Train your brain - Die Erfolgsgeheimnisse eines Gedächtniskünstlers

von: Rüdiger Gamm, Alexandra Ehlert

Heyne, 2008

ISBN: 9783894804466 , 209 Seiten

Format: ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 7,99 EUR

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Train your brain - Die Erfolgsgeheimnisse eines Gedächtniskünstlers


 

Kindheit und Schulzeit

Eine Spur Verrücktheit war wohl nötig oder warum sonst sollte ein 21-Jähriger, der die Schule gerade hinter sich gelassen hatte, auf einmal beschließen, ein Rechengenie zu werden, und bei stundenlangem Spazierengehen im Wald Zahlen pauken? Die Voraussetzungen waren schließlich nicht gerade ideal: Immer wieder musste ich später meine alten Zeugnisse herausholen, um zu »beweisen«, dass ich in Mathematik oder in den Naturwissenschaften im Allgemeinen ein schlechter, geradezu miserabler Schüler war.

Aber am besten fange ich von vorn an: 1971 wurde ich in einem kleinen Dorf im Schwäbisch-Fränkischen Wald geboren. Schon damals war ich etwas anders als andere Kinder. Meine ersten Worte waren nicht Mama, Oma, Papa oder Opa, nein, ich weigerte mich bis zum zweiten Lebensjahr standhaft, auch nur ein Wort vorwärts zu sprechen. Ich hatte von meinem Vater die Fähigkeit des Rückwärtssprechens geerbt und die erste Zeit auch nur so gesprochen. Mittlerweile weiß ich, dass sehr viele Kinder beinahe genauso gut vorwärts wie rückwärts reden können, nur meist verliert sich diese Gabe mit der Erweiterung des Sprachschatzes und ist bis zur Einschulung fast immer ganz verschwunden. Doch ich merke mir heute noch wichtige Dinge immer rückwärts und kann auch noch fließend reden, genauso wie mein Vater. Meine Mutter wusste schnell, dass »Amam« meine Form war, Mama zu sagen.
Meine Eltern und Großeltern haben mir schon das Zählen beigebracht, als ich noch gar nicht richtig laufen konnte. Meine Oma nahm mich immer an der Hand und wir haben die einzelnen Schritte gezählt, dann mal nur jeden dritten oder nur die geraden. Lesen konnte ich auch schon früh, wobei der pädagogische Wert von Comics in meinem Fall sehr hoch war. Auch der Ausflug in die lateinische Sprache begann bei mir mit einem kleinen Dorf in Gallien.
Mich interessierte als Kind einfach alles, vor allem Geschichte, Astronomie und Geografie. Zum Geburtstag bekam ich einen Globus oder zu Weihnachten ein Geschichtslexikon.
Meine Kindheit auf dem Land war herrlich, ich hatte alle Freiheiten, die man sich für ein Kind nur vorstellen kann. Meine Eltern haben mich immer unterstützt und auch sehr verwöhnt. Obwohl ich ein Einzelkind bin, war mir nie langweilig.
Ich trieb mich oft nach der Schule im Wald herum oder vergrub mich in einem Buch. Kinderbücher oder wie man so schön sagt »altersgerechte Bücher« habe ich nie gewollt; wenn, dann richtige Wälzer oder meine geliebten Comics - und wie immer alles am liebsten rückwärts!
Als Dreijähriger bekam ich dann in der Musikschule zuerst Flötenunterricht. Da meiner Mutter eine gute musikalische Ausbildung wichtig war, kamen dazu noch Glockenspiel und später Klavier. Außerdem schickte sie mich - für mich als Jungen damals das Peinlichste überhaupt - in die Ballettschule.

Im Kindergarten war ich nicht gerade das beliebteste Kind. Ich war eigentlich allen Gleichaltrigen körperlich überlegen und lebte diesen Vorteil in einer Art »Terrorherrschaft« voll aus. Diese Überlegenheit nutzte ich auch in der Grundschule weiterhin aus und der Respekt, den mir meine Mitschüler deswegen entgegenbrachten, war wohl eher auf Angst gegründet als auf echte Anerkennung.
In der Schule war Lesen für mich der absolute Horror; alles, was ich bisher mit Bravour rückwärts geschafft hatte, war auf einmal das Schlimmste überhaupt. Meine Klassenkameraden fanden das immer ziemlich witzig, ich konnte ja jedem Lehrer alles an den Kopf werfen, er verstand mich ohnedies nicht. Die Lehrer gaben sich wirklich sehr viel Mühe, begriffen aber auch nicht so recht, warum mir normales Lesen Probleme bereitete, während ich rückwärts die Texte fließend abspulen konnte. Nach einigen Wochen intensiver Bemühungen und des Einsatzes von sehr viel Nervenkraft bekam ich dann das Lesen auch in Normalrichtung gut hin.
Mein fast unstillbarer Bewegungsdrang wollte befriedigt sein, und so erhielt ich nach der Schule mehrmals wöchentlich Tennisstunden und ging zum Fechttraining. Mein Vater hat zudem regelmäßig mit mir Fahrradtouren unternommen. Alles so gesehen eine wundervolle Kindheit, wenn nur nicht diese nervige Schule und erst die blöden Lehrer gewesen wären, die wollten, dass ich vorwärtslese.

Im Februar 1980 setzte mich eine schwere gesundheitliche Krise für sechs Wochen außer Gefecht. Danach war die Schule für mich schlimmer als je zuvor, egal wie sehr sich meine Lehrer bemühten, sie konnten bei mir einfach keinerlei Interesse am Unterricht wecken, geschweige denn mich dazu animieren, mich als braver Junge in die Klasse zu integrieren. Ich sträubte mich gegen alles und jedes, ich wollte und konnte nicht angepasst sein. Niemand vermochte das zu verstehen, nicht einmal ich selbst, und das ließ ich in aller Heftigkeit meine ganze Klasse spüren. Folge der immer schwieriger werdenden Situation, in der sich auch keinerlei Kompromisse mehr finden ließen, war mein Wechsel in eine andere Schule, nach Welzheim, wo ich mein drittes Schuljahr absolvierte. Hier »schaffte« ich 1982 meinen zweiten Schulrauswurf. Kurz vor Schuljahresende hatte ich es einfach zu weit getrieben und in einem Wutanfall ein ganzes Klassenzimmer samt Möblierung zerstört. An den Auslöser hierfür kann ich mich gar nicht mehr erinnern, sicherlich war es mal wieder irgendeine Banalität, die mich so ausrasten ließ.
Nach den Sommerferien begann ich mein recht kurzes Intermezzo an der Realschule in Welzheim. Am Schuljahresende wurde ich nicht versetzt: Wegen »mangelnder Auffassungsgabe« in allen Fächern war ich durchgefallen. Heute weiß ich, dass ich damals extrem unter den Auswirkungen eines Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (ADS) litt, für mich war alles gleich wichtig, das Blatt, das sich im Wind bewegte, wie die Fliege über der Tür. Da war eine Unterrichtsstunde einfach nicht dazu angetan, meine Aufmerksamkeit zu fesseln.