Sehnsüchtige Träume am Mittelmeer

Sehnsüchtige Träume am Mittelmeer

von: Marion Lennox

CORA Verlag, 2010

ISBN: 9783862950782 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,49 EUR

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Sehnsüchtige Träume am Mittelmeer


 

2. KAPITEL

Ein Märchenprinz stand an Elsas Strand.

Das türkisblaue Meer glitzerte im hellen Sonnenlicht. Seit Monaten hatte sich das Wasser bei Ebbe nicht mehr so weit zurückgezogen. Geblieben waren unzählige Gezeitentümpel, die nur so vor Kleinstlebewesen wimmelten.

Sie waren weit hinausgeschwommen, bis zu der Boje, die anzeigte, dass der Meeresboden an dieser Stelle steil abfiel. Eine Schule Delfine hatte ihnen neugierig dabei zugesehen, wie sie nach Seesternen getaucht waren. Später hatten Elsa und Zoe sich träge im flachen Wasser treiben lassen. Nichts linderte den Schmerz in Elsas Hüfte besser, als wenn sie sich in Rückenlage von den Wellen tragen ließ. Anschließend hatten sie sich Kronen aus Seegras gebastelt, und nun marschierten Königin Elsa und ihre Hofdame Zoe über den Strand zurück zum Haus. Es war Zeit fürs Essen und einen Mittagsschlaf.

Dann sahen sie den Prinzen. Er hatte keine Seegraskrone auf dem Kopf.

Einen Moment lang glaubte Elsa, sich zu lange in der Sonne aufgehalten zu haben. Der Mann sah wirklich aus, als wäre er Zoes Märchenbuch entstiegen. Er trug eine perfekt sitzende schwarze Uniform mit purpurroten Schulterklappen, Litzen und Orden. Die Jacke und die obersten Hemdknöpfe unter der gelockerten Krawatte standen offen, was ihn erstaunlicherweise nur noch fürstlicher wirken ließ.

Ein Prinz, der sich lässig gab?

Mit einer raschen Bewegung nahm sie sich den selbst gebastelten Kopfschmuck ab und registrierte verwundert, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief.

Zoes Vater hatte in ständiger Furcht vor dem König seiner Inselheimat gelebt. Doch die Berichte von schlimmen Ereignissen, die sie aus Christos’ Mund kannte, waren Elsa immer übertrieben vorgekommen.

„Sieh mal“, sagte Zoe verwirrt und griff nach ihrer Hand. Ob sie sich ebenfalls noch an die Erzählungen ihres Vaters erinnerte?

Vielleicht genügte aber auch der Anblick eines Mannes in Uniform, um sie zu erschrecken.

„Ja, ich habe ihn gesehen“, erwiderte Elsa. „Glaubst du, er ist aus deinem Dornröschenbuch abgehauen?“

Zoe kicherte.

Gut, dachte Elsa. Ich werde nicht zulassen, dass jemand dem Kind Angst einjagt.

„Vielleicht will er zu uns. Vielleicht kommt er von Khryseis.“ Zoes Stimme hatte einen leicht besorgten Unterton angenommen.

„Möglich.“ Keiner von ihnen kannte die Heimatinsel von Zoes verstorbenem Vater, die, soweit Elsa sich erinnerte, von einem korrupten König regiert wurde.

Und dieser Mann? War er der Prinz? Er kam ihnen nun quer über den Strand entgegen. Groß, tief gebräunt und umwerfend attraktiv. Elsa blieb stehen und drückte Zoes Hand, um sie zu beruhigen.

Jeder andere hätte in der gleichen Situation lächerlich gewirkt. Nicht so der Fremde. Maskulin, mit markanten Zügen und dunklen Augen, die nichts preisgaben, machte er einen würdevollen und gebieterischen Eindruck.

Und dann lächelte er. Elsa grub die Zehen in den Sand. Ein leichter Schwindel überfiel sie. Beherrsch dich! Halt deine Hormone im Zaum!

Sie rang sich ein dünnes Lächeln ab. Seines hingegen wirkte aufrichtig. Dann blickte er zu Zoe hinab, und das Lächeln erstarb. Elsa war darauf gefasst. Jeder, der Zoe zum ersten Mal sah, reagierte so.

Instinktiv zog sie das Mädchen näher an sich heran und wartete auf den üblichen erschrockenen Ausruf. Sie konnte es dem Kind nicht ersparen. Ihre eigenen Narben waren nicht auf den ersten Blick erkennbar, doch Zoes sprangen direkt ins Auge.

Doch die erwartete Reaktion blieb aus. „Zoe.“ Die Stimme des Mannes klang warm und herzlich. „Du musst Zoe sein. Du bist deinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.“

Elsa wusste ebenso wenig wie Zoe, was sie darauf sagen sollte. Sie standen in der gleißenden Sonne, während Elsa versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Sie fühlte sich dumm, fehl am Platz. Völlig zu Unrecht. Sie befanden sich an einem australischen Strand, und wenn hier jemand nicht hinpasste, dann war es der Fremde in seiner Uniform.

„Es tut mir leid“, sagte er, als hätte er ihre Gedanken erraten. „Ich weiß, ich sehe sonderbar aus. Ich musste ein paar Gefälligkeiten einfordern, um Sie zu finden. Im Gegenzug wurde von mir erwartet, dass ich bei meiner Ankunft an einem Empfang teilnehme. Leider hat die Presse herausgefunden, in welchem Hotel ich abgestiegen bin. Hätte ich mich nach dem Empfang dort blicken lassen, um mich umzuziehen, wäre man mir hierher gefolgt. Und das wollte ich Ihnen ersparen.“

Elsa schluckte. Das musste sie erst einmal verdauen. Handelte es sich bei dem Fremden also tatsächlich um einen Prinzen? Sollte sie sich vor ihm verbeugen?

Niemals!

„Und wer sind Sie?“, fragte sie schließlich, während Zoe den Mann schweigend betrachtete.

„Ich bin Stefanos. Der Prinzregent von Khryseis.“ Er wandte sich Zoe zu. „Unsere Großväter waren Brüder. Ich bin der Cousin deines Vaters. Also bist du mehr oder weniger auch meine Cousine.“

Zoe hatte Verwandte? Elsa spürte, wie ihre Knie nachzugeben drohten.

Der Mann sprach mit einem griechischen Akzent, nicht stark, aber wahrnehmbar. Was für sich genommen noch gar nichts bewies.

„Christos hatte keinen Cousin“, behauptete sie aufs Geratewohl. „Ich habe nie von einem gehört.“

„Und ich wurde nicht davon unterrichtet, dass Christos umgekommen ist“, erwiderte der Fremde sanft. „Es tut mir so leid, Zoe. Ich habe deinen Vater und deine Großmutter sehr gut gekannt. Ich hätte den Kontakt aufrechterhalten sollen. Dann wäre ich für dich da gewesen, als du mich so dringend brauchtest.“

Elsa spürte, wie sie zu zittern begann. Zoe hatte nur sie. Und wenn sie ehrlich war, so hatte auch sie seit vier Jahren niemanden mehr außer Zoe.

„Sie können sie nicht haben.“ Es war ihr herausgerutscht, bevor sie nachdenken konnte. Und ihre Panik wirkte ansteckend. Sie bemerkte, wie Zoe sich sofort versteifte.

„Ich gehe nicht mit Ihnen“, flüsterte die Kleine, und dann wurde ihre Stimme schrill. „Nein, nein, niemals!“ Sie vergrub ihr Gesicht in Elsas T-Shirt und begann hemmungslos zu schluchzen. Elsa hob das Kind hoch und drückte es fest an sich.

Und Stefanos … oder wie auch immer er heißen mochte … blickte sie beide verwundert an.

„Nicht schlecht“, bemerkte er trocken. „Übertreiben Sie nicht etwas?“

Vermutlich hat er recht, dachte sie, ohne Zoe loszulassen. Aber sie war nicht bereit, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen.

„Sie finden, dass wir übertreiben?“, fragte sie spitz. „Der Märchenprinz am Strand von Queensland?“ Sie sah an ihm vorbei zu der Limousine, mit der er gekommen sein musste. Ein Bentley, sogar mit Chauffeur. Nein, ihre Reaktion war durchaus angemessen. „Sie machen Zoe Angst. Und mir auch.“

„Das hatte ich nicht vor.“

„Und was haben Sie dann vor?“

Sie hielt Zoe immer noch fest an sich gedrückt. Das Mädchen wischte sich mit der Hand über die Augen und drehte sich zu dem Fremden um. Es war viel zu klein und dünn für sein Alter. Die vielen Operationen waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen.

„Ich denke, wir sollten uns erst einmal richtig bekannt machen“, meinte Elsa, nachdem sie ihre Fassung wiedererlangt hatte.

„Hallo“, flüsterte Zoe.

„Hallo.“ Stefanos schüttelte dem Mädchen die Hand.

Dann richtete er sein Augenmerk auf Elsa. „Und Sie müssen Mrs. Murdoch sein.“

„Sie heißt Elsa“, wurde er von Zoe berichtigt.

„Gut, dann also Elsa, wenn es Ihnen recht ist“, sagte Stefanos, ohne ihren Blick loszulassen. Mit Zoe auf dem Arm konnte sie ihm nicht die Hand reichen, wie sie erleichtert feststellte. Doch dieser Mann war auch ohne Körperkontakt beunruhigend genug.

Wie sollte es nun weitergehen? Konnte man einen Prinzen auf eine Tasse Tee einladen, oder erwartete er ein Zwölf-Gänge-Menü?

„Wohnen Sie hier?“, fragte er immer noch mit sanfter Stimme. Es befand sich nur ein Gebäude in Sichtweite. Ihr Bungalow, eine armselige, heruntergekommene Bude. „Ist das Ihr Haus?“

„Ja.“

„Kann ich reinkommen, damit wir uns unterhalten können?“

„Ihr Chauffeur …“

„Dürfte ich Sie darum bitten, mir später ein Taxi zu rufen? Ich lasse meinen Fahrer nicht gern warten.“

„Es gibt hier kein Taxi.“

„Oh.“

Was nun? Sie gab sich einen Ruck. „Ich habe einen Wagen und fahre Sie gern zurück in die Stadt. Es dauert nur fünfzehn Minuten. Normalerweise bin ich nicht so abweisend. Die Situation ist nur sehr ungewöhnlich.“

„Natürlich.“ Erneut schenkte er ihr ein Lächeln, bei dem ihr ganz schummrig wurde. „Ich möchte mich Ihnen aber keinesfalls aufdrängen.“

„Wenn Ihnen ein einfaches Sandwich genügt, können Sie gern mit uns essen“, sagte sie bedächtig. „Und natürlich bringe ich Sie später zu Ihrem Hotel. Schließlich sind Sie Christos’ Cousin.“

„Dann kann ich ja kein ganz übler Kerl sein“, bemerkte er mit leiser Ironie, und sie errötete.

„Ich habe sehr an Christos gehangen“, erklärte sie. „Und an Amy. Zoes Eltern waren meine besten Freunde.“ Sie brachte ein kleines Lächeln zustande. „Um ihretwillen sind Sie mir willkommen.“

Das Haus war in die Jahre gekommen. Es hätte dringend einen neuen Anstrich gebraucht. Auch wirkte das Gebäude, als würde es...