Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse

Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse

von: Terri Brisbin

CORA Verlag, 2010

ISBN: 9783862950560 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 3,99 EUR

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Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse


 

2. KAPITEL

Edinburgh, Schottland

Anna Fairchild schritt rasch über die Brücke, die den Fluss Leith überspannte, um von Stockbridge zur New Town zu gelangen. In ihrer Eile, das Büro der „Scottish Monthly Gazette“ zu erreichen, ließ sie sich kaum Zeit, die Grüße jener Bekannten zu erwidern, denen sie auf ihrem Weg zur Frederick Street begegnete. An einem anderen Tag würde noch genug Muße sein, mit ihnen zu plaudern, doch der heutige war dafür zu wichtig – er konnte über den Erfolg oder das Scheitern ihrer Bemühungen entscheiden.

Heute befand sich die letzte Ausgabe der „Gazette“ an allen Verkaufsstellen in Edinburgh und London. A. J. Goodfellows Erzfeind Lord Treybourne hatte wahrscheinlich schon die Antwort auf seinen Artikel gelesen und war sicher noch ganz benommen von dem unvermuteten Schlag. Dieses Mal hatte Goodfellow den Earl persönlich aufs Korn genommen, und Anna konnte das Ergebnis kaum erwarten. Allerdings war sie nicht ganz so sicher, wie Nathaniel sich verhalten würde.

Der sonst dreißigminütige Weg von der Ann Street, in der sie mit ihrer Tante und Schwester wohnte, bis zum Büro an der Ecke George und Frederick Street, verging heute wie im Flug. Als sie ihr Ziel erreichte, war sie völlig außer Atem. Nathaniel sprach gerade mit seinem Sekretär. Schnell nahm Anna Pelisse und Hut ab und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich beim schnellen Gehen aus dem strengen Knoten in ihrem Nacken gelöst hatte.

Geistesabwesend nickte sie den beiden Schreibkräften zu, die bereits emsig die eingehende Leserpost sortierten. Vielleicht war es vermessen, aber sie war davon überzeugt, dass dieses ungewohnte Interesse an dem gestrigen Artikel liegen musste, den sie trotz Nathaniels Bedenken hatte drucken lassen.

„Ich sehe den Stolz in deinen Augen, Anna.“ Nathaniel stand plötzlich neben ihr an der Tür.

„Findest du es unziemlich?“, fragte sie und versuchte, ihren Triumph zu unterdrücken. „Wir wollten doch mehr Aufmerksamkeit für unsere Zeitung, und wie es aussieht …“, sie wies auf die emsigen Herren Lesher und Wagner, „… ist es uns auch gelungen.“

„Aber zu welchem Preis?“ Er seufzte. „Ich erhielt heute eine Einladung, vor einigen Führern der Whig-Partei eine Stellungnahme zu dem jüngsten Artikel abzugeben.“

„Freust du dich denn nicht, Nathaniel? Es war doch Teil unseres Plans, dass man auf dich aufmerksam werden und dich als Kandidat für die nächsten Wahlen aufstellen soll. Jetzt wirst du dir langsam einen Namen machen, und am Ende gewinnst du vielleicht sogar einen Gönner. Eines Tages wirst du mit unserem größten Gegner im Unterhaus debattieren können.“

„Mit Trey?“

„Mit Trey?“, wiederholte sie verwundert. Bis jetzt hatte er noch nie diesen vertraulichen Spitznamen für Lord Treybourne benutzt.

„Wir waren zusammen in Eton und Oxford. Ich dachte, ich hätte es dir gesagt.“

Anna unterdrückte die Worte, die ihr als Allererstes in den Sinn kamen und die einer wohl erzogenen Dame wie ihr nicht anstanden, und erwiderte stattdessen nur: „Nein, Nathaniel, obwohl es bestimmt sehr nett gewesen wäre, wenn du es getan hättest.“

Ihr gereizter Ton erregte die Aufmerksamkeit der Schreibkräfte, des Sekretärs und mehrerer Besucher und Lieferanten, die sich gerade in der Redaktion aufhielten. Anna senkte sittsam den Blick. Sie durfte auf keinen Fall gefährden, wofür sie so lange und so angestrengt gearbeitet hatten. Nathaniel hielt ihr die Tür auf, und Anna betrat sein Büro.

Kaum hatte er die Tür hinter ihnen geschlossen, begann er: „Anna, ich bin sicher, ich habe es erwähnt, als wir beschlossen, auf seine Artikel zu reagieren.“ Er trat hinter seinen Schreibtisch und wartete, bis sie ihm gegenüber Platz genommen hatte. „Genauso wie ich dagegen war, seinen Namen so früh in dieser Kampagne zur Sprache zu bringen.“

Nathaniel nannte ihr Unterfangen eine „Kampagne“, und Anna war sehr zufrieden mit dieser Bezeichnung. Denn es musste sicherlich wie eine Art Feldzug betrachtet werden, was sie hier begonnen hatten – wenn auch kein militärischer, so doch ein moralischer und wirtschaftlicher. Sie dachte kurz nach. „Wird Lord Treybourne Vergeltung üben? Vielleicht sogar finanzielle?“

„Das glaube ich nicht“, erwiderte er. „Der Familiensitz der Lansdales befindet sich in Dursby im Westen Englands. Sie besitzen überall in England Land, sogar ein wenig hier in Schottland. Es gibt nichts, was ihnen hier reizvoll genug erscheinen könnte, dass es sich für sie lohnen würde, uns anzugreifen. Aber …“

„Aber?“ Nathaniel war für gewöhnlich kein Schwarzseher, einer der Gründe, weswegen sie seine Meinung zu schätzen wusste.

„Wenn ich mich recht erinnere, war Lord Treybourne nie ein so verknöcherter Moralapostel, als wir noch zusammen studierten. Seine Haltung erstaunt mich, und deswegen ist er für mich auch unberechenbar.“

„Nun ja, das Leben auf der Universität lässt sich wohl nicht als Maßstab nehmen. Ich habe gelesen, selbst Studenten der Theologie lassen sich von den Versuchungen dort mitreißen“, sagte Anna lächelnd. „Der Marquess of Dursby vertrat schon immer die Position der Tories. Da finde ich es nur natürlich, dass sein Sohn ihm darin folgt.“

„Sieh dir doch den Prinzregenten an. Der war fast nie einer Meinung mit seinem Vater“, konterte Nathaniel. „Und wieso liest du eigentlich Texte über die Beschäftigungen junger Männer an der Universität?“

„Meine Lektüre, abgesehen von der der ‚Gazette‘, geht dich gar nichts an.“

Obwohl seine grünen Augen einen Moment ernst blickten, lächelte Nathaniel schließlich. „Würde es aber, wenn du endlich meinen Heiratsantrag annehmen wolltest.“

Anna senkte betreten den Blick. „In der Hinsicht hat sich nichts geändert, Nathaniel. Du weißt, du und Clarinda seid meine liebsten Freunde. Ich könnte niemanden höher schätzen als euch. Doch ich möchte keine Ehe eingehen.“

Sie hatte geglaubt, dass er sich keine Hoffnungen mehr machte, deswegen überraschte sie sein neuer Antrag.

Er nickte und lächelte. „Ich denke, du versuchst lediglich, die Kontrolle zu vermeiden, die dein Gatte über dich hätte. Sicherlich würde er deine Arbeit hier und in der Schule einschränken und natürlich dein Geld kontrollieren“, fügte er hinzu. „Das fürchtest du wohl am meisten.“

Nathaniel ahnte nicht, wie nahe er der Wirklichkeit damit kam. Anna kämpfte seit Jahren darum, ihre Familie nach dem Tod ihres Vaters und der Krankheit ihrer Mutter zusammenzuhalten. Die Erziehung, die sie selbst in einer Schule für vornehme junge Mädchen in der Nähe von Edinburgh genossen hatte, ermöglichte es ihr, sie durch diese schwierigen Jahre hindurch zu ernähren. Als ihre Mutter starb, erbte Anna eine unerwartete, wenn auch relativ bescheidene Summe Geldes, von der sie einen Teil in Nathaniels Traum investieren konnte – eine monatliche Zeitschrift. Jetzt lebten sie beide von diesem zunehmend erfolgreichen Unternehmen und schafften es zudem noch, den Armen und Bedürftigen in der Gegend zu helfen.

„Wollen wir zu unserem Thema zurückkehren, Nathaniel? Lord Treybourne“, fügte sie trocken hinzu. „Fürchtest du, er könne uns schaden wollen? Oder ist es nur deine übliche Sorge, wie bei jeder neuen Ausgabe?“

„Ein wenig von beidem, Anna. Der Trey, den ich damals kannte, war immer sehr direkt, wenn er sein Missfallen ausdrücken wollte. Falls er glaubt, ich sei zu weit gegangen, wird er sich ohne Umschweife mit mir in Verbindung setzen. Und was die neue Ausgabe angeht, ist es mir eine Freude, dir mitzuteilen, dass die Subskriptionen im Vergleich zum letzten Monat um zehn Prozent gestiegen sind.“

Schnell errechnete sie den Betrag, den ihnen das einbringen würde, und lächelte. „Großartige Nachrichten!“

„Ich habe die Zahlen. Du kannst sie dir ansehen, wann immer du willst.“

„Das ist nicht nötig.“ Sie zweifelte nicht an seiner Ehrlichkeit, sondern nur an seiner Bereitschaft, ihren gemeinsamen Plan – ihre Kampagne – bis zum Ende durchzuführen. Die Beweggründe für die Arbeit an dieser Zeitschrift waren bei beiden verschieden, doch gemeinsam würden sie ihre Ziele erreichen.

„Nathaniel, ich glaube, du solltest nach London gehen.“

Er runzelte die Stirn. „Ja? Aber Clarinda und Robert kommen nächste Woche zu Besuch.“

Anna stand auf und trat ans Fenster, den Blick auf das rege Treiben auf der Straße vor der Redaktion gerichtet, doch in Gedanken ganz woanders.

„Sicher wäre es besser, bis nach Clarindas Besuch zu warten. Lord Treybourne wird diese Woche wohl noch damit beschäftigt sein, auf Mr. Goodfellows Artikel zu antworten. Du suchst ihn am besten dann auf, wenn es am vorteilhaftesten für dich ist. Dann redest du über Dinge mit ihm, über die Gentlemen so reden, und verabschiedest dich, sobald du deine Meinung kundgetan hast.“

Nathaniel musste lachen. „Über die Gentlemen so reden, was? Willst du mir nicht lieber eine Liste geben und mir die Meinung klarmachen, die ich kundgeben soll?“

„Du nimmst mich auf den Arm, Nathaniel. Ich vertraue da ganz auf dein Geschick, mit dem selbstherrlichen Lord Treybourne fertig zu werden.“

Zu ihrem Ärger lachte er nur noch heftiger, bis ihm die Tränen kamen.

„Oh, Anna“, sagte er und wischte sich die Augen. „Du hast doch keine Vorstellung davon, was dir bevorsteht, sollte der Earl of Treybourne sich tatsächlich von dir herausfordern lassen....