Der Raub - Kriminalthriller

Der Raub - Kriminalthriller

von: Daniel Silva

HarperCollins, 2015

ISBN: 9783959679794 , 415 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Der Raub - Kriminalthriller


 

1


ST. JAMES’S, LONDON


Es begann mit einem Unfall, aber das war bei Dingen, die mit Julian Isherwood zusammenhingen, unvermeidbar. Tatsächlich war sein Ruf für Torheit und Missgeschicke so fest etabliert, dass die Londoner Kunstszene nichts anders erwartet hätte, wenn sie von dieser Angelegenheit gewusst hätte, was sie nicht tat. Isherwood, erklärte ein Spötter aus dem Department Alte Meister bei Sotheby’s, sei der Schutzheilige hoffnungsloser Fälle, ein Hochseilartist mit einer Vorliebe für sorgfältig geplante Unternehmen, die im Ruin endeten – oft allerdings ohne sein Verschulden. Als Folge daraus wurde er bewundert und bemitleidet zugleich, was für einen Mann in seiner Position selten war. Julian Isherwood machte den Alltag etwas weniger langweilig. Und dafür himmelte ihn die Hautevolee Londons an.

Seine Galerie lag in der entferntesten Ecke eines als Mason’s Yard bekannten gepflasterten Platzes und nahm drei Stockwerke eines leicht heruntergekommenen viktorianischen Lagerhauses ein, das einst Fortnum & Mason gehört hatte. Direkt benachbart waren die Londoner Vertretung einer kleinen griechischen Reederei und ein Pub, in dem hübsche Sekretärinnen verkehrten, die Motorroller fuhren. Vor vielen Jahren, bevor erst arabisches und dann russisches Geld den Londoner Immobilienmarkt überflutet hatte, hatte die Galerie in der eleganten New Bond Street – oder New Bondstraße, wie sie in der Branche hieß – gelegen. Dann waren Hermès, Burberry, Chanel, Cartier und Konsorten gekommen und hatten Isherwood und anderen wie ihm – selbstständige Kunsthändler, die auf Altmeister in Museumsqualität spezialisiert waren – keine andere Wahl gelassen, als in St. James’s Zuflucht zu suchen.

Dies war nicht das erste Mal, dass Isherwood ins Exil flüchten musste. Er war kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als einziges Kind des bekannten Pariser Kunsthändlers Samuel Isakowitz geboren, nach dem Einmarsch der Deutschen über die Pyrenäen getragen und nach England geschmuggelt worden. Seine Pariser Kindheit und seine jüdische Abstammung waren zwei Dinge aus seiner bewegten Vergangenheit, die Isherwood vor der notorisch verleumderischen Londoner Kunstwelt geheim hielt. Nach allgemeiner Überzeugung war er urbritisch: der einzigartige Julian Isherwood, Julie für seine Freunde, Juicy Julian für seine gelegentlichen Trinkkumpane und Seine Heiligkeit für die Kunstwissenschaftler und Kuratoren, die gewohnheitsmäßig auf seinen unfehlbaren Blick vertrauten. Er war unfehlbar loyal, an Dummheit grenzend vertrauensselig und hatte tadellose Manieren und keinen wirklichen Feind, was eine einzigartige Leistung war, wenn man bedachte, wie lange er nun schon die tückischen Gewässer der Kunstwelt befuhr. Isherwood war vor allem anständig, und Anständigkeit war in diesen Zeiten in London und anderswo rar.

Isherwood Fine Arts war übereinander angeordnet: überquellende Lagerräume im Erdgeschoss, Büros im ersten Stock und ein eleganter Ausstellungsraum im zweiten. Dieser Raum, den viele für den schönsten Ausstellungsraum Londons hielten, war eine genaue Kopie von Paul Rosenbergs berühmter Galerie in Paris, in der Isherwood als Kind viele glückliche Stunden verbracht hatte, oft in Gesellschaft von Picasso. Der Bürotrakt war ein Labyrinth voller vergilbter Kataloge und Monografien wie aus einem Roman von Dickens. Um ihn zu erreichen, mussten Besucher zwei Türen aus Sicherheitsglas im Erdgeschoss und oben an der mit einem fleckigen braunen Läufer belegten Treppe passieren. Dort trafen sie auf Maggie, eine Blondine mit Schlafzimmerblick, die einen Tizian nicht von Toilettenpapier unterscheiden konnte. Isherwood hatte sich einst völlig zum Narren gemacht, indem er versucht hatte, sie zu verführen, bis ihm zuletzt nichts anderes übrig geblieben war, als sie als seine Empfangsdame einzustellen. Im Augenblick polierte sie ihre Fingernägel, während das Telefon auf ihrem Schreibtisch vergebens klingelte.

„Willst du nicht rangehen, Mags?“, schlug Isherwood freundlich vor.

„Wozu?“, fragte sie ohne die geringste Ironie in der Stimme.

„Könnte wichtig sein.“

Sie verdrehte die Augen, bevor sie widerstrebend den Hörer ans Ohr hob und „Isherwood Fine Arts“ säuselte. Einige Sekunden später legte sie wortlos auf und wandte sich wieder ihren Nägeln zu.

„Nun?“, fragte Isherwood.

„Keiner am Apparat.“

„Sei so lieb, Schätzchen, und sieh nach der angezeigten Nummer.“

„Er ruft wieder an.“

Isherwood setzte stirnrunzelnd seine stumme Begutachtung des Gemäldes fort, das mitten im Raum auf einer mit grünem Wollstoff verhängten Staffelei stand: Christus erscheint Maria Magdalena, vermutlich von einem Schüler Francesco Albanis, das er vor Kurzem in einem Herrenhaus in Berkshire für ein Trinkgeld gekauft hatte. Wie Isherwood selbst musste das Gemälde dringend restauriert werden. Er hatte das Alter erreicht, das Vermögensberater blumig als „den Herbst des Lebens“ bezeichneten. Aber es war kein goldener Herbst, dachte er trübselig. Eher ein Spätherbst mit schneidend kaltem Wind und ersten Weihnachtsdekorationen in der Oxford Street. Trotzdem machte er mit seinem Maßanzug aus der Savile Row und seinem ergrauten Lockenhaupt weiterhin eine gute, wenn auch heikle Figur. Er selbst bezeichnete diesen Look als würdevolle Verderbtheit. Nach mehr konnte man in seinem Alter nicht streben.

„Ich dachte, irgendein grässlicher Russe wollte um vier vorbeikommen, um ein Gemälde zu besichtigen“, sagte Isherwood plötzlich, während er weiter das an vielen Stellen beschädigte Gemälde begutachtete.

„Der grässliche Russe hat abgesagt.“

„Wann?“

„Heute Morgen.“

„Warum?“

„Hat er nicht gesagt.“

„Wieso hast du mir das nicht erzählt?“

„Hab ich doch.“

„Unsinn.“

„Das musst du vergessen haben, Julian. Passiert in letzter Zeit häufig.“

Isherwood durchbohrte Maggie mit einem vernichtenden Blick, während er sich fragte, wieso er sich jemals zu einem so widerwärtigen Wesen hingezogen gefühlt hatte. Weil sein Terminkalender ansonsten leer war und er eindeutig nichts Besseres zu tun hatte, schlüpfte er in seinen Mantel und ging zu Green’s Restaurant and Oyster Bar hinüber, wodurch er eine Abfolge von Ereignissen in Gang setzte, die ihn in weitere Kalamitäten führen würden, an denen er schuldlos war. Es war zwanzig vor vier – noch etwas zu früh für die Stammgäste, und die Bar war leer bis auf Simon Mendenhall, den permanent sonnengebräunten Chefversteigerer von Christie’s. Mendenhall hatte einst ohne sein Wissen eine Rolle in einem israelischamerikanischen Geheimdienstunternehmen mit dem Zweck gespielt, ein dschihadistisches Terrornetzwerk zu unterwandern, das in ganz Westeuropa Bombenanschläge verübte. Das wusste Isherwood, weil er selbst eine kleine Rolle bei diesem Unternehmen gespielt hatte. Isherwood war kein Spion. Er half Spionen, vor allem einem bestimmten Spion.

„Julie!“, rief Mendenhall aus. Dann fügte er mit der Schlafzimmerstimme hinzu, die er sonst für zögerliche Bieter reservierte: „Du siehst echt klasse aus. Hast du abgenommen? Ein teures Wellness-Wochenende gebucht? Eine neue Freundin? Was ist dein Geheimnis?“

„Sancerre“, antwortete Isherwood, bevor er sich an seinen gewohnten Fenstertisch mit Blick auf die Duke Street setzte. Und dort bestellte er eine Flasche von dem Zeug, brutal kalt, weil ein Glas ihm nicht reichen würde. Mendenhall verabschiedete sich bald in seiner überschwänglichen Art, und Isherwood blieb mit seinen Gedanken und seiner Flasche allein zurück – eine gefährliche Kombination für einen Mann fortgeschrittenen Alters, mit dessen Karriere es unübersehbar bergab ging.

Wenig später ging jedoch die Tür auf, und aus der nassen Abenddämmerung kamen zwei Kuratoren der National Gallery herein. Als Nächster kam ein wichtiger Mann der Tate, dann folgte eine Delegation von Bonhams unter Führung von Jeremy Crabbe, dem eleganten Direktor der Abteilung Altmeistergemälde des Auktionshauses. Ihnen dicht auf den Fersen war Roddy Hutchinson, weithin als der skrupelloseste Kunsthändler in ganz London bekannt. Seine Ankunft war ein schlechtes Omen, denn wo Roddy aufkreuzte, war meistens auch der dicke Oliver Dimbleby nicht weit. Erwartungsgemäß kam er einige Minuten später mit der Diskretion einer Dampflokpfeife um Mitternacht hereingewatschelt. Isherwood hob sein Handy ans Ohr und gab vor, ein wichtiges Gespräch zu führen, aber Oliver ließ sich nicht aufhalten. Er kam geradewegs auf den Tisch zu – wie ein Jagdhund, der einen Fuchs stellt, würde Isherwood sich später erinnern – und pflanzte seinen breiten Hintern auf den leeren Stuhl. „Domaine Daniel Chotard“, las er anerkennend vor, als er die Flasche aus dem Eiskübel zog. „Da trinke ich gern ein Glas mit.“

Er trug einen blauen Geschäftsanzug, der seinen stämmigen Körper wie eine Wurstpelle umschloss, und protzige goldene Manschettenknöpfe. Seine Wangen waren rund und rosig; seine blassblauen Augen strahlten lebhaft und vermittelten den Eindruck, er schlafe gut. Oliver Dimbleby war ein Sünder höchsten Grades, aber sein Gewissen belästigte ihn nicht.

„Nimm’s mir nicht übel, Julie“, sagte er, während er sich großzügig von Isherwoods Wein einschenkte, „aber du siehst wie ein Häufchen Schmutzwäsche aus.“

„Simon Mendenhall hat genau das Gegenteil gesagt.“

„Simon lebt davon, dass er Leuten das Geld aus der Tasche zieht. Ich dagegen spreche unverfälschte Wahrheiten aus, auch wenn sie schmerzhaft sind.“ Dimbleby musterte Isherwood mit einem Blick, aus dem aufrichtige Besorgnis sprach.

„Oh, sieh mich nicht so an,...