Der Graf von Castelfino

Der Graf von Castelfino

von: Christina Hollis

CORA Verlag, 2010

ISBN: 9783942031868 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 2,99 EUR

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Der Graf von Castelfino


 

1. KAPITEL

Meg wurde von einem Rütteln geweckt und fand sich auf ihrem Sitz im Flugzeug wieder. Ihr Herz hüpfte vor Aufregung. Vieles war seit der Chelsea Flower Show geschehen, doch Gianni Bellinis Bild verfolgte Meg immer noch Tag und Nacht.

Inzwischen hatte sie einen Job in der Villa Castelfino in der Toskana bekommen. Nur durch den Reiz des Neuen konnte sie die Gedanken an ihn unter Kontrolle halten. Während der vergangenen Wochen war sie regelmäßig zwischen London und der Toskana hin und her gependelt, und von heute an durfte sie, die studierte Botanikerin aus England, sich als „Kuratorin exotischer Pflanzen“ beim Conte di Castelfino bezeichnen. Es war der offizielle Beginn ihrer Arbeit für den großen italienischen Arbeitgeber.

Obgleich voller Vorfreude, war Meg nervös. Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie weit von ihren Eltern entfernt leben. Sie war sich nicht sicher, ob sie allein mit ihrer Arbeit fertig werden würde. Als sie mit den anderen Passagieren das Flugzeug verließ, tröstete sie sich mit dem Gedanken, dass sie in der Ankunftshalle erwartet wurde. Franco, der Chauffeur, würde wie üblich für sie bereitstehen, um ihr mit dem Gepäck zu helfen.

Doch diese Gewissheit war dahin, als ihr Blick durch die Ankunftshalle schweifte. Franco war nirgendwo zu sehen. Besorgt überlegte sie, ob es auf Castelfino Probleme gegeben hatte. Während ihrer Arbeit dort hatte sie schon mitbekommen, dass der Conte di Castelfino nicht mit seinem Sohn zurechtkam. Noch nie hatte Meg il ragazzo, den Burschen – wie ihr aristokratischer Arbeitgeber seinen Erben nannte –, zu Gesicht bekommen. Doch was sie bis jetzt über ihn erfahren hatte, reichte aus, um ihn unsympathisch zu finden.

Der Conte di Castelfino liebte die abwechslungsreiche Landschaft seines Besitzes mit ihren Olivenhainen, knorrigen Eichen und den Blumenwiesen. Sein Sohn wollte dies alles in eine Monokultur verwandeln – nichts als schnurgerade Reihen mit Weinstöcken, soweit das Auge reichte. Wie es dann um die geliebte Pflanzensammlung des Conte bestellt sein würde, daran wollte Meg erst gar nicht denken. Das Leben auf Castelfino war ein ständiger Kampf zwischen der Erhaltung der natürlichen Schönheit und geschäftlichen Erwägungen. Das Hobby des alten Herrn drohte vom Ehrgeiz seines Sohnes zerstört zu werden.

Sie wartete noch eine Weile, doch niemand kam, um sie abzuholen. Ein schlechter Start für jemanden mit so viel Gepäck, dachte Meg. Die Zeit verstrich. Schließlich entdeckte sie einen Pfeil, der auf einen Taxistand deutete. Anstatt nur voller Sorge herumzustehen und zu warten, ergriff sie die Initiative. Sie schob ihren Transportkarren vor sich her und blickte nervös in alle Richtungen, auf der Suche nach einem freien Taxi. Als sie endlich erschöpft in einem Wagen saß, war sie einem Nervenzusammenbruch nahe.

Offensichtlich kannte der Fahrer die Adresse, die Meg ihm nannte. Unverzüglich folgte ein verzückter Wortschwall auf Italienisch. Erleichtert registrierte sie, dass wenigstens etwas funktionierte. Sie versuchte, ihre Lage zu schildern, scheiterte aber an ihrem unzureichenden italienischen Wortschatz, den sie nur ein einziges Mal im Urlaub benutzt hatte. Der Fahrer fand die ganze Sache offenbar sehr komisch. Unfähig, ihn zu verstehen, fühlte sie sich allein gelassen und vergrub sich in ihren Sitz.

Was der attraktive Gianni wohl gerade macht? Eines ist sicher: Man hat ihn bestimmt noch nie auf einem Flughafen warten lassen oder sogar versetzt!

Meg seufzte. Ob sie ihn wohl jemals wiedersehen würde? Wohl kaum. Sie konnte nur hoffen, dass es ihr gelang, den Conte di Castelfino zu überreden, auf einer der großen Gartenschauen in London eine Ausstellung seiner eigenen Züchtungen zu arrangieren. In ihren Träumen sah sie Gianni Bellini dann auf der Suche nach weiteren Überraschungen für seinen Harem hinter den Pflanzen aus Castelfino herjagen.

Auch während der Taxifahrt erging sie sich weiter in Träumereien. Wie es wohl wäre, von diesem Charmeur verführt zu werden? Kein Wunder, dass er so viele Frauen im Schlepptau hat, dachte sie. Sein Lächeln hatte sie fast um den Verstand gebracht. Ihr gesunder Menschenverstand riet ihr, sich Männer wie Signore Bellini vom Hals zu halten. Ein Hauch Verruchtheit jedoch geisterte durch ihre Tagträume. Es war schließlich nicht verboten, seinen Fantasien freien Lauf zu lassen.

Auch Gianni durfte das …

Während Meg vor sich hin döste, kämpfte der Mann ihrer Träume mit seinen Dämonen. Dämonen, die in einer Kristallkaraffe steckten. Gianni Bellini war sich durchaus bewusst, dass Alkohol keine akzeptable Lösung darstellte. Er würde ihn nur träge machen. Eine lange Zeit ohne Schlaf war schon unbekömmlich genug, Alkohol würde den Zustand nur noch verschlimmern. Nicht nur für ihn, sondern auch für das Personal, das er übernommen hatte. Also entschied er sich dagegen.

„Darf ich Ihnen etwas Champagner servieren, Conte?“ Ein livrierter Diener verbeugte sich unterwürfig. Dafür erntete er ein Knurren und die missgelaunte Geste seines neuen Herrn, die bedeutete, sich zu entfernen.

Knapp vierundzwanzig Stunden nach dem denkwürdigen Wandel in seinem Leben versuchte Gianni, immer noch damit zurechtzukommen, was in den letzten Tagen geschehen war. Es war seine Bestimmung, das hatte er gewusst, seit er denken konnte. Schon immer hatte er einen starken Freiheitsdrang besessen und sich finanziell abgesichert, um nicht auf ererbtes Vermögen angewiesen zu sein. Er hatte eine brillante eigene Karriere gemacht.

Zu Lebzeiten seines Vaters war Giannis kleines Weingut in einen entfernten Winkel von Castelfino verbannt gewesen. Das sollte sich nun ändern. Gianni war ab sofort der Alleinherrscher, sein eigenes Unternehmen würde nun eine zentrale Rolle einnehmen. Überall war bekannt, er war von der Idee besessen, Castelfino zu einem exklusiven Weingut mit internationaler Reputation auszubauen.

Nun, da er das gesamte Land und Vermögen seines Vaters geerbt hatte, gab es für ihn kein Halten mehr. Jeder dafür geeignete Quadratzentimeter sollte zum Weinanbau genutzt werden. Raketengleich würde die Produktion gesteigert werden, und raketengleich würde sich damit auch Giannis Ehrgeiz steigern. Er gefiel sich in der Rolle des Selfmade-Millionärs, und sein Playboy-Image war ein immaterieller Aktivposten. Es war angenehm, jede Nacht eine andere Frau im Bett zu haben, ein Vorteil, den seine Stellung mit sich brachte.

Während Klatschreporter darüber spekulierten, welche seiner schönen Gefährtinnen den nächsten Bellini-Erben produzieren würde, behielt Gianni das Wissen um seine wahre Liebe jedoch für sich. Sein Baby war das Weingut Castelfino. Was Nachwuchs anbelangte … Damit wollte Gianni nichts zu tun haben. Seine eigene Kindheit war durch seine Eltern, die sich ständig bekriegt hatten, zur Hölle geworden. Er bekam Bauchschmerzen bei dem Gedanken, so etwas einem unschuldigen Kind anzutun.

Eine Bewegung außerhalb des Speisezimmers erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Wagen näherte sich dem Herrenhaus, wobei er eine ordentliche Staubwolke aufwirbelte. Giannis Augen wurden schmal vor Zorn. Gerade jetzt konnte er keine Gäste gebrauchen. Verärgert rappelte er sich hoch. Er litt zwar unter Schlafmangel, doch sein Gehirn funktionierte noch. Ganz anders als seine Gliedmaßen. Die schienen wie in Beton gegossen.

Steif durchquerte er den Raum und trat durch die Doppelflügeltür hinaus auf die Terrasse. Immer noch gab es Menschen, die seinem verblichenen Vater ihren Respekt erweisen wollten, und er hatte ihnen gegenüber eine Verpflichtung. Also schloss er die Augen und überlegte, was er sagen würde.

Es war ein typischer Herbstnachmittag, wie man ihn in der Toskana kannte. Kein Blatt bewegte sich. Ein einzelner Vogel zwitscherte sein monotones Chip-Chip. Es klang, als ob zwei Steine aneinanderschlagen würden. Das einzige andere Geräusch stammte von dem Wagen, der in gleichmäßigem Tempo die gewundene Auffahrt hochkam, direkt auf Gianni zu.

Der Fahrer machte einen eleganten Bogen und hielt vor dem Hauptportal. Verblüfft öffnete Gianni die Augen und erkannte, dass es keine protzige Limousine war, sondern ein normales Funktaxi. Ihm blieb nicht einmal genug Zeit, schockiert zu sein, als der Fahrer schon aus dem Auto sprang, einen kurzen Gruß herüberrief und den Gepäckraum öffnete.

Ungläubig sah Gianni zu, wie sich eine Flut von Koffern in den Staub ergoss, während der Fahrer mit dem unsichtbaren Fahrgast eine fröhliche Konversation führte. Die ganze Zeit dudelte das Autoradio laut vor sich hin.

Kein Mensch hatte während der letzten Tage auf Castelfino die Stimme erhoben. Die Jalousien waren geschlossen geblieben. Nun aber wurde es dahinter lebendig. Giannis Personal war durch den unerwarteten Lärm alarmiert. Ein Küchenjunge eilte herbei, um mit anzupacken. Während er sich um den Fahrer kümmerte, erlitt der frischgebackene Graf einen weiteren Schock.

Die hintere Tür des Taxis öffnete sich, und die schönste Frau der Welt kletterte aus dem Wagen. Ihr Rock, ohnehin schon kurz, war hochgerutscht und bot einen Blick auf ihre langen, wohlgeformten Beine. Dunkelblondes Haar fiel über ihre Schultern und schimmerte im gedämpften Licht der Herbstsonne. Die junge Frau wirkte irgendwie leicht benommen. Als sie sich streckte, schwankte sie ein wenig und musste sich gegen das Auto lehnen. Der Kontrast zwischen dem klimatisierten Taxi und der herbstlichen...