Jan wird Detektiv

von: Carlo Andersen, Knud Meister

Saga Egmont, 2015

ISBN: 9788711458037 , 128 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 7,99 EUR

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Jan wird Detektiv


 

8.


«Anders hat gefragt, ob ihr heute abend mit ihm auf Wilddiebsjagd gehen wollt», sagte Onkel Helmer beim Nachtessen zu Jan und Erling.

Beide Buben bekamen vor lauter Überraschung einen Bissen in die falsche Kehle. Sie husteten und klopften einander auf den Rücken, und es dauerte eine Weile, bis sie sich so weit gefaßt hatten, daß sie mehr von diesem aufregenden Plane hören konnten. «Ich weiß offen gestanden nicht recht», fuhr Christian Helmer fort, «ob ich euch mitgehen lassen soll. Möglicherweise ist die Sache nicht so ganz ungefährlich.»

«Oh, bitte, laß uns mitgehen, Onkel Christian», flehte Jan. «Wir sind ja schließlich keine Wickelkinder mehr.»

«Wirklich nicht?»

«Nein, wirklich nicht», sagte Erling mit erkünstelter Würde. «Auf jeden Fall wäre ich, wenn ich ein Wickelkind sein sollte – was ich bezweifle –, das größte und umfangreichste der Welt. Ich muß Ihnen gestehen, Herr Helmer, daß mir neulich, als wir mit Anders darüber sprachen, der Gedanke, von einem Wilddieb für eine gute Beute gehalten zu werden, nicht sonderlich angenehm war. Inzwischen habe ich mir die Sache überlegt. Ich glaube jetzt nicht mehr, daß die Wilddiebe ihr Pulver an mich verschwenden werden.»

«So, wann hast du denn deine Meinung geändert?»

«Vor zwei Minuten und sechsunddreißig Sekunden, als Sie uns Anders’ ausgezeichneten Plan mitteilten. Meinen Sie nicht, daß Sie uns die Erlaubnis geben können?»

Sie erhielten wirklich die Erlaubnis; aber Onkel Helmer erteilte sie nur sehr widerstrebend.

Boy war derjenige, der den Ausschlag gab. Anders wollte den klugen und wachsamen Polizeihund auf der geplanten Streife gern mitnehmen. Das war jedoch nur möglich, wenn Jan ebenfalls mitkam; denn Boy ließ sich sogar von dem gutmütigen Anders nicht einmal streicheln, geschweige denn, daß er Anders’ Befehlen folgte. So wurde beschlossen, daß die Buben sich an dem Unternehmen beteiligen durften.

Als die Dunkelheit sich langsam niederzusenken begann, schritten sie über die Felder auf den Wald zu. Anders mußte hoch und heilig versprechen, unterwegs keinen einzigen Ton zu singen. «Denn es wäre gar nicht nützlich, Boy die gute Laune zu verderben», sagte Jan mit einem Lächeln.

Anders brummte etwas vor sich hin, das die Jungen höflich überhörten, da es keine liebenswürdigen Worte waren. Aber er meinte es nicht so schlimm. Er stapfte recht vergnügt dahin, den Hut im Nacken und die Flinte über der Schulter. Die Buben mußten tüchtig ausschreiten, um Schritt mit ihm zu halten. «Wenn wir in den Wald kommen, dürfen wir nicht mehr miteinander reden», sagte Anders mit gedämpfter Stimme. «Wir gehen zu einer Lichtung, auf der das Wild zu äsen pflegt. Da müssen wir Augen und Ohren offen halten.»

Sie verhielten sich mäuschenstill, während sie am Saume des. Waldes entlangschritten. Es war ein ausgefahrener Weg mit tief eingeschnittenen Radspuren. Anders ging voraus, Jan folgte ihm mit Boy in kurzem Abstand, und Erling, der Mühe hatte, seinen keuchenden Atem zu dämpfen, bildete die Nachhut. Boy drehte wachsam den Kopf nach rechts und links und verfolgte mit gespitzten Ohren die kleinste Bewegung ringsum. Sie hielten sich dicht an die Bäume, damit sie nicht gesehen werden konnten, während sie eine Anhöhe hinaufstiegen. Den höchsten Punkt des Geländes bildete ein kleiner Hügel, der ganz mit Heidekraut bewachsen war. Oben angekommen, ließen sich die drei Kameraden auf den Erdboden nieder. Von hier aus hatten sie volle Aussicht über die Lichtung, die sich, umgeben von hohen Fichten, gen Westen vor ihnen senkte.

«Dieser Teil der Gutswälder wird Westwald genannt», erklärte Anders leise. «Diese Lichtung ist vor zwei Jahren entstanden; damals hat man hier tüchtig geholzt. Sämtliche Fichten, die früher den ganzen Abhang bedeckten, hat man gefällt; aber beim Näherkommen werdet ihr bemerken, daß schon wieder lauter neue Bäume gepflanzt sind. Dann seht ihr auch, daß die Lichtung weiter drüben in Wiesland übergeht, durch das ein kleiner Bach fließt. Dort treten die Tiere aus, um zu äsen und zu trinken, und dort versuchen die Wilddiebe ihr Glück und böllern drauflos.»

Anders hatte nur flüsternd gesprochen. Die Buben saßen mucksmäuschenstill, innerlich äußerst gespannt auf das, was geschehen würde, während Boy aufmerksam auf jede Bewegung im Heidekraut und jeden Laut im Walde achtete.

In weiter Ferne ertönte Hundegebell; aber das schien Boy nicht weiter zu interessieren. Er war ja darauf dressiert, sich nur mit dem zu beschäftigen, was ihm befohlen wurde.

Plötzlich traten drei Rehe aus dem Walde hervor, windeten eine Weile und begannen dann auf der Lichtung zu äsen. Boy begann vor Spannung zu zittern; aber Jan legte beschwichtigend seine Hand auf den Hals des Hundes. Boy beruhigte sich sogleich, obwohl er kein Auge von den anmutigen Tieren ließ, die gemächlich durch das Gras streiften und sich’s wohlsein ließen. Es war ein hübscher Anblick, und wenn die beiden Jungen auch schon oft Rehe im Zoologischen Garten gesehen hatten, fanden sie es doch ungleich spannender, sie hier zu beobachten; denn nun sahen sie die scheuen Tiere in der freien Natur.

Als Erling, einem unbezwinglichen Drange folgend, dem Kribbeln in seiner Nase nachgab und donnernd nieste, verschwanden die Rehe in hurtigen Fluchten im Walde. Erling war ganz untröstlich darüber, daß er sie vertrieben hatte. «Das ist ein Familienübel», erklärte er Anders. «Auf der ganzen Welt gibt es niemand, der so laut und so oft niest wie wir. Wir sind...äh...a-a-a...a-a-a... » Dann folgte ein zweiter Trompetenstoß! Und was für einer! Ja, Erling hatte recht. Er war Fachmann im Niesen!

Anders erhob sich. «Gesundheit», sagte er ruhig. «Ich glaube, wir können unsern Standort verlegen; denn diese Kanonenschüsse haben sicher nicht nur das Wild, sondern auch die Wilddiebe verscheucht, wenn sie in der Nähe waren.»

Hierauf machten die drei sich wieder auf den Weg. Erling war auch jetzt der letzte in der Reihe. Er schritt mit seinen kurzen Beinen aus, so rasch er konnte, und hoffte inbrünstig, an diesem Abend nicht mehr niesen zu müssen.

«Wir wollen einmal versuchen, um die Bahnlinie herumzugehen», flüsterte Anders Jan zu. «Dort ist auch eine Wiese, wo das Wild herauskommt. Ich hab’ da einmal Schlingen gefunden.»

Jan nickte, und sie setzten ihren Weg fort. Aber plötzlich zog Boy an der Leine und blieb stehen. Auch Anders hielt inne, und die Buben blickten gespannt auf den Pfad, der an der Bahnstrecke entlangführte. Eine hohe Gestalt schritt weiter vorn in derselben Richtung wie sie selbst.

«Hallo!» rief Anders. «Heda, halt!»

Er mußte mehrere Male rufen, bis der Mann stillstand. Sie liefen zu ihm hin und sahen sich einem unheimlich aussehenden Burschen gegenüber, der seine Mütze tief über die Ohren gezogen hatte, und dessen Kinn und Wangen mit struppigen Bartstoppeln bedeckt waren.

«Guten Abend, Niels», sagte Anders freundlich.

Der andere brummte nur mißmutig.

«Du bist noch spät unterwegs», bemerkte Anders.

Der Mann antwortete nicht, sondern musterte die Knaben.

«Die Buben sind aus Kopenhagen», erklärte Anders. «Sie sind bei Gutsbesitzer Helmer zu Besuch. Ja, du machst wirklich noch einen späten Abendspaziergang.» Er lachte.

«Ich hatte Kopfweh und wollte noch ein bißchen frische Luft schöpfen», erwiderte der andere. «Da ist wohl nichts Schlimmes dabei.»

«Nein, gewiß nicht... gewiß nicht», sagte Anders.

Sie tauschten noch ein paar allgemeine Redensarten. Jan betrachtete den Mann mit großer Neugier. Es sah aus, als ob er irgend etwas unter seiner Joppe trüge; aber Jan konnte nicht erkennen, was es war.

«So, nun will ich heimgehen», sagte Niels.

«Versteht sich», erwiderte Anders. «Es ist ja auch längst Schlafenszeit.»

«Ja, vor allem für kleine Jungen», bemerkte Niels spöttisch. Er tippte nachlässig mit der Hand an die Mütze und schritt ohne ein weiteres Wort von dannen. Die drei blieben stehen und schauten ihm nach, bis er um eine Ecke bog und verschwand. «Kein gemütlicher Geselle», murmelte Anders.

«Ja, er sieht nicht gerade vertrauenerweckend aus», stimmte Jan zu.

«Na, er ist nicht ganz so blutdürstig, wie er ausschaut», meinte Anders. Sie kehrten um und machten sich auf den Heimweg. Boy lief folgsam und brav neben Jan her.

«Wer ist dieser Niels eigentlich?» erkundigte sich Jan nach einer Weile.

«Er heißt Niels Boelsen und wohnt unten am Moor», erklärte Anders. «Er lebt ganz allein, und mir scheint, er weiß von den Wilddieben mehr, als er wahrhaben will. Allerdings kann ich das nicht beweisen; ich hab’s nur so im Gefühl.»

«Er hatte irgend etwas unter seiner Joppe», bemerkte Jan zu sich selbst.

«Was sagst du?» Anders war plötzlich ganz Ohr.

«Ja, das hab’ ich auch gesehen», fiel Erling ein. «Aber ich konnte nicht erkennen, was es war. Wie ein kleines Bündel sah es aus.»

«Ich werde noch ganz tiefsinnig», lachte Anders. «Wenn Niels ein Wilddieb ist und sein Gewehr unter der Joppe verbirgt, kann es bestimmt kein kleines Bündel sein. Na, heute abend haben wir nicht gerade viel ausgerichtet. Aber wir können ja bald wieder einmal losziehen.»

Als sie ein Stück weit im Walde dahingeschritten waren, hörten sie, wie ein Zug sich auf der Bahnstrecke näherte.

«Das ist der Nachtzug», sagte Anders. «Von dem haben wir nichts zu erwarten, denn er hält nicht bei uns, sondern fährt mit Schuß weiter.»

Sie lauschten auf den Zug, der über die Schienen donnerte. Plötzlich hörten sie die Lokomotive schrill pfeifen, und gleich darauf vernahm man das...