Sternenstaub - Roman

von: Nora Roberts

Blanvalet, 2017

ISBN: 9783641189594 , 480 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Sternenstaub - Roman


 

1

Wenn ein Mann nicht sterben konnte, hatte er nicht viel zu fürchten. Und nachdem er während seines langen Lebens als Soldat die eine um die andere Schlacht geschlagen hatte, schreckte ihn nicht einmal der Gedanke, gegen eine Göttin in den Krieg zu ziehen. Zwar war er von Natur aus eher ein Einzelgänger, aber als Soldat war ihm bewusst, dass er den Menschen, die an seiner Seite kämpften, unbedingte Treue schuldig war.

Der Mann, der Einzelgänger, der Soldat, der hatte miterleben müssen, wie sein kleiner Bruder einer dunklen Zaubermacht erlegen war, und dessen eigenes Leben durch den Kampf gegen die kranke Gier einer verrückten Göttin ein für alle Mal aus dem Gleichgewicht geraten war, war sich des Unterschiedes zwischen Licht und Dunkel hinlänglich bewusst.

Er hatte keine Angst davor, noch blutend von der letzten Schlacht von einem Mitstreiter durch Raum und Zeit katapultiert zu werden, aber wirklich angenehm war diese Art des Reisens nicht.

Durch den wild wirbelnden Wind hindurch, geblendet von dem gleißend hellen Licht und trotz des Tempos, bei dem ihm der Atem stockte (auch wenn es ihn zugegebenermaßen gleichzeitig berauschte), spürte er, dass die Kameraden dicht an seiner Seite waren. Der größte Zauberer, dem er während seines langen Lebens je begegnet war. Die Seherin, die gleichzeitig das Band war, das den Trupp seit Monaten zusammenhielt. Die charmante, mutige, herzensgute und vor allem mehr als ansehnliche Meerjungfrau. Der Reisende, der mutig und loyal und obendrein ein Meisterschütze war. Und nicht zuletzt die Frau, die sich in einen Wolf verwandelt hatte, als direkt vor ihrer überstürzten Abreise der Vollmond aufgegangen war.

Eilig hatten sie die Schönheit Capris und die dort geschlagenen Schlachten hinter sich gelassen, doch das laute Heulen, das die Wolfsfrau ausstieß, klang nicht ängstlich, sondern kündete vom selben atavistischen Vergnügen an dem Flug durch Raum und Zeit, wie er selbst es empfand.

Wenn sich ein Mann verbünden und sein eigenes Schicksal an die Schicksale von anderen knüpfen musste, hätte er es deutlich schlechter treffen können als mit diesen fünf.

Dann roch er plötzlich Irland – feuchtes Gras und Grün –, und seine Aufregung verflog. Kalt und hinterhältig hatte ihn das Schicksal an den Ort zurückgezwungen, wo sein Herz und sein Leben vor so langer Zeit zerbrochen waren.

Noch während er sich dafür wappnete zu tun, was er tun müsste, fielen sie wie Steine auf die Erde.

Und auch wenn ein Mann nicht sterben konnte, spürte er den Schmerz des Aufpralls, dessen Wucht ihm kurzfristig den Atem raubte und der seine Knochen hörbar klappern ließ.

»Verdammt, Sawyer, was sollte das?«

»Tut mir leid«, stieß Sawyer irgendwo zu seiner Linken pfeifend aus. »Das Navigieren mit so vielen Leuten ist eben nicht leicht. Ist irgendwer verletzt? Annika?«

»Es geht mir gut. Aber du selbst bist verletzt. Du bist geschwächt«, stieß sie mit ihrem melodiösen Singsang hervor.

»Das ist nicht weiter schlimm. Du blutest.«

»Aber nur ein bisschen«, klärte ihn die Meerjungfrau mit einem sonnenhellen Lächeln auf.

»Vielleicht sollten wir es nächstes Mal mit Fallschirmen versuchen«, schlug die Seherin den anderen stöhnend vor.

»Schon gut. Komm her.« Der Zauberer zog Sasha eng an seine Brust.

»Bist du verletzt?«

»Nein, nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ein paar Schürfwunden und blaue Flecke. Und obwohl ich mich inzwischen hätte dran gewöhnen sollen, war die Landung wieder mal ein Schock für mich. Riley? Wo ist Riley?«

Doyle versuchte, sich vom Boden abzudrücken, presste seine Hand dabei in raues Fell und zog sie, als das Fell vernehmlich knurrte, schnellstmöglich zurück.

»Hier.« Er lenkte den Blick auf ein Paar goldener Augen, die zu Dr. Riley Gwin gehörten, die zum einen eine angesehene Archäologin und zum anderen … eine Wolfsfrau war. »Versuch ja nicht, mich zu beißen«, raunte er ihr leise zu und wandte sich dann an die anderen. »Es geht ihr gut. Wie sie gesagt hat, heilen ihre Wunden, wenn sie Wölfin ist, besonders schnell.«

Er rappelte sich auf und stellte fest, dass Sawyer trotz der wenig sanften Landung durchgekommen war. Waffenkisten, Koffer, sorgfältig verschlossene Kartons mit Büchern, Karten sowie anderen essenziellen Gegenständen waren ein paar Meter entfernt im kühlen, feuchten Gras zu einem halbwegs ordentlichen Stapel aufgetürmt.

Und – am wichtigsten für ihn – auch sein Motorrad stand aufrecht und vollkommen unbeschädigt da.

Zufrieden streckte er die Hand in Sawyers Richtung aus und zog ihn hoch.

»Nicht schlecht.«

»Nicht wahr?« Sawyer fuhr sich mit den Fingern durch das windzerzauste, von der Sonne ausgebleichte Haar und grinste, als er Annika ein Stückchen weiter fröhlich Räder schlagen sah. »Anscheinend hat zumindest eine von uns Spaß an diesem Flug gehabt.«

»Du hast deine Sache wirklich gut gemacht.« Bran klopfte Sawyer anerkennend auf die Schulter. »Dabei war es sicher alles andere als leicht, sechs Leute und das ganze Zeug innerhalb von wenigen Minuten übers Meer und durch den Himmel bis hierher zu transportieren.«

»Weshalb mir jetzt der Schädel brummt.«

»Und mehr.«

Bran griff nach Sawyers Händen, die Nerezzas wild fliegendes Haar umklammert hatten, während er mit ihr davongeflogen war. »Aber das und alles andere kriegen wir auf alle Fälle wieder hin. Am besten bringen wir erst mal Sasha rein. Sie ist ein bisschen zittrig.«

»Mir geht’s gut«, erklärte sie, stand aber trotzdem immer noch nicht auf. »Mir ist nur ein bisschen schwindlig. Bitte nicht«, bat sie und schob sich auf den Knien auf Riley zu. »Noch nicht. Sie möchte rennen, also sollten wir als Erstes gucken, wo wir überhaupt gelandet sind.«

»Lass sie einfach laufen. Hier in dieser Gegend kann ihr nichts passieren.« Bran half Sasha auf die Beine und sah Riley an. »Die Wälder hier gehören mir und jetzt auch dir.«

Eilig lief die Wölfin los und verschwand im dichten Unterholz.

»Sie könnte sich verlaufen«, setzte Sasha ängstlich an.

»Sie ist eine Wölfin«, widersprach ihr Doyle. »Ich gehe also davon aus, dass sie sich besser als wir anderen orientieren kann. Sie hat sich verwandelt, als wir losflogen sind, und braucht erst einmal einen Augenblick für sich. Vor allem kann sie selbst auf sich aufpassen, egal, ob Wölfin oder Frau.«

Damit kehrte er dem Wald den Rücken zu, in dem er selbst als Kind herumgelaufen, später auf die Jagd gegangen und, wenn er hatte allein sein wollen, kurzfristig verschwunden war. Dieser Streifen wilder Clare’scher Küste war einmal sein Land gewesen, und jetzt war es das von Bran.

Ja, das Schicksal konnte wirklich kalt und hinterhältig sein.

In dem von Bran erbauten Haus sah er sein eigenes damaliges Heim. Generationen seiner Familie hatten dort gelebt.

Doch schon vor Hunderten von Jahren war sein Heim zu Staub zerfallen, und auch seine Familie gab es längst nicht mehr.

Jetzt stand hier ein neues, prächtiges Gebäude, wie es für Bran Killian typisch war.

Ein elegantes Herrenhaus, erkannte Doyle, versehen mit fantasievollen Elementen, die bereits von Weitem deutlich machten, dass hier jetzt ein Zauberer zu Hause war. Das dreistöckige Haus – vielleicht zum Teil aus Steinen, die bereits die Wände seines eigenen Heims gebildet hatten – wies zwei runde Türme und eine zentrale Brustwehr auf, die sicher einen unglaublichen Blick über das Meer, das Land, die Klippen bot.

Um die Härte des Gebäudes abzumildern, hatte Bran auf dem Gelände Gärten angelegt, in denen wilde, frei wachsende Blumen ihren Duft verströmten, den der Wind in ihre Richtung trug.

Hier hätten sich selbst Feen wohlgefühlt, und Doyle musste an seine eigene Mutter denken, denn sie hätte diese Gärten ebenfalls geliebt.

Doch dann verdrängte er entschlossen die Erinnerung und stellte anerkennend fest: »Das ist ein wirklich ordentliches Haus.«

»Schließlich steht es auch auf ordentlichem Land. Und wie ich schon zu Riley sagte, gehört es euch im selben Maße wie mir.«

Doyle schüttelte den Kopf, doch während noch der Wind sein schwarzes Haar um seine fein geschnittenen Züge wehte, fuhr Bran fort. »Für mein Empfinden ist das so. Das Schicksal hat uns sechs aus gutem Grund erst zusammen- und jetzt hierhergeführt. Wir sind in die Schlacht gezogen, haben gemeinsam Blut vergossen, und das werden wir auf alle Fälle wieder tun. Und jetzt sind wir an dem Ort, von dem du stammst und an dem ich selbst ein Haus errichten musste. Das hat sicher einen Grund, und deshalb werden wir das Haus für den Zweck nutzen, für den es vom Schicksal vorgesehen ist.«

Annika trat neben Doyle und glitt tröstend mit den Fingerspitzen über seinen Arm. Der wilde Flug hatte ihr langes schwarzes Haar verführerisch zerzaust, und ihr anziehendes Gesicht wies ein paar Schürfwunden und blaue Flecke auf. »Hier ist es wunderschön. Ich kann das Meer riechen und hören, wie es rauscht.«

»Es liegt weit...