DARK LOVE - Dich darf ich nicht lieben - Roman

von: Estelle Maskame

Heyne, 2016

ISBN: 9783641184735 , 464 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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DARK LOVE - Dich darf ich nicht lieben - Roman


 

Kapitel 1

Wenn ich aus Filmen und Büchern eines gelernt habe, dann, dass Los Angeles die coolste Stadt mit den coolsten Leuten und den coolsten Stränden ist. Und deshalb habe ich immer – wie wohl jedes Mädchen – davon geträumt, eines Tages den Golden State zu besuchen. Irgendwann wollte ich über den Sand von Venice Beach joggen, die Sterne meiner Lieblingsstars auf dem Walk of Fame berühren und einmal hinter dem Hollywood-Schriftzug stehen und über die wunderschöne Stadt blicken.

Das, und das andere langweilige Zeug, das man als Touri so macht.

Einen Knopf im Ohr, achte ich halb auf die Musik und halb auf das Gepäckband, das vor mir seine Kreise zieht, während ich verzweifelt nach einer freien Stelle suche, um meinen Koffer vom Band zu holen. Ich finde eine Lücke und quetsche mich hinein. Um mich herum drängeln und rufen die Leute, eine Frau schreit ihren Partner an, ihr Gepäck sei gerade vorbeigefahren, und er schreit zurück, es sei gar nicht ihres gewesen. Ich verdrehe die Augen und konzentriere mich auf den khakifarbenen Koffer, der auf mich zukommt. Dass es meiner ist, erkenne ich an den Songtexten, die ich mit schwarzem Filzstift auf die Seiten geschrieben habe. Energisch packe ich ihn am Griff und zerre ihn so schnell wie möglich vom Band.

»Hier drüben!«, ruft jemand hinter mir. Die erstaunlich tiefe Stimme meines Vaters erkenne ich sofort, obwohl sie halb von meiner Musik überlagert wird. Ich könnte die Lautstärke bis zum Anschlag aufdrehen und würde ihn wahrscheinlich trotzdem noch aus kilometerweiter Entfernung hören. Diese Stimme ist mit zu viel Wut und Schmerz verbunden, um sie zu ignorieren.

Als Mom mir erzählt hat, dass Dad mich für den Sommer zu sich einlädt, kriegten wir beide erstmal einen Lachanfall, weil es einfach so hirnrissig war. »Du brauchst nichts mit ihm zu tun zu haben«, hat sie mir seitdem jeden Tag versichert. Drei Jahre lang hatten wir nichts von ihm gehört, und dann sollte ich plötzlich den ganzen Sommer bei ihm verbringen? Es hätte doch gereicht, wenn er mich vielleicht hin und wieder mal angerufen hätte, um zu fragen, wie’s mir geht, und nach und nach wieder Anteil an meinem Leben zu nehmen. Aber nein, er hat beschlossen, den Stier bei den Hörnern zu packen und mich gleich für acht Wochen zu sich einzuladen. Mom war total dagegen. Sie fand, er habe keine acht Wochen mit mir verdient, und meinte, damit könne er die bereits verlorene Zeit auch nicht wieder aufholen. Aber Dad ließ nicht locker und versuchte immer eindringlicher, mich davon zu überzeugen, dass ich Kalifornien lieben würde. Warum er plötzlich aus heiterem Himmel beschlossen hat, sich zu melden? Ich weiß es nicht. Vielleicht hofft er, die Beziehung zwischen uns wieder kitten zu können – eine Beziehung, die er abgebrochen hat, als er einfach weggegangen ist. Ich bezweifle, dass das überhaupt möglich ist. Trotzdem habe ich irgendwann nachgegeben und meinen Vater angerufen, um ihm zu sagen, dass ich komme. Allerdings hatte meine Entscheidung weniger mit ihm zu tun, als eher mit der Vorstellung von heißen Sommertagen und herrlichen Stränden und der Möglichkeit, sich in ein braungebranntes Abercrombie-&-Fitch-Model mit Eightpack zu verlieben. Außerdem gab es da noch einen anderen Grund, warum ich Portland gerne eintausendvierhundert Kilometer hinter mir lassen wollte.

Ich bin also nicht sonderlich begeistert, die Person zu sehen, die gerade auf mich zukommt.

In drei Jahren kann sich eine Menge verändern. Vor drei Jahren war ich acht Zentimeter kleiner als jetzt, mein Dad hatte damals noch keine sichtbaren grauen Strähnen im Haar, und diese Situation wäre nicht so absurd gewesen.

Ich gebe mir alle Mühe zu lächeln – oder zu grinsen –, damit ich nicht erklären muss, warum ich so ein mürrisches Gesicht mache. Es ist immer viel leichter, einfach zu lächeln.

»Schau an, da ist ja mein kleines Mädchen!«, sagt Dad. Er macht große Augen und schüttelt ungläubig den Kopf darüber, dass ich nicht mehr genauso aussehe wie mit dreizehn. Wirklich schockierend, dass eine Sechzehnjährige sich seit der achten Klasse tatsächlich verändert hat.

»Ja«, sage ich und ziehe den Knopf aus dem Ohr. Das Kabel baumelt in meiner Hand, und aus den Kopfhörern vibriert leise die Musik.

»Du hast mir gefehlt, Eden«, sagt er, als müsste es mich überglücklich machen zu hören, dass mein Vater, der seine Familie verlassen hat, mich vermisst. Vielleicht erwartet er, dass ich ihm in die Arme falle und ihm auf der Stelle alles verzeihe. Aber so funktioniert das nicht. Vergebung kann man nicht erwarten, man muss sie sich verdienen.

Doch wie dem auch sei, ich werde acht Wochen lang bei ihm wohnen. Da sollte ich wohl wenigstens versuchen, meine Feindseligkeit zu verbergen. »Du mir auch.«

Dad strahlt mich an, dabei graben sich die Grübchen in seine Wangen wie ein Maulwurf in die Erde. »Gib mir die Tasche«, sagt er, nimmt meinen Koffer und zieht ihn auf den Rollen hinter sich her.

Während ich ihm durch den L.A. International Airport folge, halte ich angestrengt nach Filmstars oder Models Ausschau, die vielleicht zufällig direkt an mir vorbeilaufen, aber auf dem Weg nach draußen kann ich niemanden entdecken.

Auf dem riesigen Parkplatz schlägt mir Wärme ins Gesicht, die Sonne kribbelt auf der Haut, und ein leichter Wind fährt mir durch die Haare. Der Himmel ist größtenteils blau, abgesehen von ein paar zaghaften Schleierwolken.

»Ich dachte, hier wäre es heißer«, bemerke ich und bin ein bisschen angefressen, weil Kalifornien doch nicht vollkommen frei von Wind und Wolken und Regen ist, wie die ganzen Klischees immer behaupten. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass die öde Stadt Portland im Sommer heißer sein könnte als Los Angeles. Echt enttäuschend, in diesem Moment möchte ich am liebsten gleich wieder nach Hause, obwohl Oregon auch nicht gerade der Hit ist.

»Es ist doch trotzdem ziemlich warm«, sagt Dad und zuckt mit den Schultern, als wollte er sich im Namen des Wetters entschuldigen. Ich werfe ihm einen Seitenblick zu und kann förmlich sehen, wie er sein Hirn nach etwas durchforstet, was er sagen könnte. Aber es gibt nichts zu sagen, außer wie unbehaglich diese Situation ist.

An einem schwarzen Lexus bleibt er mit meinem Koffer stehen, und ich beäuge den polierten Lack skeptisch. Vor der Scheidung haben Mom und Dad sich einen klapprigen Volvo geteilt, der alle vier Wochen liegengeblieben ist. Wenn wir Glück hatten. Entweder ist sein neuer Job extrem gut bezahlt, oder er wollte damals nicht so viel Geld für uns ausgeben. Vielleicht waren wir ihm das nicht wert.

»Ist offen«, sagt er und deutet mit dem Kinn auf den Wagen, während er den Kofferraum öffnet und mein Gepäck hinein befördert.

Ich gehe zur Beifahrerseite, setze den Rucksack ab und steige ein, das Leder unter meinen nackten Oberschenkeln ist glühend heiß. Schweigend warte ich einige Sekunden, bis Dad sich hinters Lenkrad klemmt.

»Und, hattest du einen guten Flug?«, fragt er, offenbar in dem Versuch, ein normales Gespräch anzufangen. Er lässt den Motor an und setzt aus der Parklücke zurück.

»Ja, war in Ordnung.« Ich schnalle mich an und starre dann ausdruckslos auf die Straße, den Rucksack behalte ich auf dem Schoß. Weil die Sonne blendet, krame ich meine Sonnenbrille aus der Fronttasche des Rucksacks und setze sie seufzend auf.

Ich kann förmlich hören, wie er schluckt, bevor er tief Luft holt und fragt: »Und wie geht’s deiner Mutter?«

»Fantastisch«, sage ich schon fast zu enthusiastisch, weil ich unbedingt betonen will, wie gut sie ohne ihn zurechtkommt. Sie kommt gut zurecht. Nicht direkt fantastisch, aber auch nicht schlecht. In den letzten Jahren hat sie sich sehr bemüht, die Scheidung als eine Erfahrung anzusehen, aus der sie lernen kann. Sie möchte glauben, dass sie dadurch eine lebensbejahende Botschaft erhalten hat oder weiser geworden ist. Aber wenn ich ehrlich sein soll, hat es nur dazu geführt, dass sie Männer hasst. »Ging ihr wirklich nie besser.«

Daraufhin nickt Dad und hält das Lenkrad fester. Wir verlassen das Flughafengelände und fahren auf den Boulevard. Die Straße hat viele Spuren, und auf jeder sausen die Autos nur so dahin. Der Verkehr ist dicht, aber es geht relativ zügig voran. Das Stadtbild wirkt offen, über die Straßen neigen sich keine hoch aufragenden Wolkenkratzer wie in New York, aber sie sind auch nicht von Bäumen gesäumt wie in Portland. Die einzige wirklich positive Erkenntnis: Es gibt wirklich Palmen. Ein Teil von mir hat sich immer gefragt, ob sie womöglich nur ein Mythos sind.

Wir fahren unter einer Ansammlung von Straßenschildern hindurch – eins über jeder Spur –, auf denen die umliegenden Städte und Viertel angezeigt werden, doch wir sind so schnell, dass ich die Namen nicht entziffern kann. Als sich die Stille erneut ausbreitet, räuspert sich Dad und startet einen neuen Anlauf.

»Santa Monica wird dir gefallen.« Er lächelt kurz. »Es ist eine tolle Stadt.«

»Ja. Hab’s gegoogelt.« Ich lehne meinen Arm ans Fenster und schaue stur auf die Straße. Bis jetzt sieht L.A. nicht so glamourös aus wie auf den Bildern im Internet. »Da gibt’s diesen komischen Pier, oder?«

»Genau. Den Pacific Park.« Ein Sonnenstrahl fällt auf den goldenen Ehering an seinem Finger. Ich seufze. Er bemerkt es. »Ella freut sich schon so, dich kennenzulernen«, sagt er.

»Und ich erst.« Eine glatte Lüge.

Ella ist Dads neue Frau, wie er mir vor Kurzem mitgeteilt hat. Ein Ersatz für meine Mutter: etwas Neues, Besseres. Aber das ist der Punkt,...