Alpengrollen - Kriminalroman

von: Michael Gerwien

Gmeiner-Verlag, 2011

ISBN: 9783839235904 , 320 Seiten

8. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 10,99 EUR

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Alpengrollen - Kriminalroman


 

2


»Ja, soll das da vielleicht eine anständige Halbe sein? Da fehlen doch mindestens zwei Fingerbreit.« Im Großen und Ganzen gab es nur zwei Dinge, die der Münchener Exkommissar Max Raintaler absolut nicht leiden konnte: verlogene Verbrecher und schlecht eingeschenktes Bier.

Die Kellnerin warf ihm einen genervten Blick zu. »Es hat ja niemand gesagt, dass Sie Ihr Bier unbedingt hier bei uns trinken müssen!«, meinte sie schnippisch.

Nun, wenn man es jetzt genau betrachtete, gab es doch eher drei Dinge, die Max nicht mochte: verlogene Verbrecher, schlecht eingeschenktes Bier und arrogante Serviererinnen.

»Ihnen geht es wohl zu gut«, erwiderte er. »Ich trinke mein Bier immer noch da, wo ich will. Schauen Sie bloß zu, dass Sie mir auf der Stelle eine volle Halbe bringen. Ja, wo samma denn?«

Wenn der Raintaler drauf und dran war, ungemütlich zu werden, tat man besser, was er sagte. Das wussten die vielen Gewalttäter und Betrüger, die er im Laufe seiner Karriere überführt und hinter Gitter gebracht hatte. Und gerade ahnte es auch die vorlaute Tablettträgerin der bayerischen Traditionsgaststätte gleich beim Marienplatz. Sie murmelte etwas in der Art wie: na gut, na gut, bekam einen roten Kopf, nahm sein Glas und lief damit zur Theke.

»Das glaubt dir doch niemand«, klärte Max währenddessen die vier japanischen Touristen auf, die mit ihm am Tisch saßen. »Bringt die ein schlecht eingeschenktes Bier und wird auch noch frech. Ja, wo gibt’s denn so was?«

Die beiden Ehepaare verstanden kein Wort. Aber sie hatten mitbekommen, wie beeindruckend ein bayerischer Bariton klingen konnte. Und da sie sich fast sicher waren, dass der athletisch gebaute Ureinwohner mit dem Dreitagebart vor ihnen nicht nur eine kräftige Stimme hatte, lächelten sie ihn einfach nur freundlich an. Und hofften, dass er friedlich blieb.

»So. Bitte, der Herr.« Die Kellnerin war mit einem vollen Bierglas zurück und knallte es schwungvoll vor Max auf den Tisch.

»Ja, wunderbar«, antwortete der. »Genau so muss eine richtige Halbe in Bayern ausschauen. Bier bis zum Eichstrich und eine schöne Krone oben drauf. Jetzt wären da nur noch zwei Tipps, Fräulein. Und weil Sie offensichtlich neu hier drinnen sind, gebe ich die Ihnen sogar kostenlos.«

»Na, da bin ich ja gespannt.«

»Dürfen Sie auch. Nummer eins. Wenn Sie ein Bier servieren, stellen Sie es vorsichtig hin. Sonst schwappt es am Ende über. Und dann müssen Sie bloß wieder extra laufen. Wegen einem Lappen. Nummer zwei. Lassen Sie in Zukunft Ihre Finger vom Rand des Glases weg. Das obere Drittel gehört dem Gast. Oder soll der die ekelhaften Bazillen, die Sie von der Toilette oder von Ihrem Wechselgeld an den Fingern haben, etwa mittrinken?« Er bedachte sie mit einem langen, fragenden Blick aus seinen stahlblauen Augen.

»Sie haben natürlich recht. Entschuldigen Sie.« Die junge Frau musste sich schwer zusammenreißen, damit ihr nicht postwendend die nächste spitze Bemerkung herausrutschte. Zum Beispiel, dass sie sich bestimmt öfter die Hände wasche als er. Aber schließlich hatte sie nicht ewig Zeit, mit diesem renitenten Menschen hier herumzustreiten. Also seufzte sie nur kurz resigniert auf, verdrehte die Augen und entfernte sich wieder.

»Prost, die Herrschaften!« Max hob sein Glas und stieß mit den Japanern an, die inzwischen damit begonnen hatten, alles in dem großen, aber trotzdem urgemütlichen Gastraum zu fotografieren: vom Schirmständer über die üppige Faschingsdekoration bis zu den beleuchteten Hinweisschildern für den Notausgang. Auch der aschblonde Exkommissar blieb nicht verschont. Jeder von ihnen wollte sich mit ihm an der Seite ablichten lassen. Natürlich jedes Mal mit erhobenem Glas. Und mit einem breiten »Cheese« im Gesicht.

Nach der dritten, gut eingeschenkten und sehr zuvorkommend kredenzten Halben bezahlte er und ging. Ich weiß schon, warum ich inzwischen mein Bier lieber bei mir im Viertel trinke, dachte er, als er durch die Tür in die winterlich frühe Dunkelheit trat. Hier in der Stadt ist es einfach zu teuer geworden. Und dann bescheißen sie dich noch beim Einschenken. Nicht zu fassen. Das hat es doch früher nicht gegeben. Höchstens auf der Wiesn. Aber da ist man es ja seit jeher gewohnt. Und dann die vielen betrunkenen Deppen, die hier schon um halb sechs überall herumgeistern. Von wegen gemütliche Wirtshaustradition. Das war einmal und ist nicht mehr.

Das Lokal, das meine Eltern in Sendling hatten, das war halt noch eine echte Münchener Gaststätte. Da bekam jeder noch etwas Anständiges aufgetischt für sein Geld. Nicht diesen modernen Einheitsfraß. Und einen herben Spruch von der Bedienung gab es höchstens, wenn einer nicht mehr stehen konnte. Das waren noch Zeiten. Die kommen sicher nicht wieder. Genauso wenig wie die Mama und der Papa. Gott hab sie selig.

Genau betrachtet, gab es heute für ihn nur eine Wirtschaft in München, in der es immer noch so schön war wie damals. Und das war ›Monikas kleine Kneipe‹. Seine Freundin Monika Schindler hatte sie vor ein paar Jahren unten in Thalkirchen aufgemacht. Am Rande der Isarauen. Nicht weit von seiner Wohnung entfernt. Ein winziger, dunkel getäfelter Gastraum, aber ein paar sehr nette Stammgäste und ein anständiges Bier. Ab und zu gab es sogar Livemusik. Und hervorragend kochen konnte Monika obendrein. Was wollte man mehr? Seit seiner Frühpensionierung vor zwei Jahren half Max ihr manchmal beim Ausschank oder beim Servieren. Oder führte das Geschäft alleine, während sie mit ihren Freundinnen im Urlaub weilte. Schließlich kannte er das Prozedere bestens von Kindheit an.

Max und Monika. Was für ein Gespann. Offiziell waren sie ja nicht wirklich zusammen. Sie fuhren meist separat in die Ferien. Jeder von ihnen lebte sein eigenes Leben. Manchmal sahen sie sich wochenlang nicht. Doch dann verbrachten sie wieder tagelang jede Minute zusammen. Bis sie nach einer Weile wieder getrennte Wege gingen. Ihre Freunde und Bekannten schüttelten seit Jahren nur den Kopf über dieses eigenwillige Hin und Her.

Draußen fing es gerade wieder an zu schneien. Es war einer dieser nasskalten Januartage, knapp oberhalb der Nullgradgrenze, an denen man am besten erst gar nicht vor die Tür ging. Überall stieg man bis hoch zu den Knöcheln in grauem Matsch und braunem Dreck herum. Letztes Jahr war er um diese Zeit auf den Malediven gewesen. Tauchen. Sonnen. Baden. Herrlich! Seit er von Tante Isolde, der Schwester seiner verstorbenen Mutter, vor zwei Jahren ihre hübsche Zweizimmerwohnung und einen ansehnlichen Geldbetrag geerbt hatte, konnte er sich solch einen Luxus ab und zu leisten. Und tat es auch. Voller Dankbarkeit.

Gleich morgen zum Beispiel würde er für eine Woche zum Skifahren in die Berge verreisen. Und zum Skirennengucken. Nach Kitzbühel. Für einen Tagesausflug war er schon oft dort gewesen, aber übernachtet hatte er noch nie. Und beim Hahnenkammrennen, dem wohl spektakulärsten und gefährlichsten Abfahrtslauf, den der Skiweltcup zu bieten hatte, war er auch noch nie vor Ort dabei gewesen. Damit er das diesmal auf keinen Fall verpasste, hatte er sein Zimmer in einem exklusiven Wellnesshotel vorsorglich bereits im Oktober fest gebucht.

Der eisige Wind peitschte ihm riesige, wassergetränkte Schneeflocken ins Gesicht. Angestrengt kniff er die Augen zusammen, um überhaupt noch erkennen zu können, wo er lang musste.

Ursprünglich hatte er vorgehabt, zu Fuß nach Hause zu gehen. Doch das war ihm jetzt eindeutig zu ungemütlich. Also nichts wie ab, quer über den Viktualienmarkt zum Bus. Und wenn er dann später in Thalkirchen angekommen war, würde er noch kurz bei Monika reinschauen. Ihre Kneipe lag praktischerweise genau auf dem Weg von der Endhaltestelle zu ihm nach Hause.

Auf dem Markt hatten die Obst- und Gemüsestände wie jeden Sonntag geschlossen. Max hatte für Gemüse und Obst sowieso noch nie allzu viel übrig. Erklärtes Objekt seiner Begierde war schon immer die Bratwurst. Schon zu seinen Dienstzeiten konnten er und sein alter Freund und Exkollege Franz Wurmdobler so gut wie keinen Tag an dem kleinen, grünen Holzhäuschen beim Eingang des bunten Schlemmerparadieses vorbeigehen, ohne sich eine Rote vom Grill zu holen. Da dort heute ebenfalls geschlossen war, marschierte er mit einem kurzen Seufzer des Bedauerns auf den Lippen direkt weiter zur Haltestelle.

Der Bus kam nicht. Steckte wohl irgendwo fest. Wieder mal typisch. Aber auch kein Wunder bei dem Sauwetter. Egal, er würde schon irgendwann eintrudeln. Während er weiter so dastand und wartete, tauchte auf einmal ein altes Kräuterweiblein mit von Falten durchfurchtem Gesicht vor ihm auf.

»Da, schauen Sie her, junger Mann«, kam es krächzend aus ihrem zahnlosen Mund. »Frischer Salbei. Der ist gut gegen Erkältung. Nur ein Euro das Säckchen.«

»Na gut. Wenn Sie meinen.« Max kaufte ihr zwei Säckchen ab, obwohl er keine Ahnung hatte, was er damit sollte. Doch sie sah so aus, als könnte sie jeden Cent brauchen. Außerdem, wer weiß? Im Moment fühlte er sich zwar ziemlich gesund. Aber was nicht war, konnte ja noch werden. Der Winter zog sich schließlich noch in die Länge. Seit ein paar Jahren kam er ihm sogar jedes Jahr noch endloser vor. Drohte da etwa bald eine Eiszeit? Dabei redeten doch alle überall immer nur von globaler Erwärmung.

Eine Viertelstunde später drückten die dicken Reifen des 52ers den Matsch auf der Straße vor ihm platt. Endlich. Er stieg ein und stempelte seine Streifenkarte ab. Dabei stießen ihm wieder einmal die seiner Meinung nach viel zu hohen Fahrpreise auf. So viel Geld für so viel Verspätung! Egal. Ein Taxi wäre noch teurer. Und im Sommer würde er sowieso wieder mit...