Die Clifton-Saga 1-3: Spiel der Zeit/Das Vermächtnis des Vaters/ - Erbe und Schicksal (3in1-Bundle) - Drei Romane in einem Band

von: Jeffrey Archer

Heyne, 2016

ISBN: 9783641205133

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 24,99 EUR

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Die Clifton-Saga 1-3: Spiel der Zeit/Das Vermächtnis des Vaters/ - Erbe und Schicksal (3in1-Bundle) - Drei Romane in einem Band


 

1

Alle haben mir immer gesagt, dass mein Vater im Krieg gestorben ist.

Jedes Mal, wenn ich meine Mutter nach seinem Tod fragte, meinte sie nur, dass er im Royal Gloucestershire Regiment gedient hatte und wenige Tage vor der Unterzeichnung des Waffenstillstands an der Westfront gefallen war. Großmutter nannte meinen Vater einen tapferen Mann, und einmal, als wir alleine im Haus waren, zeigte sie mir seine Orden. Mein Großvater äußerte sich kaum zu irgendeinem Thema, aber weil er stocktaub war, hatte er meine Frage vielleicht nicht einmal gehört.

Der einzige andere Mann, an den ich mich aus jener Zeit erinnern kann, ist mein Onkel Stan, der beim Frühstück am Kopfende des Tisches saß. Wenn er am Morgen das Haus verließ, folgte ich ihm oft zum Hafen, wo er arbeitete. Jeder Tag, den ich bei den Docks verbrachte, war ein Abenteuer. Frachtschiffe kamen aus fernen Ländern, um hier ihre Waren zu löschen: Reis, Zucker, Bananen, Jute und viele andere Dinge, von denen ich noch nie gehört hatte. Sobald einer der Laderäume geleert war, beluden ihn die Hafenarbeiter mit Salz, Äpfeln, Eisenblechen und sogar Kohle. (Letztere mochte ich am wenigsten, denn dann sah man mir an, was ich, zum Ärger meiner Mutter, den ganzen Tag über getrieben hatte.) Danach brachen die Schiffe wieder zu ihren fremden Zielen auf. Ich wollte meinem Onkel Stan immer beim Entladen helfen, gleichgültig, welches Schiff am Morgen anlegte, doch er lachte nur und sagte: »Alles zu seiner Zeit, mein Junge.« Für mich konnte das nicht früh genug sein, doch plötzlich kam mir ohne Vorwarnung die Schule in die Quere.

Mit sechs Jahren kam ich auf die Merrywood Elementary, was ich für reine Zeitverschwendung hielt. Welchen Sinn konnte eine Schule schon haben, wenn ich die Gelegenheit hatte, alles, was ich wissen musste, im Hafen zu lernen? Nach meinem ersten Tag wäre ich nicht noch einmal hingegangen, wenn mich meine Mutter nicht bis an den Schuleingang geschleppt hätte, von wo sie mich um vier Uhr nachmittags wieder abholte.

Mir war nicht klar, dass Mum andere Zukunftspläne für mich hatte, in denen Onkel Stan und der Hafen keine Rolle spielten.

Jedes Mal, wenn Mum mich am Morgen abgesetzt hatte, blieb ich auf dem Schulhof, bis sie außer Sichtweite war. Danach schlich ich mich wieder zum Hafen. Ich achtete darauf, immer rechtzeitig zurück zu sein, wenn mich meine Mutter am Nachmittag wieder von der Schule abholte. Auf dem Heimweg erzählte ich ihr alles, was ich tagsüber in der Klasse getan hatte. Ich war gut darin, Geschichten zu erfinden, aber es dauerte nicht lange, bis sie herausfand, dass alle Ereignisse, die ich zu berichten hatte, nichts anderes waren als eben Geschichten.

Ein oder zwei andere Jungen aus meiner Schule trieben sich ebenfalls im Hafen herum, aber ich hielt mich von ihnen fern. Sie waren älter und größer als ich, und sie verprügelten mich, wenn ich ihnen über den Weg lief. Außerdem musste ich vor Mr. Haskins, dem Vorarbeiter, auf der Hut sein, denn wenn er mich dabei ertappte, wie ich im Hafen »herumlungerte« (wie sein Lieblingswort lautete), versetzte er mir regelmäßig einen Tritt in den Hintern und drohte: »Wenn ich dich noch einmal beim Herumlungern erwische, mein Junge, dann melde ich das deinem Rektor.«

Manchmal glaubte Haskins, mich oft genug gesehen zu haben, weshalb er mich tatsächlich bei meinem Rektor anschwärzte, der mich mit einem Lederriemen durchprügelte, bevor er mich in den Unterricht zurückschickte. Mr. Holcombe, mein Klassenlehrer, machte nie Meldung, wenn ich in seinem Unterricht fehlte, doch er hatte ohnehin ein weiches Herz. Wenn meine Mutter herausfand, dass ich geschwänzt hatte, gelang es ihr nie, ihre Verärgerung zu verbergen, und sie strich mir den Halfpenny, den ich pro Woche als Taschengeld bekam. Doch obwohl ich gelegentlich einen Schlag von einem der älteren Jungen einstecken musste, der Rektor mich mit dem Lederriemen durchprügelte und mir das Taschengeld gestrichen wurde, schaffte ich es einfach nicht, den Verlockungen des Hafens zu widerstehen.

Während der Zeit, die ich im Hafen »herumlungerte«, fand ich bei den Docks nur einen echten Freund. Sein Name war Old Jack Tar. Mr. Tar wohnte in einem ausrangierten Eisenbahnwaggon am Ende der Arbeiterwerkstätten. Onkel Stan wollte nicht, dass ich mich mit Old Jack einließ, denn dieser, so sagte er, sei ein dummer, schmutziger, alter Landstreicher. Für mich sah er jedoch nicht schmutzig aus – ganz sicher nicht so schmutzig wie Stan. Und es dauerte nicht lange, bis ich herausfand, dass er auch nicht dumm war.

Nach dem Mittagessen mit Onkel Stan, das für mich aus einem Bissen von seinem Marmite-Sandwich, dem Apfelgehäuse, das er selbst nicht wollte, und einem Schluck Bier bestand, ging ich zurück in die Schule, um rechtzeitig zum Fußballspiel zu kommen; es gab keinen anderen Grund für mich, dort zu erscheinen. Schließlich würde ich nach der Schule Kapitän von Bristol City werden oder ein Schiff bauen, mit dem man überall auf der Welt herumkäme. Wenn Mr. Holcombe den Mund hielt und der Vorarbeiter mich nicht dem Rektor meldete, konnte ich den ganzen Tag über verschwinden, ohne dass das jemandem auffiel. Meine Mutter bekam nichts davon mit, sofern ich den Kohlefrachtern aus dem Weg ging und jeden Nachmittag um vier am Schultor stand.

Jeden zweiten Samstag nahm Onkel Stan mich mit, um Bristol City im Ashton Gate spielen zu sehen. Am Sonntagmorgen karrte Mum mich in die Holy Nativity Church, wogegen ich noch kein Mittel gefunden hatte. Jedes Mal, nachdem Reverend Watts den Segen gespendet hatte, rannte ich den ganzen Weg zurück bis zum Freigelände, wo ich mit anderen Jungen Fußball spielte, bis es Zeit wurde, zum Abendessen nach Hause zu gehen.

Als ich sieben wurde, war jedem, der etwas von Fußball verstand, klar, dass ich es niemals in die Schulmannschaft schaffen würde, ganz zu schweigen davon, dass ich Kapitän von Bristol City werden könnte. Doch in jener Zeit entdeckte ich, dass Gott mir eine kleine Gabe geschenkt hatte, und die steckte nicht in meinen Beinen.

Zunächst einmal war mir nie aufgefallen, dass alle, die neben mir am Sonntagmorgen in der Kirche saßen, zu singen aufhörten, wenn ich den Mund aufmachte. Ich hätte nie darüber nachgedacht, wenn Mum nicht vorgeschlagen hätte, dass ich in den Chor gehen solle. Ich stieß ein wütendes Gelächter aus. Schließlich wusste jeder, dass der Chor nur etwas für Mädchen und Schwächlinge war. Ich hätte die Idee rundweg abgelehnt, wenn Reverend Watts mir nicht gesagt hätte, dass Chorknaben bei Begräbnissen einen Penny und bei Hochzeiten sogar zwei Pence bekamen: meine erste Erfahrung mit Bestechung. Doch nachdem ich widerwillig einem Vorsingen zugestimmt hatte, beschloss der Teufel, mir ein Hindernis in den Weg zu legen, und zwar in Gestalt von Miss Eleanor E. Monday.

Ich wäre Miss Monday nie begegnet, wenn sie nicht die Chorleiterin der Holy Nativity gewesen wäre. Obwohl sie gerade mal einen Meter sechzig groß war und aussah, als könne ein Windstoß sie davonwehen, versuchte niemand, sich ihr gegenüber irgendwelche Freiheiten herauszunehmen. Ich hege den Verdacht, dass sogar der Teufel vor Miss Monday Angst gehabt hätte, denn auf Reverend Watts traf das zweifellos zu.

Ich war, wie gesagt, bereit, mich auf ein Vorsingen einzulassen, doch erst nachdem Mum mir das Taschengeld für einen ganzen Monat im Voraus gegeben hatte. Am folgenden Sonntag stand ich mit anderen Jungen in einer Reihe und wartete darauf, aufgerufen zu werden.

»Du wirst immer pünktlich zu den Chorproben kommen«, erklärte Miss Monday, indem sie mich mit ihren Luchsaugen fixierte. Ich starrte trotzig zurück. »Du wirst reden, wenn man dich anspricht.« Irgendwie gelang es mir, den Mund zu halten. »Und du wirst dich während des gesamten Gottesdienstes konzentrieren.« Ich nickte widerwillig. Und dann, Gott segne sie, zeigte sie mir einen Ausweg. »Aber vor allem«, verkündete sie und legte dabei die Hände auf ihre Hüften, »wirst du in zwölf Wochen eine Lese- und Schreibprüfung bestehen, damit ich sicher sein kann, dass du in der Lage bist, einen neuen Choral oder einen unvertrauten Psalm zu erarbeiten.«

Es war mir nur recht, wenn ich schon an der ersten Hürde scheiterte. Doch wie ich noch herausfinden sollte, gab Miss Eleanor E. Monday nicht so leicht auf.

»Welches Stück möchtest du singen, mein Kind?«, fragte sie, als ich an der Reihe war.

»Ich habe keins ausgesucht«, teilte ich ihr mit.

Sie öffnete ein Buch mit Kirchenliedern, reichte es mir und setzte sich ans Klavier. Ich lächelte bei dem Gedanken, dass ich es immer noch zur zweiten Hälfte unseres Fußballspiels am Sonntagmorgen schaffen könnte. Sie begann eine Melodie zu spielen, die ich kannte, und als ich sah, dass meine Mutter mich von der ersten Kirchenbank aus anstarrte, beschloss ich, die Sache am besten hinter mich zu bringen, wenn ihr so viel daran lag.

»Alle Dinge hell und schön, alle Wesen groß und klein. Alle Dinge weise und auch wunderbar …« Lange bevor ich bei »sie alle Gott geschaffen hat« ankam, war ein Lächeln auf Miss Mondays Gesicht erschienen.

»Wie heißt du, mein Kind?«, fragte sie.

»Harry Clifton, Miss.«

»Harry Clifton, du wirst montags, mittwochs und freitags Punkt sechs Uhr zur Chorprobe erscheinen.« Dann wandte sie sich an den Jungen, der hinter mir stand, und sagte: »Der Nächste!«

Ich versprach meiner Mum, dass ich zur ersten Chorprobe pünktlich sein würde, obwohl ich wusste, dass es meine letzte wäre, denn Miss Monday würde schon bald herausfinden, dass ich weder lesen noch schreiben konnte. Und es wäre auch tatsächlich meine letzte Probe geworden,...