Eisige Wahrheit - Ein Urlaubskrimi mit Pia Korittki

von: Eva Almstädt

beTHRILLED, 2016

ISBN: 9783732538560 , 110 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 4,99 EUR

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Eisige Wahrheit - Ein Urlaubskrimi mit Pia Korittki


 

1. Kapitel


Der erste Schnee fiel, als sie von der Bundesstraße auf die schmale, gewundene Straße in Richtung Küste abbogen.

»Siehst du, Pia, wir haben doch das richtige Auto genommen.« Lars Kuhn schaltete die Scheibenwischer des alten Landrovers auf die zweite Stufe. Die kurzen Wischerarme ruckten hektisch hin und her, doch die dicken Schneeflocken nahmen ihnen trotzdem beinahe die Sicht.

Pia Korittki warf einen Blick nach hinten zu ihrem dreijährigen Sohn. »Schade, dass Felix eingeschlafen ist. Der würde sich bestimmt über den Schnee freuen.«

»Hat Felix überhaupt schon einmal richtig viel Schnee erlebt?«

Pia ließ die letzten drei Jahre Revue passieren. »Nein, bisher blieb es, glaube ich, immer nur bei Schneematsch.«

Wie schnell die Zeit vergangen war! Pia arbeitete als Kriminalkommissarin bei der Lübecker Bezirkskriminalinspektion, zwar mit reduzierter Stundenzahl, doch es war immer zu wenig Zeit, sowohl im Beruf als auch für Felix und nicht zuletzt für ihren Freund Lars. Umso mehr freute Pia sich auf die gemeinsamen Urlaubstage am Meer. Ihr Reiseziel lag an der Ostseeküste, nicht weit von Lübeck entfernt. Sie hatten nicht noch unnötig Zeit mit einer langen Anreise vergeuden wollen.

»Vielleicht bleibt der Schnee ja liegen.« Lars steuerte sein Lieblingsgefährt mit einem zufriedenen Lächeln über die kurvige Landstraße. Er deutete über den Ersatzreifen auf der Motorhaube nach vorn. »Schau mal den Himmel dort hinten an. Da kann noch einiges an Schnee herunterkommen.«

Seine beinahe kindliche Freude über die schwierigen Straßenverhältnisse war ansteckend. »Ich versteh schon. Du möchtest endlich mal wieder deinen Allradantrieb einschalten müssen«, neckte Pia ihn. »Hast du denn auch alles dabei? Eine Winde und einen Spaten, um uns frei zu schaufeln. Die Sandbleche und so?«

Er lachte auf. »Klar. Das werden ein paar superschöne Tage, Pia.« Lars legte die Hand auf ihr Bein und drückte leicht zu. »Wir lassen uns durch nichts stören, okay?«

Eine Viertelstunde später, nachdem sie den Küstenort Hochfeld hinter sich gelassen hatten, tauchte auf der linken Seite ein kleiner Hafen auf. Viele der Schiffe befanden sich im Winterlager, und auch die grün gestrichenen Bootsschuppen sahen verwaist aus. Kurz darauf bogen sie in einen Schotterweg ein, der zu zwei reetgedeckten Bauernhäusern führte. Hinter dem flachen Dünengürtel und der Ostsee türmten sich graue Wolken. Die beiden Häuser duckten sich unter mächtigen Linden, und die dazugehörigen Gärten waren von einem Lattenzaun und einer hohen Hecke eingefasst. Ihr Feriendomizil sah so urig und gemütlich aus, dass Pia den spontanen Wunsch verspürte, wirklich für ein paar Tage hier eingeschneit zu werden.

Lars parkte neben dem Fachwerkhaus, in dem sie eine Ferienwohnung gemietet hatten. Den Schlüssel hatten sie in Hochfeld im Büro der Ferienhausagentur von Wiebke Schütz abgeholt. Pia schloss auf und trat mit Lars, der den schlafenden Felix auf dem Arm trug, ins Haus.

Sie schaltete das Licht ein und sah sich um. Holzdielen, Sprossenfenster, offene Balken, mit kariertem Stoff bezogene Polstermöbel und ein aus Backstein gemauerter Kamin. »Das hast du gut ausgesucht«, sagte sie erfreut.

»Und es ist absolut ruhig hier. Wir haben endlich mal Zeit für uns.«

Pia sah sich in der Küche um. Sie meinte, einen herausfordernden Ton in Lars’ letzter Bemerkung herauszuhören, und lächelte. »Weißt du, selbst wenn mir gleich aus diesem Backofen eine abgehackte Hand entgegenfällt: Es gilt das Tatortprinzip. Da wären die Kollegen aus Kiel gefordert.«

»Du willst doch hier nicht etwa Backen oder Kochen?«, fragte Lars mit gespieltem Entsetzen.

»Warum nicht? Traust du mir das nicht zu?«

»Wir haben Urlaub«, sagte er.

Felix blinzelte und rieb sich die Augen. »Ich hab so ’nen Hunger«, murmelte er.

Sie sahen einander an.

»Ich habe im Ort eben noch eine offene Pizzeria gesehen«, sagte Lars.

»Eigentlich wollte ich mich hier heute gar nicht mehr vom Fleck rühren.« Die letzten Wochen im Kommissariat waren hektisch gewesen. Pia sehnte sich danach, sich im Haus einzuigeln. Je ungemütlicher das Wetter derweil draußen war, desto besser.

»Vielleicht gibt es ja auch Pizza zum Mitnehmen?«

»Himmelherrgott, Sacklzement!« Fiona Rogge blickte in ein Chaos aus wirbelnden weißen Flocken, die so dicht fielen, dass sie den vor ihr aufragenden Kirchturm der Markuskirche nicht sehen konnte, sondern gerade noch die alten Grabkreuze jenseits des Weges. Sie fluchte auf einem Kirchhof? So weit war es also schon mit ihr gekommen. Aber es war ja eine evangelische Kirche, also zählte das bei ihr vielleicht nicht.

Im Gemeindehaus war gerade die Chorprobe des Markus-Chors zu Ende gegangen. Fiona hatte es eilig. In nur fünf Minuten war sie mit Michael verabredet. Und jetzt würde sie zu spät kommen, denn mit Schnee hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.

Als sie vor gut zwei Stunden vom Behning-Hof, auf dem sie ihr landwirtschaftliches Praktikum absolvierte, mit dem Fahrrad hier angekommen war, war es ein ganz normaler Dezembernachmittag in Norddeutschland gewesen: feucht und grau und viel zu windig. Wo kam auf einmal der viele Schnee her? Wenn der jetzt liegen blieb und die holsteinischen Hügel plötzlich weiß wurden, würde sie bestimmt Heimweh nach Bayern bekommen. Die viele Weihnachtsbeleuchtung, der man in Hochfeld und auf den umliegenden Höfen auf Schritt und Tritt begegnete, war schon schlimm genug.

Fiona arbeitete und wohnte seit gut fünf Monaten auf dem Bauernhof der Familie Behning. Sie mochte Ilka und Jörn Behning und ihre kleine Tochter Lina wirklich gern, trotzdem quälten Fiona immer wieder Anfälle von Heimweh, und wenn das so war, dann wollte sie am liebsten ihren Koffer packen und sofort nach Hause fahren. Es dauerte anscheinend, bis man Gleichaltrige kennenlernte, bei denen der Kontakt über ein »Moin« und »Tschüss« und »Wie geht’s?« hinausging. Und wenn dann doch mal mehr draus wurde, konnte Fiona oft nicht richtig einschätzen, ob derjenige ernst meinte, was er sagte, oder sich nur einen Spaß mit ihr erlaubte. Ironie war ja noch nie so recht ihr Ding gewesen. Außerdem war sie wohl zu schüchtern. Fiona hatte es sich einfacher vorgestellt, Kontakte zu knüpfen. Zum Beispiel sang sie wahnsinnig gern, und das schon, solange sie denken konnte. Aber selbst im Chor fühlte sie sich nach wie vor nur wie ein gern gesehener Gast. Vielleicht lag es auch daran, dass alle außer Carola, der Tochter des Kantors, und Tobias Hollmann, dem Nachbarssohn, deutlich älter waren als sie. Doch seit ein paar Tagen gab es Anlass zur Hoffnung, und die hieß Michael.

Michael Hollmann wohnte seit Kurzem auf dem Nachbarhof. Bisher hatte Fiona dort nur Hedda und Karl Hollmann sowie Heddas stieseligen Sohn Tobias angetroffen. »Stieselig«, den Ausdruck hatte sie von Ilka Behning, und er passte so haargenau, als wäre er für Tobias erfunden worden. Seit sie mit ihm zusammen im Chor sang, verfolgte er sie mit seiner Aufmerksamkeit. Leider war er zu sehr von sich eingenommen, hatte Mundgeruch und schwitzte stark, sogar im eiskalten Gemeindehaus.

Michael Hollmann war Tobias’ Stiefbruder und ein paar Jahre älter als er. Er war erst vor einigen Wochen wieder auf den elterlichen Hof zurückgekehrt. Vorher hatte er in München gelebt. Michael musste mal irgendwann etwas Blödes angestellt haben, so wie sie alle über ihn redeten. Doch das war Fiona egal. Vielleicht waren die Leute auch nur neidisch, weil er gut aussah, witzig und charmant war und schon etwas von der Welt gesehen hatte. Oder weil er einen alten Porsche fuhr, ergänzte sie in Gedanken. Und ausgerechnet mit ihr wollte Michael ausgehen!

Fiona wischte den Schnee vom Zahlenschloss des Fahrrads und versuchte, im Dämmerlicht die richtige Zahlenkombination einzustellen. Sie hatte Michael vor ein paar Tagen in der einzigen geöffneten Kneipe von Hochfeld kennengelernt. Die Frau, mit der sie eigentlich verabredet gewesen war, war früh nach Hause gegangen, und so hatte Fiona sich irgendwann mit ihm unterhalten. Und dann hatte er sie gefragt, ob er ihr die Gegend zeigen dürfe. Fiona hatte während ihrer Zeit im Norden bisher nicht einmal Lübeck oder den Hamburger Fischmarkt gesehen. Da die Behnings den kürzlich heimgekehrten Nachbarssohn anscheinend nicht mochten und die Abneigung bei seinen Eltern in Bezug auf die Behnings offenbar auf Gegenseitigkeit beruhte, waren Michael und sie übereingekommen, dass er sie besser nicht direkt von zu Hause abholen sollte. Schade eigentlich, aber Fiona wollte nicht mit den Behnings diskutieren, warum sie sich ausgerechnet mit Michael Hollmann traf. Er hatte sie auch nicht vor dem Gemeindehaus treffen wollen.

»Zu nah an der Kirche«, hatte er spöttisch gesagt. »Der liebe Gott und ich sind nicht gerade so.« Dabei hatte er zwei überkreuzte Finger hochgehalten. Sie würden sich hinter der Feldscheune der Behnings treffen, wo niemand sie sehen konnte, und von dort aus losfahren.

Fiona hob das Fahrrad aus dem Ständer und winkte Wiebke und Carola Schütz zu, die nun ebenfalls das Gemeindehaus verließen. Bei diesem Wetter würde sich die Gruppe schnell auflösen, weil alle wieder zurück auf ihr gemütliches Sofa wollten.

Sie schob das Rad durch die Pforte, schloss sie gewissenhaft hinter sich und sah dann hoffnungsvoll zum Himmel. Das Schneetreiben war bestimmt gleich wieder vorbei. An der Straße schwang Fiona sich auf das Herrenrad, das die Behnings ihr zur Verfügung gestellt hatten, und fuhr die Hauptstraße entlang durch den Ort. Am Ortsausgang trat sie kräftiger in die Pedale. Sie wollte nicht verschwitzt und außer Atem bei Michael eintreffen, aber verpassen wollte sie ihn auch...