers 5, dass Frauen nicht mit »unverhülltem (akatakalypto) Haupt« erscheinen sollten. Vielleicht geht es dabei nicht um ein Kopftuch oder einen Schleier, sondern um aufgesteckte, d.h. nicht gelöste, wehende Haare.

Doch bleibt es auch dann bei dem eigentümlichen Umstand, dass sich die allermeisten christlichen Frauen (und Männer!) an diese Bestimmung nicht halten. Pointiert gesagt: Wenn jüdische und muslimische Frauen eine Kopfbedeckung tragen, halten sie sich an etwas, das so jedenfalls nicht explizit in der jeweiligen heiligen Schrift zu lesen ist. Wenn Christinnen in der Kirche ihr Haar offen tragen (oder wenn Männer lange Haare haben!), halten sie sich an etwas nicht, das durchaus in ihrer heiligen Schrift steht. Noch zugespitzter: Die entsprechenden Regeln gelten nur für diejenige der drei monotheistischen Religionen nicht, in deren verbindlichen Schrift sie eindeutig formuliert ist. Diese eigentümliche Asymmetrie lädt zu mancherlei Überlegungen ein.

Eine sollte sich auf die Notwendigkeit beziehen, im Diskurs mit anderen Religionen und deren z.T. heute schwer verständlichen Regeln und Normen die eigenen (eingehaltenen und nicht eingehaltenen) nicht zu vergessen. Eine andere bekommt damit zu tun, dass nicht allein die Frage, was in welchem heiligen Buch steht, die entscheidende ist, sondern wie sich die jeweiligen Religionen auf ihre heiligen Schriften beziehen. Wer die Bibel als kanonisches Buch wahrnimmt, d.h. als eine »Schrift«, deren Wortlaut nicht mit ihrem Sinn in eins fällt, deren Bedeutung vielmehr in der Auslegungs-und Diskussionsgemeinschaft dem Wortlaut je neu zu entnehmen ist, wird es in bestimmten Fällen nicht nur für erlaubt, sondern geradezu für geboten halten dürfen, dem Wortlaut eines Textes nicht zu folgen.

Das gilt gewiss in den Fällen, in denen – wie beim Beispiel der Haartracht – gegen eine Verwechslung von kulturellen Normen und Moden mit dem ewigen Willen Gottes zu streiten ist. Aber die Begründungspflicht liegt dabei mindestens auch bei denen, die aus guten Gründen dem, was die »Schrift« vorschreibt, nicht folgen, und nicht allein bei denen, die auf ihren Traditionen beharren. Ein Diskurs über die Frage nach dem Verhältnis von »Schrift« und Tradition und in ihm über die Formen eines friedlichen, von gegenseitigem Respekt getragenen Zusammenlebens von Menschen, die sich je unterschiedlich auf »Schrift und Tradition« beziehen, könnte dem Schulfrieden nützen – und nicht nur dem Schulfrieden.