Psychoanalytisches Arbeiten - Für eine Theorie der Praxis

von: Christian Kläui

Hogrefe AG, 2008

ISBN: 9783456945903 , 236 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 17,99 EUR

  • Interne Modelle nach Solvency II - Schritt für Schritt zum internen Modell in der Schadenversicherung
    Produktmanagement in Versicherungsunternehmen
    Preispolitik in der Kompositversicherung
    Einführung in die Lebensversicherungsmathematik
    Die private und betriebliche Altersversorgung - Riester, Rürup, Entgeltumwandlung in der Beratungspraxis
    Neues Versicherungsvermittlerrecht von A-Z - Kompakte Informationen für den Praktiker
  • Insurance & Innovation 2011 - Ideen und Erfolgskonzepte von Experten aus der Praxis
    Versicherungsrecht für Ausbildung und Verkauf

     

     

     

     

     

     

     

 

Mehr zum Inhalt

Psychoanalytisches Arbeiten - Für eine Theorie der Praxis


 

15 Zeiten (S. 147-148)

Von Herrn I war schon kurz die Rede (S. 46): Der junge Musiker, kaum in Analyse, merkte mit grosser Überraschung, dass er zur Beschreibung der Beziehung seiner Eltern, die sich gegenseitig etwas «vorgespielt» hatten, das gleiche Wort verwendete, mit dem er auch sein berufliches Tun bezeichnete. Was, so musste er sich nun fragen, ist da der Zusammenhang? Im Verlauf der Analyse stellte sich auch heraus, dass dieser junge Mann lange Jahre an einem vorzeitigen Samenerguss zu leiden hatte: Er brachte es über das Vorspiel nicht hinaus. Im Wort Vorspielen finden zwei Zeiten ihren gemeinsamen Nenner: In der Jetztzeit ist «Vorspielen» die Arbeit, die der junge Mann als Musiker verrichtet. Aber «Vorspielen» ist auch der Signifikant der Vergangenheit, der das Drama der elterlichen Beziehung auf den Punkt bringt.

In diesem einen Wort ziehen sich folglich zwei Zeiten zusammen, es ist wie eine Brücke über den Graben von Gegenwart und Vergangenheit. Eine ähnliche Beobachtung hat auch Freud schon sehr früh in einem Brief an seinen Freund Wilhelm Fliess mitgeteilt: «Für die Zwangsneurose bestätigt es sich, dass die Wortvorstellung und nicht der ihr anhängende Begriff die Lokalität ist, wo das Verdrängte durchbricht. (Genauer, die Wort-Erinnerung.)

Daher sind gerne die disparatesten Dinge als Zwangsvorstellung unter einem mehrdeutigen Wort vereinigt. Diese zweideutigen Worte sind gleichsam mehrere Fliegen auf einen Schlag für die Durchbruchstendenz. Zum Beispiel folgender Fall. Ein Mädchen, das die Nähschule besucht und bald beendigt haben wird, wird von der Zwangsvorstellung belästigt: Nein, Du darfst nicht fortgehen, Du bist noch nicht fertig, Du musst noch mehr machen, noch alles mögliche lernen. Dahinter die Erinnerung an Kinderszenen, wo sie auf den Topf gesetzt wird, nicht bleiben will und denselben Zwang erfährt.

Du darfst nicht fortgehen, Du bist noch nicht fertig, Du musst noch mehr machen. Das Wort machen gestattet, die spätere Situation mit der infantilen zusammenzufassen.» (Freud 1986, 313) «Vorspielen» in seiner Mehrdeutigkeit zu entdecken, war für Herrn I packend. Das Wort «Vorspielen» hatte er in der Analyse gebraucht für sein Musikmachen. Zum Thema war das Musikmachen geworden im Zusammenhang mit einem immer wieder unerfüllt gebliebenen Anspruch.

Es ging um ein Ringen um Anerkennung: Er beklagte sich darüber, von seinem Vater, der ihn lieber als Nachfolger im kleinen Familienbetrieb gesehen hätte, in seiner Berufswahl nicht anerkannt zu sein. Es war dieser Anspruch, der ihn beschäftigte. Etwas hatte in seinem Anspruch nach Anerkennung nicht zur Ruhe kommen können, wies unerfüllt über seine Erfolge als Musiker hinaus und zog ihn von einem Ort zum anderen in die Welt hinaus. Ein Fragezeichen gab es da, etwas Offengebliebenes, Unbefriedigtes, das er nur in «immer noch mehr vom Gleichen» umzusetzen vermocht hatte, in beharrliches Ringen um die nie wirklich treffende Anerkennung.

Und nun entdeckte er, dass sich im «Vorspielen» noch etwas anderes meldete, das all die bisherigen Bedeutungen überstieg und in einem neuen Licht brach. Da war plötzlich etwas aufgetaucht, das dieses Fragezeichen ganz direkt berührte. Dabei hatte er doch nur über etwas berichten wollen, das für ihn Schnee vom letzten Jahr zu sein schien: Die Konflikte der Eltern, das war eine «alte Geschichte». Natürlich hatte er als Kind unter der Unklarheit, wie die Eltern eigentlich zueinander standen, gelitten, hatte gespürt, dass etwas nicht stimmte, aber er hatte dem keine Worte geben können und die Eltern hatten die offene Auseinandersetzung immer vermieden.