Hedwig Courths-Mahler - Folge 075 - Die Flucht vor der Ehe

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732503179 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 075 - Die Flucht vor der Ehe


 

Mona Runeck war froh, dass sie aus dem lauten Festtrubel in das stille Nebenzimmer flüchten konnte. Ihr Kopf war ganz wirr von den gesellschaftlichen Phrasen, die sie mit all den vielen Gästen ihres Vaters hatte tauschen müssen, und sie bewunderte ihre Stiefmutter, dass sie nicht müde wurde, allen Anforderungen, die dieses Fest an sie stellte, gerecht zu werden.

Mona war dieses laute, gesellige Treiben nicht gewöhnt, ihr Leben hatte sich bisher in großer Stille und Zurückgezogenheit abgespielt. Und nun war sie plötzlich vom Vater heimgerufen worden, sollte plötzlich der gesellige Mittelpunkt in seinem Haus sein. Dazu hatte sie weder Neigung noch Talent. Nirgends fühlte sie sich heimat- und wurzelloser als in ihrem Vaterhaus.

Sie war zwar jedes Jahr einige Wochen daheim gewesen, aber da hatte man sie nie gezwungen, am geselligen Leben teilzunehmen. Bisher war sie zu jung gewesen, als dass man sie in die Gesellschaft hätte einführen müssen, und ihre noch sehr jugendliche Stiefmutter hatte es auch gar nicht gewünscht, sich an der Seite einer erwachsenen Tochter der Gesellschaft zu zeigen.

Früher, wenn Mona auf kurze Zeit zu Hause weilte, hatte sie still in ihrem Zimmer gesessen, wenn Gesellschaft im Hause war. Leise waren dann nur Musik und Stimmengewirr zu ihr herüber geklungen. Manchmal hatte sie das verlockt, ihr Buch fortzulegen und hinunterzuschlüpfen in eines der stillen Nebenzimmer, von wo sie, durch einen Vorhang verborgen, ein wenig dem festlichen Treiben zugeschaut hatte. Das war ganz unterhaltend gewesen. Sie brauchte ja nicht mitzutun. Und eines Abends, als sie wieder auf ihrem stillen Lauscherposten hinter dem Vorhang gesessen hatte, da war ein junger, hoch gewachsener Herr in dieses Nebenzimmer gekommen, um verstohlen eine Zigarette zu rauchen. Mona hatte nicht fliehen können, weil er sie dann hätte sehen müssen. Sie war viel zu scheu, um das zu wagen. Still, ein wenig beklommen, hatte sie hinter dem Vorhang gesessen und durch einen schmalen Spalt den jungen Herrn beobachtet. Und ihr Herz hatte dabei sehr stark und laut geklopft.

Dieser junge Mann war Bernd Kronau, der Sohn eines Freundes von Monas Vater. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass er von zwei scheuen Mädchenaugen scharf beobachtet wurde. Noch weniger hatte er geahnt, da er sich ganz allein wähnte, dass er in dieser Stunde eine große Eroberung gemacht hatte. Denn von nun an gehörte Monas junges Herz diesem Mann, mit dem sie nie ein Wort gesprochen hatte.

Sie selbst wusste nicht, dass sie ihr Herz an Bernd Kronau verloren hatte. Sie kannte ihn nicht, er war ihr ein Fremder. Und in ihrer Unerfahrenheit ahnte sie nicht einmal, dass es eine schnell emporgekeimte Liebe war, die ihr Herz so unruhig bei seinem Anblick klopfen ließ.

Es war ihr noch einige Male seitdem gelungen, ihn wiederzusehen, immer, ohne dass er eine Ahnung gehabt hatte, dass er heimlich beobachtet wurde.

Eines Tages hatte sie dann auch erfahren, wer er war. Gerade in dem Zimmer, in dem sie versteckt war, ganz dicht an ihrem Lauscherposten, traf er eines Tages mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter zusammen. Sie hatten einige Worte gewechselt, und daraus hatte Mona erfahren, dass der junge Mann, der ihr so wohl gefiel, Bernd Kronau war.

Zuweilen war nun in ihr die Sehnsucht aufgewacht, an diesen Geselligkeiten teilnehmen zu können. Wie herrlich müsste es sein, mit diesem jungen Mann sprechen zu dürfen. Er hatte eine so warme, gute Stimme, die sich ihr ins Herz geschmeichelt hatte. Sie beneidete die jungen Damen, die mit ihm sprechen und tanzen durften, und wünschte sich brennend, dass sie so schön sein möge wie viele unter ihnen. Denn sie gefiel sich selbst gar nicht. Mit schwerem Herzen blickte sie jetzt zuweilen in den Spiegel und sah bekümmert, dass sie mit dem breiten Streifen von Sommersprossen, der ihr Gesicht geradezu entstellte, durchaus kein schöner Anblick war.

Dass sie sehr feine und angenehme Züge hatte, wundervolle Augen und herrliches Haar, das entging ihr völlig, sie sah immer nur diese entstellenden braunen Flecken, die ihr feines Näschen so seltsam breit erscheinen ließen und wie ein breiter, dunkler Strich von der Nase über die Wangen liefen.

Früher hatte sie das nie gestört, sie hatte kaum darauf geachtet, aber jetzt bekümmerte sie dieser braune Strich, der zu ihrem Leidwesen auch im Winter nicht weichen wollte.

Ihre Stiefmutter hatte zu ihr gesagt: „Du müsstest etwas gegen diese Sommersprossen tun, Mona.“

Aber damit war der Fall für die Stiefmutter erledigt, und Mona wusste nicht, was sie dagegen tun sollte, ahnte nicht einmal, dass man so etwas entfernen konnte.

Als nun ihr Vater vor kurzem geschrieben hatte, sie müsse nun endlich nach Hause kommen, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden, da schlug ihr das Herz sehr unruhig. In die Gesellschaft eingeführt werden, das hieß für sie: Bernd Kronau von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, ihn kennen zu lernen. Und das erfüllte sie teils mit jubelnder Freude, teils mit scheuer Beklommenheit.

Der Gedanke an Bernd Kronau hatte ihr den Abschied von Tante Herta, von dem verwitweten Vetter Lothar und seinem kleinen Sohn, mit denen sie ihr Leben verbrachte, seit der Vater die zweite Frau heimgeführt hatte, etwas leichter gemacht. Denn diesmal sollte sie nicht nur für einige Wochen, sondern für immer in ihr Vaterhaus zurückkehren, und das hätte sie viel tiefer betrübt, wenn nicht eben Bernd Kronau zuweilen ins Haus ihres Vaters kommen würde.

Die ersten Wochen fühlte sie sich dann auch sehr einsam und unglücklich in ihrem Vaterhaus. Das stete Zusammensein mit ihrer Stiefmutter, der sie kühl gegenüberstand und der sie nur lästig war, quälte Mona. Und dem Vater war sie so fremd geworden, seit er sich wieder verheiratet hatte. Nur der Gedanke an Bernd Kronau half ihr ein wenig über diese Wochen hinweg. Mit unruhiger Erwartung sah sie der ersten Geselligkeit im Hause ihres Vaters entgegen. Aber der Gedanke an ihren Schönheitsfehler, den breiten Streifen von Sommersprossen, bedrückte sie immer mehr, je näher der Tag der ersten festlichen Geselligkeit heranrückte.

Endlich war es soweit. Bernd Kronau war wirklich anwesend, und das Fest war glänzend wie alle Festlichkeiten im Runeckschen Haus. Dafür sorgte schon die schöne Stiefmutter Monas, deren Ehrgeiz es war, eine große Rolle in der Gesellschaft zu spielen.

Für Mona hatte dieses Fest nur den einen Wert: Bernd Kronau offiziell kennen zu lernen, mit ihm sprechen zu dürfen, vielleicht gar mit ihm zu tanzen.

Und ach, dieser Augenblick, nach dem sie sich so lange gesehnt, auf den sie sich so sehr gefreut hatte, der war nun vorüber – und hatte ihr nur eine schmerzliche Enttäuschung gebracht. Denn der Mann, dem sie, ohne es zu wissen, ihr ganzes Herz geschenkt hatte, hatte sie nur kühl und kritisch angesehen, hatte einige höfliche Worte mit ihr gewechselt und sich dann mit aufleuchtenden Augen einer anderen jungen Dame zugewandt, die herangetreten war. Mona hatte kaum gewagt, ihn anzusehen, hatte erschrocken vor seinem kühlen Blick die Augen gesenkt und schmerzlich zugehört, wie liebenswürdig und angeregt er sich mit der schönen jungen Dame unterhielt, an die er sich gewandt hatte.

Wie ein schwerer Stein lag ihr das Herz in der Brust.

Scheu hatte sie sich beiseite geschlichen, ohne dass er Notiz davon genommen hatte, und war durch den Festtrubel hindurch nach dem stillen Nebenzimmer geflüchtet, von dem aus sie früher die Gesellschaft belauscht hatte. Sie flüchtete sich hinter die schweren Samtvorhänge in die tiefe Fensternische und sank seufzend in den Sessel, der dort stand.

Was sollte sie hier in diesem Haus, in dem sie so fremd geworden war? Seit die Stiefmutter ihren Einzug gehalten hatte, war hier keine Heimat mehr für sie. Kein Mensch brauchte sie hier, niemand kümmerte sich um sie. Was sollte sie noch hier, seit Bernd Kronau sie so kalt und kritisch angesehen hatte? Nie in ihrem Leben war sie so unglücklich gewesen, obwohl sie sich schon oft recht einsam gefühlt hatte in ihrem jungen Dasein.

Nun saß sie reglos in ihrem Versteck, froh, dass sie hier kein Auge erblicken konnte. Die Hände hatten sich krampfhaft in ihrem Schoß zusammengefaltet, die Augen hielt sie fest geschlossen, als wolle sie nichts mehr sehen, und so ließ sie den Schmerz sich immer tiefer und fester in ihr Herz hineinbohren. Ach, dass sie wieder bei Tante Herta sein könnte und bei dem kleinen Gerd. Dort hatte man sie doch lieb. Was sollte sie hier? Weshalb hatte der Vater sie plötzlich nach Hause kommen lassen? Was sollte sie in dieser Gesellschaft, in der sie sich in ihrer Scheu so linkisch und unbeholfen benahm, weil sie immer kritische Blicke auf sich ruhen fühlte. Und Bernd Kronaus Augen hatten am fremdesten und kritischsten auf ihr geruht, als wollten sie fragen: „Was willst du hier, was soll man hier mit dir anfangen?“

Wie weh ihr das getan hatte, wie unbeschreiblich weh!

Und der Vater hatte auch keine Zeit für sie, er wurde so leicht ungeduldig und verstand seine arme, kleine Mona längst nicht mehr. Er hatte nur Augen und Ohren für seine schöne junge Frau.

Sie wollte gerade einen tiefen Seufzer ausstoßen, konnte ihn aber zum Glück oder Unglück gerade noch zurückhalten, als sie in ihrer Nähe Stimmen hörte. Erschrocken blinzelte sie durch einen schmalen Spalt im Vorhang und sah, wie sich zwei Herren dicht neben ihrem Lauscherposten in zwei Sesseln niederließen. Sie hatte deren Kommen in ihrer schmerzvollen Versunkenheit nicht bemerkt. Zu ihrem Schrecken erkannte sie in dem einen Bernd Kronau, der für dieses stille Nebenzimmer anscheinend eine besondere Vorliebe zu haben schien. Den anderen...